Warschauer Sicherheitsforum: Fragen zu Verhandlungen bleiben unbeantwortet
Keine Kompromisse Auf dem diesjährigen Warsaw Security Forum in Polen lautet der Grundtenor weiterhin: Krieg bis zum Sieg über Russland. Die Notwendigkeit einer erheblichen Aufrüstung im Westen wird dabei als selbstverständlich angesehen
Die Szene spricht für sich: Auf einem der Podien des 10. Warschauer Sicherheitsforums (WSF), einer mit hochrangigen Gästen aus Politik, Militär und Industrie besetzten Konferenz zu Verteidigung und Krieg, bleibt man unter sich. Es sitzen da drei Verteidigungs- bzw. Außenminister aus Schweden, der Slowakei und Rumänien, dazu die ehemalige EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Man spricht über „Strategische Autonomie und Europas transatlantische Verpflichtungen“. Die Rede ist von größerer Energieunabhängigkeit von Russland, von hochzufahrender Rüstungsproduktion in EU-Staaten und der engen Zusammenarbeit mit den USA angesichts des Krieges in der Ukraine.
Begriffe wie Friedenssuche, Verhandlungen, Kompromiss fallen kein einzig
Begriffe wie Friedenssuche, Verhandlungen, Kompromiss fallen kein einziges Mal, auch nicht, als über die Sicherheitsinteressen der EU gesprochen wird. Die Diskutanten antworten auf einige Fragen aus dem Publikum. Auf die Nachfrage des Freitag, ob es „im Interesse der EU wäre, nach Wegen für Verhandlungen und einer möglichst zügigen Beendigung des Krieges zu suchen, auch in diplomatischen Hinterzimmern“, weist Katarzyna Piskorska, Moderatorin und Chefin des WSF, die Frage einfach ab. Keiner auf dem Podium widersetzt sich. Die Frage bleibt unbeantwortet. Massive Präsenz internationaler Rüstungsfirmen Das Warsaw Security Forum wird vom polnischen Think-Tank Casimir Pulaski Stiftung organisiert, die eng mit internationalen, institutionellen Partnern aus Politik, Wirtschaft und Rüstungsindustrie kooperiert – mit der NATO, der Konrad-Adenauer- und der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem Polnisch-Amerikanischen Freedom House usw.. Die Konferenz selbst ist Teil eines Programms von USAID, der US-Behörde für internationale Entwicklung (siehe Partner).Auffallend beim diesjährigen Meeting ist die massive Präsenz internationaler Rüstungsfirmen. Bei „industriellen Präsentationen“ zwischen den Panels werben sie nicht nur generell für ihre Waffensysteme, sondern gezielt für Kooperationen mit und Verkäufe an Polen. Polen steht spätestens seit dem russischen Einfall in der Ukraine und der massiv gestiegenen Rüstungsausgaben im Fokus. Ein Vertreter des Konsortiums der europäischen Rüstungsfirmen Airbus, BAE und Leonardo versucht, den polnischen Streitkräften das Kampfflugzeug Eurofighter Typhoon schmackhaft zu machen – bislang liebäugelt Warschau mit dem Kauf südkoreanischer Jets. Der US-Rüstungsriese Boeing muss indes nicht mehr werben, er präsentiert den Apache-Kampfhubschrauber – der US-Kongress gab vor rund einem Monat grünes Licht für die Lieferung von 96 dieser Helikopter an Polen, das mit dem Zwölf-Milliarden-Dollar-Kauf nach den USA über die weltweit zweitgrößte Apache-Flotte verfügen würde. Placeholder image-1Nicht nur Truppen an der OstflankeJenseits dieses Rüstungslobbyimus beim WSF geht es um den Ukraine-Krieg. Grundtenor: die Ukraine müsse weiter aufgerüstet werden, die EU ein größeres Engagement zeigen, langfristiges Ziel sei eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO. Unmittelbar zuvor haben fast alle EU-Außenminister in Kiew mit der ukrainischen Führung getagt. Man habe über Sicherheitsgarantien gesprochen, „die wir der Ukraine bieten können … damit sie gegen die Aggression und die Destabilisierung durch Russland bestehen kann“, sagte der EU-Außenbeauftragte Joseph Borell. Von diesem Geist ist auch das WSF geprägt. Dieser Krieg, so etwa Andrew Michta vom US-Think-Tank Atlantic Council, sei „ein systemverändernder, es gibt keinen Weg zurück zum Status quo ante“. Angus Lapsley, Stellvertretender NATO-Generalsekretär für Verteidigungspolitik und -planung, findet, die Allianz müsse nicht nur die Truppen an der Ostflanke des Bündnisses verstärken. „Wir müssen in Begriffen einer allgemeinen Abschreckung denken. Es geht nicht nur darum, ob zehn oder zwanzig Bataillone an der Frontlinie sitzen, sondern wie wir die gesamten Truppen nutzen.“ Der britische General Paul Newton bricht eine Lanze für eine größere Verzahnung von staatlicher Führung mit der Rüstungsindustrie: „Ich habe mit vielen guten Unternehmen bei Trainings- und Transformationsprogrammen für die Armee zusammengearbeitet, und wir suchten nach neuen Lösungen. Das Team kam auf uns zu mit den Worten: ‚whatever it takes’ (was immer es braucht – J.O.).“ Man müsse proaktiv handeln, bevor politische Entscheidungen fielen. Die Demokratien bewegten sich recht langsam.„Europa, tritt vor!“Dieses „was immer es braucht“ – oder vielmehr: „wie viel es braucht“, war ebenfalls Thema. Der jüngste Haushaltsbeschluss im US-Kongress, vorerst keine weiteren Mittel für den Waffentransfer in die Ukraine vorzusehen, ist Teilnehmern des WSF Anlass, die EU stärker in die Pflicht zu nehmen. „Wir müssen möglicherweise mehr tun, wenn sich die Amerikaner zurückziehen, diese jüngsten Signale aus Washington müssen ernstgenommen werden“, meint Carl Bildt, Ex-Premier Schwedens und Co-Chef des European Council of Foreign Affairs (ECFR). Das sieht der ehemalige Nationale Sicherheitsberater der USA (2017–2018 im Amt) und Ex-General Herbert McMaster ähnlich. „Europa, tritt vor! Polen ist angetreten. Andere Nationen auch, andere haben es nicht getan“, so McMaster. Die US-Wähler müssten ihrerseits verstehen, dass Unterstützung für die Ukraine im US-Interesse liege. „Und sie müssen verstehen: Dieser Krieg erschöpft unsere Verteidigungsindustrie oder unsere kritischen Waffenbestände ganz und gar nicht. Tatsächlich hat uns der Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 endlich bewusst gemacht, und hoffentlich nicht zu spät, dass wir in der Verteidigungsindustrie einen großen Partner haben.“ Weimarer Dreieck soll mehr ran Der massive Anstieg von Verteidigungs- und Rüstungsausgaben wird derzeit dies- und jenseits des Atlantik vor allem aus Schulden finanziert, während an vielen anderen Stellen Kürzungen anstehen. Auf die Frage, wie man die Bevölkerungen für eine so kostspielige Aufrüstung gewinnen könne, sagte Justyna Grotowska, Vize-Direktorin des polnischen Think-Tanks „Zentrum für Osteuropäische Studien“: „Es geht um die Wahrnehmung und das Verständnis, dass wir eine wirkliche ‚Zeitenwende’ erleben und dass Russland und China die europäische Ordnung unterminieren wollen. Es geht darum, wie europäische Regierungen den Gesellschaften diese Bedrohungswahrnehmung kommunizieren können und wie wir die Sicherheitslage einschätzen. An der Ostflanke der NATO ist das Verständnis dafür da. Wenn wir nach Westeuropa blicken, geht es wesentlich langsamer voran.“ Inwieweit ist ein russischer Angriff jenseits der Ukraine realistisch? Darauf wird kaum eingegangen. Thomas Bagger scheint da bereits auf Linie der Osteuropäer. Bagger ist seit wenigen Monaten Staatssekretär des Auswärtigen Amtes und war zuvor ein Jahr lang Botschafter Deutschlands in Polen. „Es ist wichtig, dass wir die Stärkung der Ukraine nicht nur aus Sicht der Verteidigung oder der Last sehen, sondern dass die künftige Frage der Ukraine in der EU wesentlich ist. Wir sollten dies nicht als zusätzliche Last für Europa sehen, sondern faktisch als stärkender, wertvoller Beitrag für eine geopolitisch gestärkte EU.“ Durch den Krieg in der Ukraine, so Bagger, werde Zentral- und Osteuropa eine wesentlich wichtigere Rolle in der EU spielen. „Als ein Deutscher sage ich: Das Weimarer Dreieck (Deutschland, Frankreich, Polen; J.O.) sollte seine besten Tage noch vor sich haben.“Warum keine schnelle Spur auf dem Weg zur NATO?Eine kriegsversehrte Ukrainerin bringt im Panel zu „Ost- und Mitteleuropa als neuem Zentrum der Transatlantischen Sicherheit“ zumindest die Perspektive jener ein, die an der Front kämpfen und sterben. Die junge Frau wirkt gezeichnet von einer schmerzlichen Erfahrung. Die seit 15 Jahren verfolgte NATO-Politik hat die Ukraine hinsichtlich eines möglichen NATO-Beitritts in einen Schwebezustand gebracht und hält sie darin. Das Ergebnis bislang vor allem: der Tod ihrer Freunde und Hunderttausender ihrer Landsleute im Krieg mit Russland. „Wir verlieren jeden Tag tausende Menschenleben. Doch wir sind nicht willkommen in der Familie der Sicherheit. Meine Frage: warum erhält die Ukraine keinen ‚Fast-Track‘, keine schnelle Spur auf dem Weg zur NATO, wie ihn etwa Schweden erhielt?“ Auch sie erhielt keine Antwort.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.