Die „Bonner Ernährungstage“ sind eine Fachtagung der Gesellschaft für Ernährung, die Ende August zusammen mit dem Bundeszentrum für Ernährung (BzfE) stattfand. Mein Dank geht an Eva Zovko, der Leiterin des BzfE, der das Thema ein so wichtiges Anliegen ist, dass die Fachtagung ein kostenloses Onlinestreaming für alle Interessierten angeboten hat. Somit konnten auch Armutsbetroffene, insofern sie die technische Ausrüstung dazu hatten, am Bildschirm teilnehmen. Das Motto lautete: „Ernährungsarmut in Deutschland – sehen, verstehen, begegnen“
Das Programm bestand aus Fachvorträgen, der Vorstellung verschiedener sozialer Projekte und einer Diskussionsrunde. Ebenfalls diskutiert wurde, ob es wichtiger sei, die Ernährungskompetenz der Betroffenen zu fördern, weil dort ein Defizit vorläge oder ob eine Regelsatzerhöhung das Problem lösen könnte.
Wussten Sie, dass in Deutschland der sogenannte versteckte Hunger ein großes Problem ist?
Unter diesem Begriff versteht man einen Mangel an Mikronährstoffen, die der Körper dringend benötigt, der aber durch die Ernährung nicht gedeckt wird. Neben Senioren sind vor allem Arme betroffen. Es fehlt an ausreichender Versorgung mit Eisen, Jod, Folsäure, Kalzium, Kalium und den Vitaminen E und D.
Der „blinde Fleck“ Ernährungsarmut
Ernährungsarmut ist in armutsbetroffenen Haushalten wenig erforscht, daher gibt es kaum Zahlen. Was auf den Bonner Ernährungstagen als „blinder Fleck“ in der Forschung beschrieben wurde.
Journalist und Autor Martin Rücker zeigte in seinem Vortrag eindrucksvoll, wie Ernährungsarmut das Leben von Kindern beeinträchtigt. Strukturelle Armut verhindere die soziale Teilhabe. Öffentlich geförderte Schulverpflegung wie in Schweden würde bei uns in Deutschland der Ernährungsarmut von Kindern deutlich entgegenwirken.
Er bemängelte, dass die Höhe des Geldbedarfs für gesunde Ernährung bei der Regelsatzbemessung nicht ermittelt werde. Mit dem Hinweis auf die schlechte Datenlage über armutsbedingten Mangel gibt es in diesem Forschungsbereich noch viel zu tun.
Armut und Mangelernährung bedingen einander. Armutsbetroffene Menschen priorisierten eher Nahrungsmittel, die reich an Kalorien seien und damit sättigten, aber arm an Nährstoffen. So komme es zu einer Unterversorgung, die sich negativ auf die Gesundheit auswirke. Er ging in seinem Vortrag noch weiter und sagte, dass unsere jetzige Sozialpolitik Armut fördert. Er kritisierte die fehlende Verzahnung von Ernährungspolitik und Sozialpolitik.
Anprangern von armen Menschen
Tina Bartelmeß, Ernährungssoziologin an der Universität Bayreuth, belegte anhand der Auswertung der Tweets unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen eindrücklich, dass Armut sich auf das Ernährungsverhalten auswirkt. Sie kritisierte die „öffentliche Anprangerung“ armer Menschen, denen Inkompetenz in Ernährungsfragen unterstellt werde und den Druck, „Rollen erwartungskonform zu erfüllen“.
Andreas Aust vom Paritätischen Wohlfahrtverband betonte, wie wichtig das Problembewusstsein für das nationale Problem der Armut in Deutschland sei. Der Anstieg der Tafelausgabestellen zeige für ihn das Versagen des Sozialstaates.
Gerne wird hier die Verantwortung auf die Transferleistungsbezieher geschoben, oder wie Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir behauptete: Bürgergeldbezieher sind unfähig, wirtschaftlich einzukaufen. Ich kann dazu aus eigener Erfahrung sagen, dass die Regelsätze momentan keine Möglichkeit bieten, sich nährstoffreich und gesund zu ernähren – ohne auf Unterstützung von der Tafel oder Freunden und der Familie zu hoffen, die nicht armutsbetroffen sind.
Vergessen wird oft, dass gemeinsames Essen soziale Teilhabe ist. Schon deshalb sollte Essen in Schul- und Kindertagesstätten kostenlos sein. Bildung und die Erhöhung von Regelsätzen gegeneinander auszuspielen bringt nichts. Fakt ist, dass gute Ernährung ein Garant für bessere Bildung ist, was auf den „Bonner Ernährungstagen“ eindrucksvoll belegt wurde.
Haben oder nicht Haben
In der Podiumsdiskussion über Ernährungsarmut im Alltag zeigten die Beiträge des Armutsbetroffenen Thomas W. deutlich, was es bedeutet, arm zu sein und zur Tafel zu müssen. Auch der Poetry Slam von Ella Elia Anschein zur Armut ging den Teilnehmenden unter die Haut. Sie trug einen kraftvollen Text vor, der nicht nur mich zum Weinen brachte.
Ich bin als Armutsbetroffene dankbar, dass ich miterleben durfte, wie vielseitig und professionell Menschen, die nicht betroffen sind, sich mit dem Thema beschäftigen. Hoffnung und Mut habe ich schöpfen können, dass die anwesenden Wissenschaftler*innen sich an die Politik mit ihren Erkenntnissen wenden werden, weil sie erkannt haben, wie wichtig es ist, dass es eine politische Lösung für die Problematik der Mangelernährung geben muss.
Nach all diesen Informationen merkt man den Teilnehmenden an, wie sehr die deutliche Armutsproblematik diese nicht von Armut betroffenen Menschen erschüttert hat. Der Impuls unbedingt helfen zu wollen, ist da.
Ein Fazit ist, dass Aufklärung über gesunde Ernährung sinnvoll ist, da nicht alle dies in der Schule gelernt haben. Wenn mir jemand zeigt, wie ich günstig und gesund für 6 Euro am Tag kochen kann, dann bringt das Wissen nichts, wenn ich die 6 Euro nicht habe.
Es ist notwendig, dass es mehr Geld für Bedürftige geben muss, damit sie gesunde Lebensmittel einkaufen können. Oder um bei dem bekannten Satz zu bleiben: Gegen Armut hilft Geld.
Janina Lütt lebt mit ihrem Kind in Elmshorn. Auf freitag.de schreibt sie eine regelmäßige Kolumne über den Kampf mit und gegen Armut
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