Ein Amazon-Betriebsrat fliegt, weil er Hubertus Heil und Stephan Weil getroffen hat

Arbeit Ein Gericht entscheidet im Sinne des Online-Handelskonzerns Amazon: Dieser hatte Betriebsrat Rainer Reising gefeuert, nachdem er sich mit Arbeitsminister Hubertus Heil und Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD getroffen hatte
Ausgabe 38/2023
Im Arbeitskampf hat Amazon einen Sieg davon getragen: Das Unternehmen durfte seinen Betriebsrat feuern
Im Arbeitskampf hat Amazon einen Sieg davon getragen: Das Unternehmen durfte seinen Betriebsrat feuern

Foto: Jan Woitas/picture alliance/dpa

Sebastian Friedrich ist Freitag-Kolumnist und beschäftigt sich in seinem „Lexikon der Leistungsgesellschaft“ seit 2013 mit den Ideologien des Alltags. Denise M’Baye und er sind die Hosts des NDR-Philosophie-Podcasts Tee mit Warum. Friedrich arbeitet für das ARD-Magazin Panorama, für das er auch über die Auseinandersetzungen bei Amazon berichtet.

In der Architektur zeigt sich der Anspruch: Im größten Saal des Arbeitsgerichts in Verden sitzen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sich nicht gegenüber, sondern gemeinsam an einem großen hellen Holztisch. Am 19. September nehmen Platz: der Personalleiter des Amazon-Logistiklagers Achim bei Bremen mit zwei Anwälten einer großen, internationalen Wirtschaftskanzlei – und Betriebsrat Rainer Reising mit seinem Anwalt. Hinter den Beteiligten sitzen mehr als 50 Personen. Zwei Pressesprecher von Amazon, ein halbes Dutzend Journalistinnen und vor allem Gewerkschaftern sowie Aktivistinnen, die Reising den Rücken stärken wollen.

Mit Unterstützung von Verdi

Sein Fall hatte bereits vor Monaten für Aufsehen gesorgt. Der freigestellte Betriebsrat und andere Amazon-Betriebsräte hatten sich Anfang des Jahres mit Arbeitsminister Hubertus Heil und dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (beide SPD) getroffen. Dabei sind zwei Fotos entstanden, die schnell die Runde machten; ein Akt der Solidarität mit einem Kollegen, dessen Vertrag Amazon nicht verlängert hatte, obwohl er am Standort in Wunstorf als Betriebsrat aktiv war. Der Verdacht: Amazon wollte ihn loswerden, weil er auch aktives Verdi-Mitglied ist. Amazon wird seit Jahren vorgeworfen, Verdi gegenüber nicht gerade aufgeschlossen zu sein.

Amazon bekam Wind vom Foto. Wenige Wochen nach dessen Entstehung erhielt Reising die Rechnung in Form einer außerordentlichen Kündigung. Amazon warf ihm vor, falsche Angaben zu seiner Arbeitszeit gemacht zu haben. Reising klagte dagegen mit Unterstützung von Verdi gegen Amazon.

Vor Gericht meinen Amazons Anwälte, das Vertrauen sei zerbrochen, an einer Wiedereinstellung bestünde kein Interesse. Genau diese wünscht sich aber Reising, um sich weiterhin für die Interessen der Beschäftigten einsetzen zu können. Der Fall reiht sich an ähnliche Fälle – etwa den des ehemaligen Betriebsrats in Wunstorf, mit dem sich Reising solidarisiert hat. Auch am Standort in Winsen, südlich von Hamburg, befinden sich Amazon und der dortige Betriebsratsvorsitzende in einem Rechtsstreit – die Personalleitung wirft diesem Betriebsrat ebenso Arbeitszeitbetrug vor.

Dieser mögliche Zusammenhang spielt in Verden für die Richterin keine Rolle. Sie entscheidet für Amazon. Das Vertrauen sei nachhaltig gestört, die Kündigung verhältnismäßig, eine Wiedereinstellung unzumutbar. Unruhe im Gerichtssaal, eine Unterstützerin ruft der Richterin zu, das Urteil sei ein Schlag ins Gesicht aller Betriebsräte. An diesem Tag bleibt von der Sozialpartnerschaft kaum mehr als ein Holztisch.

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