Mythen über das Bürgergeld: Nein, hier bekommt niemand so schnell Geld vom Staat

Kolumne Armutsbetroffen Unsere Autorin ärgert sich über die Behauptung, dass Menschen nach Deutschland kommen, um sich direkt in die soziale Hängematte zu legen. Aus eigener Erfahrung weiß sie: So einfach ist das alles nicht
Mythen über das Bürgergeld: Nein, hier bekommt niemand so schnell Geld vom Staat

Foto: Imago/alimdi

Es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht Artikel über das Bürgergeld lese. Leider gibt es in den Medien diesbezüglich, besonders für den populistischen Nutzen, eine Flut an Falschinformationen, die ihresgleichen sucht. Es fängt damit an, dass eine seriöse Berliner Zeitung schreibt, dass alle, die nach Deutschland kommen, Bürgergeld erhalten. Das ist nicht nur falsch, sondern auch noch eine populistische Lüge, mit der Stimmung gegen Zuwanderer gemacht werden soll.

Wie sieht die Realität aus?

Die Voraussetzungen für das Bürgergeld sind Bedürftigkeit, Erwerbsfähigkeit und ein deutscher Wohnsitz. Das Mindestalter für den Bezug ist 15 Jahre. Bevor aber überhaupt Bürgergeld beantragt werden kann, müssen zuerst alle anderen Sozialleistungen in Betracht gezogen werden.

Diese sind: Arbeitslosengeld I, Kindergeld oder Kinderzuschlag und Unterhalt, Elterngeld, Mutterschaftsgeld, Erwerbsminderungsrente, Witwen- und Witwerrente, Waisenrente, Krankengeld, Wohngeld oder Bafög.

Reichen diese Mittel nicht oder werden nicht bewilligt, dann kann man Bürgergeld beantragen. Rentner bekommen kein Bürgergeld. Für Bedürftige mit Rentenbezug gibt es die Grundsicherung im Alter. Außerdem richtet sich die Grundsicherung an dauerhaft erkrankte Bürgerinnen und Bürger, die voll erwerbsgemindert sind.

Asylbewerbergesetz

Asylbewerber, deren Asylantrag noch NICHT anerkannt ist, bekommen KEIN Bürgergeld! Sie bekommen Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz, die unter dem Bürgergeldsatz liegen.

Ausländer mit einer EU-Staatsbürgerschaft sind berechtigt, wenn sie die oben genannten Zugangsbedingungen erfüllen und einen ständigen Wohnsitz in Deutschland besitzen. Bei europäischen Gastarbeitern wird eine Ausnahme gemacht.

Bei Geflüchteten aus der Ukraine wurde das Asylverfahren aus verwaltungstechnischen Gründen und der offensichtlichen Tatsache, dass dort Krieg herrscht, nicht angewendet. Sie gelten als anerkannte Kriegsflüchtlinge und haben gleiche Rechte wie anerkannte Asylbewerber. Das heißt, wenn sie bedürftig, erwerbsfähig und über 15 Jahre alt sind, können sie, nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten, Bürgergeld beantragen.

Bedürftigkeitsprüfung

Die Bürgergeldbeantragung enthält eine sogenannte Bedürftigkeitsprüfung, in der das eventuelle Vermögen offengelegt werden muss. Fällt dieses unter die Schongrenze von 40.000 Euro (Einzelperson), wird das Bürgergeld bewilligt. Niemand bekommt in Deutschland ungeprüft Sozialleistungen! Es ist eine ekelhafte Lüge zu behaupten, bei uns bekämen Geflüchtete oder Asylbewerber ALLES geschenkt.

Ich gehöre zu den Grundsicherungsempfängerinnen, weil meine Rente nicht zum Leben reicht. Ich musste einen Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt stellen. Dieser Bedarf wird jährlich geprüft, indem ich meine Kontoauszüge der letzten drei Monate einreiche. Bei der Grundsicherung und beim Bürgergeld ist der Satz gleich: 502 Euro für eine Person.

Wer Bürgergeld bezieht, dem bezahlt das Jobcenter die Wohnungsmiete und die Heizkosten. Auch diese werden nur bezahlt, wenn die Wohnung für den Sachbearbeiter als finanziell angemessen gilt. Das Gleiche gilt für die Heizkosten. Niemand im Bürgergeldbezug darf in einer zu großen Wohnung wohnen, sonst werden die Unterkunftskosten gar nicht oder nur anteilig übernommen.

Bürgergeld führt in eine Armutsspirale

Bürgergeldbezug bedeutet nicht, dass alles selbstverständlich bezahlt wird. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass akribisch darauf geachtet wird, dass alles möglichst wenig Kosten verursacht. Das Leben mit Bürgergeld ist kein Luxus und nichts, was ich als erstrebenswert erachte, dann spätestens nach sechs Monaten geraten sie als Bezieherin in erste finanzielle Probleme, falls die Waschmaschine, PC oder das Auto kaputt geht. Wenn sich die Ausgaben anhäufen, ist es der erste Schritt nach unten in die Armutsspirale.

Wer also immer noch behauptet, das Bürgergeld sei ausreichend, den bitte ich, ein Jahr damit zu leben. Die sogenannte soziale Hängematte ist eine Erfindung von Menschen, die nie arm waren und so das neoliberale Weltbild fördern.

Armut bedeutet dauerhaft Stress. Armut ist ein Leben mit dauerhafter Mangelerfahrung. Sei es finanziell, gesellschaftlich oder seelisch.

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

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Geschrieben von

Janina Lütt

Kolumnistin

Janina Lütt ist armutsbetroffen, sie bestreitet ihre Leben für sich und ihre Tochter mit Erwerbsminderungsrente auf Bürgergeld-Niveau. In ihrer regelmäßigen Kolumne auf freitag.de berichtet sie über den Alltag mit zu wenig Geld, über die Sozialpolitik aus der Perspektive von unten, über den Umgang mit ihrer Depression und über das Empowerment durch das Netzwerk #ichbinarmutsbetroffen: @armutsbetroffen

Janina Lütt

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