Fremd und ganz nah

Kommentar Studierende der Beuth Hochschule drehten Kurzfilme in Siebenbürgen. Heraus kam das Projekt „Filmschool Katzendorf“. Naiv – und dennoch gelungen

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Dieses Filmprojekt begann so wie eigentlich alles in Rumänien anfängt: mit dem Bekannten eines Bekannten. In diesem Fall war der Bekannte ein Professor an der Beuth Hochschule für Technik Berlin. Und dieser Professor, Dr. Titus Faschina, hat einen Bekannten in Rumänien, Frieder Schuller.

Im Sommer 2019 reiste Faschina mit 11 Studierenden, einigen DolmetscherInnen, jeder Menge Technik und der Idee für ein Filmprojekt nach Siebenbürgen. Herausgekommen sind fünf Kurzfilme, die heute im Berliner City Kino Wedding einem breiten Publikum bezeigt wurden.

Den Auftakt des rein studentisch durchgeführten Screenings bildete der Film Întâlniri – Begegnungen”. Im Zentrum des Films steht das Zentrum des Dorfes, der zentrale Platz, eine Kreuzung. Ein trostloses Gebäude, von dem die letzte Farbe des roten Schriftzuges „Cofetarie“ abblättert, bildet den Hintergrund der gesamten Handlung. Der staubige Vorplatz ist die Bühne, auf der das Leben der DorfbewohnerInnen spielt. Zum Bühnen-Ensemble gehört eine verfallene Telefonzelle in für Rumänien untypischem Gelb, daneben der Dorf-Kiosk „La Doi Pași” („Auf zwei Schritte“).

Die Kamera ist ruhig, hört den Menschen und ihren Geschichten zu. Zum Beispiel Dénes. „In Rumänien gibt es drei Sorten Menschen“, sagt er, „die ganz Reichen, die Armen und die ganz Armen“. Zu den Armen zählt er sich selbst und auch der Rest der Dorfbevölkerung gehört wohl in diese Kategorie. Der Film zeigt einen Tag am Dorfplatz und man wünscht sich den Sound einer Mundharmonika dazu. Traktoren fahren vorbei, junge Männer beim Bier, Kinder auf viel zu kleinen Rädern. Und die Verkäuferin, die Wert darauf legt, dass sie aus einem anderen Dorf komme. Und dass sie „mit denen“ nicht spreche, nicht über Persönliches.

Dass das rumänische Cața, zu Deutsch Katzendorf, früher ein deutsches Dorf war, dass es heute fast ausschließlich von Roma bewohnt wird, thematisieren die Filme nicht. Stattdessen zeigen sie einfach Menschen. Naivität in ihrer schönsten Form. Allen Filmen eignet eine jugendliche Unvoreingenommenheit an, wie sie selten ist. Erst wenn die Studierenden unreflektiert die Sprache der (siebenbürgischen, jedenfalls rumänischen) ÜbersetzerInnen übernehmen („Zigeuner“), ist eine Grenze überschritten. Naivität ist eben auch Unreflektiertheit. Oder liegt selbst hier noch die Stärke des Projektes? Unvoreingenommen an ein Dorf, einen Landstrich und seine Menschen heranzugehen, ohne Kenntnisse von Sprache, Geschichte, Ethnien, Kulturen, Politik, Diskurs usw.?

Vielleicht. Vielleicht haben die Filme mit ihrer Nähe zu den Porträtierten die großen, schweren Hintergrunderzählungen, die Einordnungen und Kommentare gar nicht nötig. Meist ist selbst das naiv Dargestellte schwer genug. So auch im Film „Doamnă Rebi” (Frau Rebi). Eine alte, gebückte Frau geht am Stock durch meterhohes Gras, über Hügel, die Sonne brennt auf ihren krummen Rücken. Kaum kommt sie vorwärts. Frau Rebi erzählt im Film ihre Geschichte. Sie ist Pilzsammlerin. Mit einem halben Dutzend Kindern geht sie durch den sonnendurchfluteten Mischwald. Keine Waldorfpädagogik kommt wohl an diese Pädagogik heran. Ihr genaues Alter kennt sie nicht, auch die Zahl ihrer EnkelInnen will ihr nicht einfallen. Ihr ganzes Leben hat sie gesammelt, Holz, Pilze, Brombeeren. So einfach es scheint, so wuchtig wirkt die kleine Frau doch in einem Film, der klug komponiert und sensibel gedreht ist.

Die Kurzfilme der Beuth-Studierenden sind in Kooperation mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas entstanden und sie zeigen genau diese nicht. Dies mögen all jene bedauern, deren Heimat in Siebenbürgen liegt. Denn auch die übrigen Filme zeigen Menschen, Hirten, Tiere, Kinder und Alte. Sie zeigen nicht: deutsche Kirchenburgen, deutsche Architektur, deutsche Geschichte. Die Katzendorfer Kirchenburg taugt den jungen FilmemacherInnen bis auf eine Sequenz nicht einmal als Kulisse.

Und damit schlagen sie ein neues Kapitel auf. Sie schreiben eine neue Geschichte dieser Gegend, eine ganz aktuelle. Und damit werden sie den Menschen dieses Dorfes gerecht. Damit kommen sie ihren Erinnerungen („In der Zeit von Ceaușescu...”), Hobbies („Ich fotografiere gern Sonnenuntergänge, die Sonnenaufgänge schaffe ich meist nicht“), ihren Sorgen („Sieben von meinen Verwandten sind tot, zwei sind krank“) und ihrem Alltag („Arbeit, Arbeit, Arbeit“) sehr nah. Wahrscheinlich ohne es gewollt zu haben.

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