Black Friday: „Über Gewerkschaften zu sprechen kann bei Amazon zur Kündigung führen“
Interview In 30 Ländern nutzen Beschäftigte bei Amazon den Black Friday zum Streik. Der Online-Versandhändler sei „der schlimmste Arbeitgeber, den ich je hatte“, sagt Darren Westwood
Am 24. November ist „Black Friday“, eine immer größer und lauter werdende Verkaufsveranstaltung des Einzel- und Onlinehandels, die den Beginn des Weihnachtskonsums einläuten soll. Diesen Tag nutzen in 30 Ländern Beschäftigte des größten Versandhändlers Amazon, um zu streiken und zu demonstrieren, sie organisieren sich unter dem Motto „Make Amazon Pay“. Ihre Anklage: Amazons Wachstum geht zu Lasten der Beschäftigten, der Kommunen und des Planeten. Der Freitag hat mit einem Beschäftigen gesprochen, der in Großbritannien bei Amazon arbeitet und schon mehrere Streiks organisiert hat.
Herr Westwood, auf Ihrem LinkedIn Profil sind Sie aktuell auf „arbeitssuchend“ gestellt. Sie verlassen also Ihren aktuellen
e aktuell auf „arbeitssuchend“ gestellt. Sie verlassen also Ihren aktuellen Arbeitgeber Amazon?Ja, zum Glück. Dass ich dort angefangen habe, war eher aus der Not heraus. Es war September 2019, ich war gerade arbeitslos, Weihnachten stand vor der Tür und ich brauchte dringend einen Job. PMP Agency, die Recuiting Firma von Amazon, hat mir einen Vertrag über neun Monate angeboten. Also hab ich im Lagerhaus in Coventry angefangen. Wegen Covid bin ich dann einige Zeit länger geblieben als ursprünglich geplant. Aber spätestens nächstes Jahr bin ich raus.Welches Fazit würden Sie nach drei Jahren ziehen?Es war sicherlich der schlimmste Arbeitgeber, den ich je hatte und ich hab schon wirklich viel erlebt. Es sind weniger die Arbeitsbedingungen als die Art und Weise, wie man behandelt wird. Einmal sagte eine der Führungskräfte vor versammelter Mannschaft, hier würden ja nur Frauen und lahmarschige Alte arbeiten, dabei bräuchten sie doch junge, fitte Kerle. Einmal hab ich es gewagt, mich während meiner neun Stunden Schicht in einer kurzen Leerlaufphase an die Wand zu lehnen. Dann kam eine junge Amazon-Managerin um die Ecke, ich glaube, sie war nicht mal 20 Jahre alt und sagte: „Sie wissen schon, dass ich Ihnen dafür eine Verwarnung geben kann!“ Ich wurde regelmäßig ins Büro zitiert und gefragt, was denn mein Problem mit Amazon sei. Ich habe immer wieder gesagt, dass ich nicht mehr will als eine bessere Bezahlung und besseren Umgang mit uns Mitarbeitenden.Vor Covid haben Sie 9,50 Pfund bekommen, das lag damals nur knapp über dem gesetzlichen Mindestlohn. Inzwischen bekommen Sie ein wenig mehr.Im April wird der Lohn erneut um 50 Pence auf 12 Pfund erhöht, eine direkte Folge unserer Streiks. Aber natürlich ist das immer noch viel zu wenig, gerade wenn man sich vorstellt, dass Jeff Bezos pro Stunde um die neun Millionen verdient. Ich will ja auch nicht Millionär werden, sondern einfach nur meine Miete und die Rechnungen bezahlen und idealerweise etwas für die Rente beiseitelegen. Aktuell kann meine Familie nur dadurch überleben, weil meine Partnerin deutlich besser verdient als ich. Das ist für eines der reichsten Länder der Welt schon eine ziemliche Schande.Selbst in den USA liegt der Stundenlohn in den Lagerhäusern bei 18 Dollar pro Stunde. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum man hier so besonders knauserig ist?Amazon behauptet, dass sie sich bei den Stundenlöhnen am Durchschnitt in der Region orientieren würden, aber das stimmt nicht. Jaguar und Land Rover sind hier zwei große Arbeitgeber, die ihren Angestellten teilweise doppelt so hohe Löhne zahlen und versuchen, die erfahrenen Kräfte zu halten. Man wird einfach schneller und sicherer, je länger man eine Tätigkeit ausübt. Bei Amazon ist das anders. Bezos hatte in einem Interview gesagt, seiner Erfahrung nach werden die Mitarbeiter nach mehr als neun Monaten faul und träge. Die setzen also ganz bewusst auf häufige Rotation. Ich arbeite weiter hart jeden Tag – allerdings bin ich 58, also aus einer anderen Generation und dazu in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen. Das wurde mir so beigebracht.Amazon verbietet seinen Mitarbeitern, überhaupt Mitglied einer Gewerkschaft zu sein. Sie haben über die britische Gewerkschaft GMB mehrere Arbeitsstreiks organisiert. Wie lief das genau ab?Es war tatsächlich nicht so schwer, weil die Wut auf Amazon im Werk groß war, spätestens als die erste Inflationswelle übers Land rollte und man uns den Lohn nur minimal erhöht hat. Diese Wut hat das Management irgendwann auch mitgekriegt und uns allen gedroht, schon das Sprechen über Gewerkschaften könnte als „Hatespeech“ eingestuft und zur Kündigung führen. Wir mussten also vorsichtig sein. Auf die Rückseite meines Handys hab ich einen QR-Sticker geklebt und in den Raucherpausen haben sich meine Kolleginnen und Kollegen bei der GMB registriert. Ich hab heimlich Flugblätter in der Kantine und den Aufenthaltsräumen verteilt. Das war auf der einen Seite alles sehr aufregend und gleichzeitig hab ich mir gedacht: Irre, dass ich im 21. Jahrhundert hier stehe und so etwas machen muss. Als nach den ersten Streiks im Januar klar wurde, wie viele Leute wir inzwischen auf unserer Seite hatten, hat Amazon ein wenig eingelenkt und den Lohn erhöht. Aus Rache dürfen wir seitdem keine Bücher mehr mit ins Werk nehmen. Inzwischen sind von 1.200 Mitarbeitern im Werk mehr als 800 gewerkschaftlich organisiert.Placeholder image-1Ihre Streiks wurden in der Presse breit zitiert. Hätten Sie damit gerechnet, dass ihr Widerstand in der Öffentlichkeit solche Unterstützung findet?Nein, davon war ich überrascht. Für unser Anliegen war das natürlich vorteilhaft. Weil die Arbeiterschaft bei Amazon so international ist, wurden wir ja auch über die Landesgrenzen hinaus zitiert. Diese Diversität der Nationalitäten hat aber auch zu Problemen geführt, die wir erstmal so gar nicht auf dem Zettel hatten. Insbesondere, als wir unsere Flugblätter übersetzen wollten. Wenn man zum Beispiel über einen Online-Übersetzer „Gewerkschaft“ ins Rumänische übersetzt, kommt da ein Wort raus, was eher mit Mafia assoziiert ist. Außerdem habe ich viele Kolleginnen und Kollegen, die teilweise aus Afrika übers Mittelmeer nach Europa geflohen sind. Die kennen teilweise noch viel schlimmere Arbeitsbedingungen und kommen aus Kriegsgebieten. Wir mussten ihnen erstmal erklären, dass sie ein Recht haben für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken.Haben Sie Hoffnung, dass die Politik bestimmte Dinge zum Besseren wendet?Es gibt keine wirkliche Alternative zur aktuellen Politik und das macht mir Angst. Wir haben hier de facto ein Zwei-Parteien-System. Wer den Wahlkreis gewinnt, zieht ins Unterhaus. In ganz jungen Jahren hab ich mal Margaret Thatcher gewählt, später dann Labour. Von beiden Parteien erwarte ich ehrlich gesagt gar nix mehr. Die Tories sind gerade dabei, sich in eine rechtsradikale Partei zu verwandeln und Tony Blair halte ich für einen Kriegsverbrecher. Im Endeffekt wird die Politik sich dem Willen der Großkonzerne beugen, so wie sie es in der Vergangenheit immer getan hat.Wie würden Sie sich politisch selber einordnen?Letztens hat mich ein Kollege Marxist genannt, das musste ich dann erstmal googeln. Technisch gesehen bin ich es vermutlich. Wie gesagt, die anderen Parteien neben Labour und den Tories haben es hier verdammt hart. Aber ich werde auf jeden Fall weiter wählen gehen, sei es nur, um die Tories loszuwerden. Die haben das Land ins völlige Chaos gestürzt.Wie geht es nun für Sie weiter?Ich ziehe mit meiner Partnerin und unseren zwei Kindern nach Aberdeen in Schottland, das ist einer der sichersten Orte Großbritanniens, auf jeden Fall besser als hier in Birmingham, wo ich aufgewachsen bin. Ich würde gerne weiter Gewerkschaftsarbeit machen, ich habe das Gefühl, da gut aufgehoben zu sein und tatsächlich Dinge zu bewegen. Mal schauen, wie ich da oben so ankomme.
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