In Warschau wird die seit 2015 regierende rechtsnationalistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) demnächst wohl abdanken. Ein liberales Bündnis der Mitte aus drei Parteien strebt eine Koalition an – darauf haben Millionen Menschen in Polen acht lange Jahre gewartet. Der neue und zugleich alte starke Mann heißt nun Donald Tusk. Dem Ex-Premierminister muss man einen gehörigen Anteil am Wahlerfolg der Oppositionsparteien zugestehen. Nicht nur die von ihm geführte Bürgerkoalition (KO), auch die mutmaßlichen Partner in spe des ehemaligen EU-Ratspräsidenten – die liberal-konservative Zwei-Parteien-Allianz Dritter Weg (TD) wie das Linksbündnis Lewica – konnten von dem Wirbel profitieren, der den Wahlkampf zu einer teils abstrusen Schlacht der PiS gegen Tusk werden ließ.
Fast 75 Prozent: Eine Rekordwahlbeteiligung
Die stellte sich selbst ein Bein, als sie allzu sehr auf den Faktor Angst setzte: Angst vor ins Land strömenden Migranten, Angst vor dem „deutschen“ Tusk, Angst vor der Brüsseler EU-Zentrale und vor Russland sowieso. Allein die PiS, so die Botschaft, sei der Sicherheitsgarant gegen die allgemeine Verunsicherung. Doch versagte dieses Narrativ bei Millionen Polen nicht nur deshalb, weil sie es als falsch erkannten, sondern als geradezu abstoßend empfanden. Nicht zuletzt daraus resultierte womöglich die Rekordwahlbeteiligung von fast 75 Prozent.
Mit diesem Wahlergebnis geht die Erkenntnis einher – sie gilt für von Nationalisten geführte Regierungen in Europa ebenso wie für Staaten, in denen sich dieses Lager der Macht nähert: Der Mut zu Alternativen wird belohnt, die sich einem Spiel mit Ängsten verweigern. Sicher schwenken Tusk und andere Oppositionelle ebenfalls das anti-migrantische Banner, aber sie tun es diskreter und nicht hasserfüllt.
Jungen wählen (auch) links
Freilich werden die Wahlsieger bei ihrem Aufbruch zur Macht wegen der auf die PiS zurückgehenden hybriden Demokratie auf Widerstände stoßen, allein schon wegen des mit einem Vetorecht ausgestatteten Staatspräsidenten Andrzej Duda. Außerdem dürfte der Linken bewusst sein, dass sie als Juniorpartner einer Regierungskoalition zwischen den größeren wirtschaftsliberalen Parteien leicht zerrieben werden kann.
Ungeachtet dessen hat dieses Votum gezeigt, dass auch in einem verzerrten politischen Wettbewerb, bei dem sich eine Regierung des gesamten Staatsapparates bedienen kann, ein solcher Triumph möglich ist. Die Opposition vermochte für ihre Ziele zu mobilisieren, auch wenn die 18- bis 29-Jährigen das Kreuz überproportional häufig bei der nationalistisch-libertären Konfederacja machten, die allerdings schwächer abschnitt als erwartet. Insgesamt jedoch stimmten die Jungen verstärkt für die Linke, was hoffen lässt.
Die Frage wird sein, ob eine Regierung Tusk etwas weniger Hurra-Amerika-Politik riskiert, den Aufrüstungskurs der Kaczyński-Partei stutzt und zugleich sinnvolle Reformen der PiS nicht verwirft. Diese stand neben ihrem cholerischen Umgang mit der EU, den politisch motivierten Eingriffen in das Justizwesen und einer signifikanten Xenophobie eben auch für wichtige Sozial- und Arbeitsmarktreformen sowie einen Staat, der in den Markt eingreifen kann und will. An der dadurch verringerten Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Land und Stadt müssen sich die Nachfolger messen lassen. An der Warschauer Börse jedenfalls stieg zu Wochenbeginn der Leitindex, und die Währung des Nicht-Euro-Staates erwies sich als stabil. Polen dürfte wieder mehr Nähe zur EU suchen – im Zeichen eines wirtschaftsliberalen Kurses.
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