„Bleibt alles anders“, wird sich dieser suggestive Songtitel Herbert Grönemeyers in absehbarer Zeit als Beschreibung der neuen polnischen Verhältnisse Ende 2023 erweisen? Vieles deutet darauf hin. Ex-Premierminister Donald Tusk (bereits 2007 bis 2014 im Amt) ist mit deutlicher Mehrheit erneut zum Regierungschef gewählt. Es brauchte dazu den sogenannten zweiten Verfassungsschritt, also den des direkten Vorschlags und der Wahl durch die neue Parlamentsmehrheit. Im ersten Verfassungsschritt hatte Staatspräsident Andrzej Duda noch den bislang amtierenden Premierminister Mateusz Morawiecki von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit der Regierungsbildung beauftragt.
Auf verlorenem Posten stehend, lieferte der zu Wochenanfang im Sejm die wohl beste Rede seiner
ede seiner Karriere ab, kritisierte den Neoliberalismus, lobte im Grunde linken Staatsinterventionsmus und wirkte wie ein aufgeklärter Konservativer. Doch es half nicht, Donald Tusk als neuen Regierungschef zu verhindern. Durch den Posten des EU-Ratspräsidenten zwischen 2014 und 2019 international erfahren, will der 66-Jährige nun alles oder vieles anders machen als seine Vorgänger.In wichtigen EU-Ländern wird Tusk jede Menge Wohlwollen zuteilZunächst soll mit den westeuropäischen EU-Staaten wieder auf konstruktive Kooperation umgeschaltet werden, ohne dass polnische Interessen zu kurz kommen, sei es in Sachen Migration oder bei strittigen Fragen der Ukraine-Politik. Die Blockade polnischer Spediteure an der Grenze zur Ukraine ist noch in frischer Erinnerung und nicht vollends vorbei. Dass Tusk die Souveränität Polens im europäischen Verbund plötzlich und ausdrücklich hervorhebt, liegt nicht zuletzt an dem gegen ihn erhobenen Vorwurf, ein „deutscher Agent“ zu sein. In diversen Schattierungen hält ihm das die scheidende Regierungspartei seit Jahren vor. Zu Wochenbeginn legte PiS-Chef Jarosław Kaczyński im Sejm mit einer Inbrunst nach, dass Hass und Verachtung gleichermaßen zutage traten. Tusk ging darauf nicht direkt ein, er sagte nur: „Mich wird niemand in der EU ausspielen. Polen wird die Position einer Führungsnation in der EU wiedergewinnen.“Auch wenn das „wieder“ nicht den Realitäten der Vergangenheit entspricht, dürfte sich der als charismatisch und führungsstark geltende Tusk durchaus der derzeit starken internationalen Position seines Landes bewusst sein. Er könnte sie nutzen und aufwerten. Aus Brüssel und den Hauptstädten wichtiger EU-Länder wird ihm gewiss jede Menge Wohlwollen zuteil. Immerhin gilt der erzwungene Regierungsverzicht der PiS als hoffnungsvolles Signal angesichts der EU-weit erstarkenden rechtsnationalen und rechtspopulistischen Kräfte. So hat Tusk vor Wochen nicht lange gezögert, den EU-Parlamentariern seiner Partei Order zu geben, gegen den Resolutionsentwurf zu stimmen, der eine stärkere Föderalisierung der EU vorsah. Auch wird seine Regierung mit ziemlicher Sicherheit der Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine nicht im Wege stehen. Im Gegenteil: Tusk will Kiew unbedingt weiter unterstützen.Wie Kaczyński fühlt sich auch Tusk von Russland bedrohtAllerdings dürfte er stärker als in seiner ersten Regierungszeit zwischen 2007 und 2014 Polens Eigenständigkeit betonen, sodass nicht zuletzt Kontroversen mit Deutschland programmiert sind. Sie öffentlich auszutragen, wird Tusk ein Anliegen sein, um das Stigma vom „deutschen Agenten“ loszuwerden. In der Tat haben jenseits aller einvernehmlichen Rhetorik Berlin und Warschau nicht nur gemeinsame, sondern durchaus divergierende Positionen. Ein von der PiS forcierter Ausbau des Hafens von Swinemünde zum Container-Terminal und damit zur Konkurrenz für Hamburg ist dafür nur ein Beispiel. Ein anderes ergibt sich aus dem bisher vorangetriebenen Projekt, einen zentralen Flughafen bei Warschau zu bauen, der als Hub für den Flug- und Schienenverkehr eine Drehscheibe für Menschen- und Warenströme in Mittelosteuropa sein soll. Tusk hat das Vorhaben Centralny Port Komunikacyjny (CPK) bei seiner Regierungserklärung offen angezweifelt. Sollte es gekippt werden, ist ihm der Vorwurf gewiss, sich im Sinne Berlins zu weigern, Polen in der EU auf Augenhöhe mit den großen Staaten zu bringen. Was nun wird nach der PiS erkennbar anders werden? Vermutlich mehr, als der Premier Tusk angesichts des „Bösen“, das er der PiS vorhält, offen bekunden mag. Der neue, alte Außenminister Radosław Sikorski gilt als ausgesprochen pro-amerikanisch, auch wenn er die Nord-Stream-II-Sprengung im September 2022 den USA zuschrieb. Die von der PiS beschleunigte Aufrüstung – für 2024 waren im Haushaltsentwurf von Vorgänger Morawiecki vier Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Verteidigung und Rüstung vorgesehen – wird nicht grundsätzlich hinterfragt, selbst wenn einige Rüstungsaufträge geprüft und gegebenenfalls „angepasst“ werden. Es geht dabei allein um bessere Offset-Konditionen im Sinne einer stärkeren Teilhabe heimischer Firmen an geplanten Lieferungen aus den USA und Südkorea. Anders sieht es bei der von der PiS beschlossenen Aufstockung der Armee auf langfristig 300.000 Mann aus – dieses Maximum wird gestutzt, auch wenn sich Tusk genauso wie Kaczyński von Russland bedroht fühlt.Die Anhebung des Kindergeldes wird anstandslos übernommen Bis auf Weiteres wird ansonsten ein intervenierender Staat zu beobachten sein, der sich Investitionen und Sozialausgaben leistet – anders, als das in Tusks erster Amtszeit der Fall war. An den dadurch denkbaren Erfolgen muss sich Polens jetzige politische Mehrheit messen lassen. Es ist bezeichnend, dass die neue Regierung das sozialpolitische Flaggschiff der PiS – die Erhöhung des Kindergeldes – anstandslos übernimmt. Es bleibt alles anders.