Kunst Polens Beitrag für die Biennale 2024 wirkt wie ein vergifteter Abschiedsgruß der PiS. Jurorin Joanna Warsza beurteilt ihn als „Endspiel von acht Jahren rechter Herrschaft". Doch er könnte ein Vorgeschmack auf die Zukunft der Biennale sein
Ignacy Czwartos (im Trikot von Korona Kielce) bei der Ausstellungseröffnung in der Nationalen Kunstgalerie Zachęta in Warschau
Foto: Kuba Celej
Wenn die Kunstbiennale in Venedig kommendes Jahr im April eröffnet, sollen die Ausstellungen in den 29 Länderpavillons stärker denn je die kulturellen Grenzen verschwimmen lassen. Den Kuratoren zufolge wird die 60. Ausgabe der weltweit ältesten und größten Ausstellung für zeitgenössische Kunst unter dem Titel „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“ eine Feier der Migration und der Nicht-Zugehörigkeit sein.
Der polnische Pavillon wird jedoch andere Töne anschlagen – und die harmonieren mit den Leitlinien der nationalistisch-populistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die das Land seit 2015 regiert.
Ergebnis der jüngsten Wahlen ist zu erwarten, dass die PiS zum Zeitpunkt der Eröffnung der Biennale nicht mehr im Amt sein wird. Und so wirkt ihr Pavillon wie ein letzter Schuss zum Abschied in den Kulturkriegen, die während ihrer Regierungszeit tobten. Die Kuratorin Joanna Warsza, die Teil der Auswahlkommission war, hat den Pavillon kritisch als „Endspiel von acht Jahren rechter Herrschaft“ bezeichnet.Der Beitrag mit mehr als 35 Werken des Künstlers Ignacy Czwartos zeichnet das Bild eines polnischen Staates, der im 20. Jahrhundert Opfer seiner Nachbarn Deutschland und Russland wurde. Ein noch unvollendetes Gemälde mit dem Titel Nord Stream 2 soll Angela Merkel und Wladimir Putin zeigen, die durch ein brennendes Andreaskreuz in Form eines Hakenkreuzes miteinander verbunden sind, so der Ausstellungsentwurf.Eine lange Wand gegenüber dem Eingang des Pavillons wird mit sieben Gemälden behängt, die Polens „verfluchte Soldaten“ darstellen – antikommunistische polnische Widerstandskämpfer aus der Spätphase des Zweiten Weltkriegs, die die PiS vom Vorwurf der Kriegsverbrechen rehabilitieren will. In einem Raum mit Heiligenfiguren auf Sockeln sollen andere Gemälde Bezüge zwischen Hitlers Waffen-SS und dem verstorbenen russischen Söldnerführer Jewgeni Prigoschin herstellen sowie zwischen dem Holocaust und der Flugzeugkatastrophe von Smolensk, bei der 2010 der damalige polnische Präsident und PiS-Mitbegründer Lech Kaczyński ums Leben kam.Ignacy Czwartos war bisher kein großer Name in der polnischen KunstszeneIm Entwurfsdokument wird die Ausstellung als einmalige Gelegenheit dargestellt, die internationale Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was die Kuratoren als Polens singuläres tragisches Schicksal betrachten. „Die Griechen haben die Tragödie erfunden“, heißt es, „die Polen haben sie einstudiert.“ Piotr Gliński, Minister für Kultur und kulturelles Erbe der PiS-Regierung, kündigte den polnischen Beitrag für die Biennale am 31. Oktober unter dem Titel „Polnische Übungen in der Tragödie der Welt: Zwischen Deutschland und Russland“ an.Karolina Plinta, eine der stellvertretenden Chefredakteurinnen des polnischen Kunstmagazins Szum, sagt: „Czwartos’ Bilder sind eine eklektische Mischung aus allem, was der konservativen Vorstellungswelt gefällig ist. Wenn seine Ausstellung wie geplant stattfindet, wird der polnische Pavillon auf ein antirussisches, aber auch auf ein anti-europäisches Manifest hinauslaufen.“In einem ungewöhnlichen Schritt reichten drei Mitglieder der Auswahlkommission ein Sondervotum ein, in dem sie festhielten, dass Czwartos’ Beitrag stark mit dem offiziellen Thema der Biennale kollidiere. In ihrer Protestnote erklärten die drei Jurorinnen, der Pavillon präsentiere Polen als „homogenes, hermetisches Land, das nur auf sich selbst fokussiert ist und aus der Position des Opfers spricht“, und er spiegele „in keiner Weise die zeitgenössische Kunstszene Polens“.Bis ihn die PiS umarmte, war der Name des 1966 geborenen Czwartos kein bekannter in der polnischen Kunstwelt. Der 57-Jährige ist ein leidenschaftlicher Anhänger des polnischen Fußballvereins Korona Kielce und malt häufig Selbstporträts, auf denen er Trikots oder Schals in den Farben des Vereins trägt. Der Stil seiner plakativ anmutenden Gemälde, die sich auf Porträts aus der Barockzeit, aber auch auf Künstler der Moderne wie Mark Rothko und Kasimir Malewitsch beziehen, ist nicht offenkundig traditionalistisch. Thematisch sind Czwartos’ Gemälde jedoch stark auf die Anliegen der polnischen Rechtsregierung ausgerichtet und vermischen religiöse Ikonografie mit Militärkommandanten aus dem Zweiten Weltkrieg und jüngeren Ereignissen der polnischen Geschichte.In einer Ausstellung in der Nationalen Kunstgalerie Zachęta in Warschau waren in diesem Sommer bereits Czwartos’ Bilder von „verfluchten Soldaten“ zu sehen, darunter mehrere Porträts von Zygmunt Szendzielarz, dem Kommandeur der 5. Wilna-Brigade der polnischen Heimatarmee, der 1944 ein Massaker an litauischen Zivilisten beaufsichtigte, das von Historikern als Kriegsverbrechen bezeichnet wird. Ein Sprecher des litauischen Außenministeriums erklärte auf Anfrage, es werde sich nicht zu einem Kunstwerk äußern, bevor es ausgestellt sei. „Selbst wenn das Kunstwerk eine umstrittene Interpretation historischer Fakten oder Figuren unserer gemeinsamen Geschichte darstellt, sollte die Diskussion darüber zuerst unter Historikern und Kunstkritikern geführt werden“, erklärte er. Das deutsche Außenministerium lehnte es ebenfalls ab, sich zu den Berichten über den Inhalt des polnischen Pavillons zu äußern.Ihr nächster Präsident: der Rechtspopulist Pietrangelo ButtafuocoBei der Biennale 2022 wurde Polen von der Künstlerin Małgorzata Mirga-Tas vertreten, die den polnischen Bergitka-Roma angehört. Kurz nach der Bekanntgabe von Mirga-Tas’ Nominierung entließ die Regierung damals die Direktorin der Galerie Zachęta, der es obliegt, den Pavillon zu kuratieren, und ersetzte sie durch den Maler und Gewerkschaftschef Janusz Janowski.Ob die PiS noch an der Macht sein wird, wenn der polnische Pavillon eröffnet, ist offen. Die von Jarosław Kaczyński geführte Partei erhielt bei den Parlamentswahlen Mitte Oktober die meisten Stimmen und bekam Anfang November eine erste Chance, eine Koalition mit einer Regierungsmehrheit zu bilden. Falls die PiS – was zu erwarten ist – scheitern sollte, hat sich eine breite Koalition von Oppositionskräften unter Führung des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, bereit erklärt, eine Regierung zu bilden.Joanna Warsza, die Co-Kuratorin des polnischen Pavillons 2022 war und gemeinsam mit der Direktorin des Muzeum Warszawy („Museum von Warschau“), Karolina Ziębińska-Lewandowska, und der Kritikerin und Kuratorin Jagna Domżalska in der diesjährigen Jury gegen die Wahl von Czwartos stimmte, sagt: „Was es noch tragischer macht, ist, dass es jetzt passiert, wo es in Polen nach den Wahlen endlich etwas Optimismus gibt.“Nächstes Frühjahr allerdings könnte dieser auf die Nation zentrierte Beitrag des polnischen Pavillons durchaus wie ein Blick in die Zukunft der Biennale von Venedig aussehen: Pietrangelo Buttafuoco, ein der italienischen Rechten nahestehender Journalist, wurde soeben offiziell für die Nachfolge des scheidenden Biennale-Präsidenten Roberto Cicutto nominiert.Buttafuoco war unter anderem Vorsitzender der Jugendorganisation der postfaschistischen Partei Movimento Sociale Italiano und erscheint damit als natürlicher Verbündeter von Giorgia Melonis rechtsextremer Regierungspartei Fratelli d’Italia in ihrem Kampf gegen ein vermeintlich linkes Kultur-Establishment. „Buttafuoco steht für einen Wandel der Gangart, den die Regierung Meloni jeder Kultur- und Sozialeinrichtung der Nation auferlegen will“, frohlockte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Fratelli d’Italia angesichts der Nominierung.Kuratoren, die an früheren Ausgaben der Biennale beteiligt waren, fürchten indes, dass die Nominierung des 60-Jährigen einem Muster folgt, das aus Polen und Ungarn bekannt ist: Rechtspopulistische Regierungen rekrutieren Polemiker, die ihnen ideologisch nahestehen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Buttafuoco am Ende beide Seiten überraschen wird, da er nicht nur rechtskonservativ, sondern auch ausgesprochen exzentrisch ist. 2015 etwa konvertierte er zum Islam, da dies in Einklang mit der Geschichte seiner Heimat Sizilien stehe. Als möglichen Kandidaten für den Gouverneursposten in Sizilien lehnte Meloni ihn im selben Jahr aus diesem Grund ab.In den 1980ern und 1990ern wurde die Biennale von Architekten und Filmkritikern geleitet, die vergangenen 25 Jahre waren die Ära der Technokraten: Ökonomen und Bankmanager, der 2020 ernannte Roberto Cicutto war Filmproduzent. Biennale-Präsidenten, die offen politisch agieren, waren bisher die Ausnahme.Placeholder authorbio-1
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