Auf deutscher Seite sind es bisher vorrangig Gemeinden, die den hohen Ton der Entrüstung anschlagen, wenn es um die Vertiefung einer Fahrrinne in der Ostsee geht. Polen will sie wegen der Erweiterung seines Hafens Świnoujście vorantreiben. Heringsdorf auf der Insel Usedom hat nach vorherigen Protestnoten Anfang August erstmals einen polnischen Anwalt eingeschaltet, der Einsicht in das Genehmigungsverfahren zum Hafenausbau beantragt hat. Man behalte sich vor, „unmittelbar Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht in Świnoujście “ zu erheben. Dem arrivierten Seebad ist die Großinvestition ein Dorn im Auge, weil man sich als Opfer sieht. Heringsdorf und Ahlbeck, das direkt an Świnoujście grenzt, fürchten Umweltschäden, die
ie zulasten ihrer unbestreitbaren Attraktivität als Kur- und Tourismusdomänen auf Usedom gehen.Polen aber lässt sich das strategische Kalkül nicht verbieten. Aus Świnoujście soll ein leistungsfähiger Containerhafen werden, sodass Hochseeschiffe mit großem Tiefgang gelöscht werden können, auch solche, die schweres Militärgerät transportieren. Zwischen 2023 und 2029 sind Investitionen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro vorgesehen, bei denen auch EU-Fonds gefragt sind. Gebraucht werden diese Mittel hauptsächlich, um die Zufahrt zum Hafen aus nordöstlicher Richtung in einer Länge von 65 Kilometern auf 500 Meter zu verbreitern und 17 Meter zu vertiefen. Gigantische Mengen an Meeresboden, vermutlich bis zu 150 Millionen Kubikmeter, müssten ausgehoben werden. Wenn so ambitioniert geplant wird, tangiert das rechtliche Fragen, die sich aus dem deutsch-polnischen Grenzverlauf im Küstengebiet und auf See ergeben.Die derzeitige nördliche Zufahrt zum Hafen Świnoujście verlaufe durch Gewässer, bei denen Deutschland in Zweifel ziehe, dass sie Polen gehören, heißt es aus dem Ministerium für Infrastruktur in Warschau. „Und dies, obwohl die Zugehörigkeit zu Polen durch ein seit 1989 geltendes bilaterales Abkommen bestätigt wird.“ Gemeint ist ein Vertrag, den die DDR und die damalige Volksrepublik Polen am 22. Mai 1989 unterzeichneten.Nägel mit KöpfenDarin wurde die Grenze des deutschen Küstenmeeres nach Westen verschoben, sodass die Zufahrt nach Świnoujście und Szczecin außerhalb der deutschen Gewässer lag. Die Übereinkunft nahm Bezug auf die Potsdamer Konferenz von 1945, bei der man sich über Polens künftige Westgrenze einigte. Weil die für Świnoujście geltende Regelung den seit 1945 polnischen Ort behinderte, verständigen sich Polen und die DDR bereits 1950 auf einen leichten Schwenk der Seegrenze nach Westen.Das blieb so, bis die DDR 1985 die Grenze der Territorialgewässer von drei auf zwölf Meilen erweiterte. Der dadurch ausgelöste Konflikt sollte mit dem Abkommen vom Mai 1989 beigelegt werden. Er kehrte jedoch im Jahr 2005 zurück, als das Umweltministerium in Berlin das Naturschutzgebiet Pommersche Bucht auch auf polnische Gewässer ausdehnte und die Fahrrinne einbezog, die nunmehr ausgebaggert werden soll. Daher, und um nicht in einen jahrelangen Rechtsstreit zu geraten, soll die Zufahrt zum Terminal über eine neue Strecke erfolgen, die ausschließlich in polnischen Seegebieten verläuft. Dadurch, so Vizeinfrastrukturminister Marek Gróbarczyk im März, erspare man sich Streit über den Grenzverlauf, vor allem aber das Thema Umweltverträglichkeit, denn die sei „heute das Hauptinstrument der deutschen Seite, um die Entwicklung von Szczecin und Świnoujście zu behindern“. Ende Mai, als die polnische Regierung den Ausbauplan absegnete, erklärte Gróbarczyk, die Investition diene dazu, „nicht von unserem deutschen Nachbarn abhängig“ zu sein.Bislang ist Świnoujście vor allem Anlaufpunkt für kleinere Frachter, die Ladung von großen Ozeanschiffen aufnehmen und dann Häfen wie diesen ansteuern. Für ein solches Verfahren ist der Hamburger Hafen alleiniger Umschlagplatz im Ostseeraum. Ein vergleichbare Rolle will künftig Świnoujście spielen, wenn dort Schiffe mit großem Tiefgang einlaufen und ein Weitertransport von Waren per Bahn, Truck oder Schiff (über die Oder) nach Mittel- und Osteuropa oder den Süden der EU erfolgt. Świnoujście sieht sich eines nicht fernen Tages in direkter Konkurrenz zu Hamburg.Die deutschen Widerstände gegen den Ausbau interpretieren Polens rechte Regierung und ihr gefällige Medien als Versuch, die Entwicklung des Landes zu stören. Man erinnert in Warschau daran, dass es aus der gleichen Richtung Vorbehalte gegen das Flüssiggasterminal gab, das man in Świnoujście errichten ließ und 2015 in Betrieb nahm, sowie aktuell gegen die verstärkte wirtschaftliche Nutzung der Oder, die wegen der Verschmutzung und des Fischsterbens weiter in den Schlagzeilen bleibt. Im Gegenzug hält Warschau Berlin vor, die Nord-Stream-Pipeline gegen den ausdrücklichen Willen Polens gebaut zu haben. Grund, sich deutschem Druck zu beugen, sieht man nicht. Schon gar nicht wegen des Umweltschutzes, der in der regierenden Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) seit jeher als nachrangig gilt.Jetzt gilt die Devise, Nägel mit Köpfen zu machen. Am 10. Juli unterzeichnete die Hafenbehörde von Szczecin und Świnoujście einen Vorvertrag mit einem internationalen Konsortium über die Finanzierung, den Bau und Betrieb des Tiefwasser-Containerterminals. Dabei wurde der deutschen Seite inzwischen eine Umweltverträglichkeitsprüfung mit ergänzten Unterlagen eingeräumt. Die müsse man nun durchsehen, versichert Reinhard Meyer, SPD-Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern. Er denke im vierten Quartal an ein Treffen im Rahmen der deutsch-polnischen Konsultationen und wünsche sich, dass dazu die betroffenen Kommunen und Verbände aus seinem Bundesland eingeladen würden. Ob es dazu kommt oder nicht – es ist kaum anzunehmen, dass Polens Regierung ihren Ausbauplan verwirft.