Italien Unser Autor lebt in Rom. Acht Monate nach Giorgia Melonis Amtsantritt zieht er ein Zwischenfazit: Italiens Rechte sitzt fest im Sattel, eine konservative „kulturelle Hegemonie“ ist ihre Strategie für die Zukunft
Giorgia Meloni – die personifizierte Normalisierung des Ausnahmezustands
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Giorgia Meloni hat fast alles richtig gemacht. Sie hat einerseits diejenigen Politauguren Lügen gestraft, die sie als „kleineres Übel“ in einer zur Selbstkannibalisierung neigenden italienischen Rechten nach einigen Monaten am Ende wähnten, aber eben auch diejenigen, die mit ihrer Wahl schon die Schwarzhemden des „Duce“ durch die Straßen marschieren sahen.
Die Aufregung um ihre Wahl ist nicht nur den Belobigungen demokratiefester Politiker gewichen, die befürchtete Orbánisierung Italiens hat innenpolitisch dem Vorwurf zu großer Gefolgschaft Washingtons und Kiews Platz gemacht. Als faschismusträchtig konnte man Meloni vielleicht ein anfangs erlassenes Versammlungsgesetz oder die Wiederaufnahme von Kampagnen für eine hö
s erlassenes Versammlungsgesetz oder die Wiederaufnahme von Kampagnen für eine höhere Geburtenrate zuschreiben – Letztere allerdings hatte es bereits in den Vorgängerregierungen gegeben, aus schierer Verzweiflung über die alterspolitische Katastrophe.Wenn also nun absehbar ist, dass man weder eine rechtere Politik als die Vorgängerregierungen durchführen kann, ganz zu schweigen von einer „rechten“ Politik – an welcher Stelle könnte Italiens Ministerpräsidentin dann ihrer Peergroup das geben, wonach diese begehrt und was zugleich mögliche neue Unterstützer nach sich zieht? Denn die Zahlen sind beeindruckend: Sowohl Giorgia Meloni als Ministerpräsidentin als auch ihre Partei Fratelli d’Italia stehen in Umfragen an vorderster Stelle. Einen Popularitätseinbruch hat dieser Teil der Rechtsallianz nicht zu verzeichnen – im Gegensatz zu Silvio Berlusconis Readymade der Forza Italia und Matteo Salvinis in den nördlichen Regionen erprobter Lega, sowie auch zum Partito Democratico, von dem immer weniger klar ist, wofür er stehen möchte.Gleichwohl bleibt Forza Italia ein Unsicherheitsfaktor – niemand weiß, wofür sich deren Abgeordnete entscheiden. Je mehr diese aber an sich selbst denken, und was sonst sollte ihnen Berlusconi beigebracht haben? – werden sie zunächst den Pakt mit Meloni aufrechterhalten.„Kulturelle Hegemonie“ – der Ausdruck geht auf einen der Stammväter der italienischen Linken, Antonio Gramsci, (1891–1935) zurückIm Rückblick kann man deutlich erkennen, dass, während die Spitzenkandidatin vor allem die Sorgen europäischer und US-amerikanischer Partner zu zerstreuen suchte und sich als „the normal one“ präsentierte, ihre intellektuellen Spindoktoren eine Geschichte des großen Unterschieds in die Welt setzten. Meloni und ihrer Partei nahestehende Stiftungen begannen von der „Cultura di destra“, der rechten Kultur, zu fabulieren, die die „kulturelle Hegemonie“ erlangen sollte. Dieser Ausdruck geht auf Antonio Gramsci (1891 – 1935), einen der Stammväter der italienischen Linken, zurück. In dessen Gefängnisheften, entstanden während der von den Faschisten verhängten Haft, die den unbeugsamen, mit einem unglaublich präzisen Gedächtnis ausgestatteten Mann schließlich ins Grab brachte, taucht der viel zitierte Ausdruck allerdings nur einmal auf.„Kulturelle Hegemonie“ bezeichnete die Fähigkeit, die Agenda in der Presse genauso zu bestimmen wie im Alltag, in den Vereinen, der Kunstszene, der Literatur. Für Gramsci und die Kommunisten war dies noch vor jeder politischen Revolution der Königsweg, um eine Änderung des kollektiven Bewusstseins – und davon ausgehend der politischen Gestaltungskraft – zu erwirken. Dadurch erschien „kulturelle Hegemonie“ vor allem als Gegenbegriff zu den Konzepten der Kirche, die mit den Sakramenten – Taufe, Beichte, Ehe, Sterbesakrament – den Lebenszyklus der Menschen nicht nur begleitete, sondern so gestaltete, dass man an ihr nicht einmal als Ungläubiger vorbeikam.Seit Ende des 20. Jahrhunderts hat nun auch die europäische Rechte – vor allem die sogenannte Nouvelle Droîte unter Alain de Benoist in Frankreich – die „kulturelle Hegemonie“ für sich entdeckt. In Italien konnte man lange darauf vertrauen, dass Kultur irgendwie als „kommunistisch“, jedenfalls als „linksverdächtig“ galt und sie noch durch die „Familie“ und die „Kirche“ abgeschattet war. Die Christdemokraten hatten von wenigen Ausnahmen abgesehen mit Kultur wenig im Sinn, höchstens Berlusconi und seinem aus einem Amalgam von Rechtsanwälten und Firmenzuträgern gebildeten Partei-Konsortium kann man nachsagen, dass sie „kulturelle Hegemonie“ durch die Unzahl ihrer Fernseh- und Pressekanäle ausübten. Das war nicht nur „Bunga-Bunga“ mit „eleganten Abendessen“ und Berlusconi-Groupies, die im Gegensatz zu den mutmaßlichen Opfern deutscher Rockstars nicht mit Rohypnol, sondern beruflichen Aussichten narkotisiert wurden, vielmehr tobte eine ungehemmte Spektakularisierung und Ausbeutung der kulturellen Überlieferung.Auch dagegen wandte sich die „Kultur von rechts“, zumindest wenn sie als „konservative Revolution“ mit reaktionärem Chic einherkam. In Italien könnte man vor allem die um 2010 medial erfolgreiche „Casa Pound“ nennen, eine von einem Koch, Schriftsteller und vermutlich Geheimdienstzuträger geleitete Einrichtung, die den „Faschismus des 3. Jahrtausends“ angeblich „jenseits von rechts und links“ als Programm zur Einrichtung weltweiter Ethno-Ghettos des sogenannten Ethnopluralismus verkündete. In Rom besetzten die Aktivisten ein Haus in einem stark von chinesischen Geschäftsleuten geprägten Viertel, hielten Vortragsabende und beriefen sich auf das Erbe des für verrückt erklärten, genialischen, leider auch antisemitischen Dichters Ezra Pound. Als „Casa Pound“ allerdings wegen ihrer Kontakte zur römischen Halbwelt in die Schlagzeilen geriet, verwelkte auch diese Diskursblüte.Es ist also nicht ganz risikolos, wenn Melonis Spindoktoren heute wieder von der „kulturellen Hegemonie“ zu sprechen anheben, die die Rechte erobern müsse. Schon allein deshalb nicht, weil das Konzept eben eines der Opposition ist – diese Hegemonie wird eingefordert von jenen, die gerade nicht an der Macht sind. Wenn nun Gennaro Sangiuliano, Italiens Kulturminister, oder Fabrizio Tatarella, Vizepräsident der gleichnamigen Stiftung, darauf Bezug nehmen, so gestehen sie ein, dass für die Rechte an der Regierung zu sein als Machtbeweis noch nicht ausreicht.Dieser Gestus wird nun zur Grundlage der Kulturpolitik: Italien ist groß, schön, und das möge die ganze Welt wissenBleibt nicht zuletzt die Frage, in welche Kulturpolitik diese rechte Kultur münden solle. Hier tut sich besonders der schillernde Kulturminister selbst hervor. Sangiuliano stammt aus Neapel und war dort von Jugend an in Organisationen des Movimento Sociale Italiano (MSI) aktiv, der unmittelbaren faschistischen Nachfolgepartei und damit eine der Vorgängerinnen von Melonis Fratelli d’Italia. Das MSI war im Süden ideologisch heterogen: enttäuschte Meridionalisten, die die italienische Einheit als unvollendet ansahen, fanden sich genauso darin wie klientelismuskritische Jugendliche, enthusiastische Leser des Neuheiden Julius C. Evola oder Konservative, die vor allem die Mafia bekämpft wissen wollten. Man darf es häufig nicht laut sagen: aber auch Giovanni Falcone, Siziliens berühmter und bei einem Attentat getöteter Mafiajäger, wurde in den Jugendorganisationen des MSI sozialisiert.Sangiuliano nun ist von Hause aus das, was die meisten italienischen Politiker, die keine Juristen sind, als Beruf angeben: Journalist. Er hat außerdem Bücher über Lenin auf Capri, Putin als Zar und über Trump verfasst. Der Mythos des starken Mannes scheint besonders dort zu gefallen, wo er Italien berührt. Der starke Mann gehört zum Stil des Faschismus, der sich übrigens selbst – in der Enciclopedia Treccani, so etwas wie die Encyclopedia Britannica auf Italienisch – als „uno stile“ definiert wissen wollte. Dieser Gestus wird nun zur Grundlage der Kulturpolitik: Italien ist groß, schön, und das möge die ganze Welt wissen. Man investiert in Imagekampagnen, tritt gegen zeitweilige Schließungen von Museen an, deren Leitungen außerdem italianisiert werden sollen.Nicht in Italien geborene Professoren oder Akteure im Kulturbetrieb kann man zwar mit der Lupe suchen, aber dank des vorletzten Kulturministers, ebenfalls ein Autor, wenngleich von Romanen – waren immerhin ausländische Direktorinnen und Direktoren für wichtige Museen wie die Ausgrabungen von Pompeji oder die Uffizien in Florenz berufen worden. Allerdings hatten diese dann genau jene Kommerzialisierung betrieben, die ihnen von eingesessenen Museumsleuten vorgeworfen wurde, während die Politik applaudierte. Kulturpolitisch relevante Fragestellungen zu entwerfen, die als Grundlage für Ausstellungen dienen, das ist in Italien seit Jahrzehnten unmöglich. Die großartigen Bestände, viele in den Depots, wollen schlicht nur gezeigt werden. Und deshalb sind – um es mit den Worten eines italienischen Kritikers zu sagen – die meisten „mostre“ (Ausstellungen) eben „mostri“ (Monster).Hier gab es keinen Solidarisierungseffekt: Zu viele Italiener haben sich von ihrem Rundfunk abgewandt, der seine Gebühren über die Stromrechnung eintreiben lässtDie Re-Italianisierung der direkt vom Ministerium zu berufenden Häupter der bedeutendsten Kulturinstitute wird Italien vermutlich weiter provinzialisieren. Zwar könnte darin eigentlich die Chance bestehen, unbequeme Akademiker, die nicht allzu eng vernetzt sind mit den sogenannten „baroni“, in die vorderste Reihe zu befördern – nur werden gerade diese Personen mit der Ausrichtung des Ministeriums kaum übereinstimmen. Die hinteren Reihen der oftmals prekär beschäftigten Akademikerinnen und Akademiker wittern trotzdem Morgenluft: mehr Posten für mehr Italiener, das verspricht Sangiuliano. Einem oft nur rhetorischen „Antifaschismus“ zieht man so leichter den Zahn.Wer, wie der Kulturminister, ununterbrochen große Männer im Wort führt, erscheint selbst als Riese, auch wenn er nur ein Scheinriese ist. Dass diese Strategie aufgehen könnte, belegen zwei glamouröse Zwiste der vergangenen Wochen. Zuerst wurde der Physiker und Sachbuchautor Carlo Rovelli, eine geachtete Stimme skeptischer Vernunft, als Eröffnungsredner für das Buchmesse-Gastland Italien 2024 ausgeladen – vom italienischen Pendant des Börsenvereins. Das geschah in vorauseilendem Gehorsam, hatte doch Rovelli den italienischen Verteidigungsminister beim traditionellen Megakonzert am 1. Mai in Rom heftig kritisiert. Die Minister zeigten sich großmütig, sodass die Ausladung widerrufen wurde. Außerdem verlängerte die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt RAI den Vertrag mit dem Moderator Fabio Fazi nicht, der allgemein dem bürgerlichen Juste-Milieu zugerechnet wird.Das war interessant vor dem Hintergrund, dass Giorgia Meloni seit 2017 die „Heuchelei“ beklagt, mit der „jemand elf Millionen Euro verdient, um darüber herzuziehen, was in Italien nicht funktioniert, und zu belehren, wie es funktionieren sollte“. Hier allerdings gab es keinen Solidarisierungseffekt: Zu viele Italiener haben sich von ihrem Rundfunk abgewandt, der seine Gebühren über die Stromrechnung eintreiben lässt. Die kultische Selbstverehrung – bis dahin, dass die Begräbnisse von Moderatoren live im Fernsehen übertragen wurden – hatte als eine Bastion der guten alten Zeit bizarre Züge angenommen.Rechte Kulturpolitik ist also zunächst einmal populistisch. Sie deckt Reformbedarf auf und nährt die Illusion einer Tabula rasa, auf der sich die Besten durchsetzen werden – also die im aktuellen Zustand Bedürftigsten. „Kulturelle Hegemonie“ von rechts bedeutet somit nichts anderes als die Normalisierung eines permanenten Ausnahmezustands.