Herfried Münkler im Gespräch mit Jakob Augstein: „Für ein AfD-Verbot ist es zu spät“
Im Gespräch Im Osten der Republik läuft sich die AfD warm, um dort ab Herbst das Steuer zu übernehmen. Jakob Augstein hat bei Herfried Münkler nachgefragt, wie wir dem emporsteigenden Rechtsruck begegnen können – hierzulande und auf der ganzen Welt
Herfried Münkler: „Ich habe Angst, dass die AfD mir ein Leben diktiert, welches nicht das meine ist“
Foto: Philipp Plum für der Freitag
Wir leben in revolutionären Zeiten, im ursprünglichen Sinne des Wortes: „Revolutio“ kommt aus dem Lateinischen und heißt „Zurückdrehen“. Nichts anderes tun Trump, AfD und Co.: Sie drehen die Zeiger zurück und wollen Fortschritte rückgängig machen. Lässt sich dieser Trend noch stoppen, Herfried Münkler?
Jakob Augstein: Herr Münkler, eine Mehrheit der Deutschen bekennt sich zur Idee der Demokratie – im Westen sind es mehr als 90 Prozent. Aber wenn man die Leute fragt, was sie in der Praxis von der Demokratie halten, sind nur 51 Prozent zufrieden. Wie kommt diese Lücke zustande?
Herfried Münkler: Die Leute sehen, dass der demokratische Entscheidungsprozess immer zäher wird. Bis zur Bildung des ersten
demokratische Entscheidungsprozess immer zäher wird. Bis zur Bildung des ersten Kabinetts Schröder/Fischer im Jahr 1998 ist jeder Kanzlerwechsel die Folge eines veränderten Koalitionsverhaltens der FDP gewesen. Das hatte eine gewisse Überschaubarkeit der politischen Sphäre zufolge. Mit dem Aufkommen der Grünen änderte sich das und die Macht wurde auf mehr Parteien verteilt. In der aktuellen Dreierkoalition sieht man, welche Folgen das hat: Die Macht hat sich vom Kanzler fast vollständig auf den Koalitionsausschuss verlagert. Dort werden die Entscheidungen getroffen.Na und?Dadurch wird ein reibungsloses Regieren, wie man es in Deutschland gewohnt war, sehr viel komplizierter. Manche Ihrer Kollegen, Herr Augstein, haben das aber noch nicht begriffen.Wie meinen Sie das?Viele Journalisten schreiben bei jeder Ampel-Streitigkeit: Scholz muss jetzt von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen! Die haben noch nicht verstanden, dass die Koalition am Ende wäre, wenn Scholz das regelmäßig täte. Auf jeden Fall sind die Zeiten vorbei, in denen man von Deutschland aus mit einer gewissen Überheblichkeit auf Frankreich und vor allem Italien geschaut hat, weil dort ständig Regierungschaos herrscht.Sollte man das System mit mehr direkter Demokratie pimpen?Die meisten Plebiszite in der deutschen Geschichte fanden in der Nazizeit statt, und zwar zwischen 1933 und 1939. Die Fragen waren natürlich möglichst suggestiv …Heute kämpfen in Deutschland wieder vor allem die Rechten für mehr direktdemokratische Elemente: Während sich die Grünen davon weitestgehend verabschiedet haben, trommelt die AfD für mehr Volksentscheide.Ja, so ist es. Das Problem dabei: Bei Plebisziten müssen sehr komplexe Probleme auf einfache Fragestellungen heruntergebrochen werden. Nehmen Sie die Berliner Bevölkerung, die 2014 gegen die Bebauung des Tempelhofer Feldes gestimmt und sich hinterher gewundert hat, dass dort nicht mehr genügend Baugrundstücke zur Verfügung standen …In der Schweiz laufen die Abstimmungen besser.Die Schweiz mutet ihren Bürgern auch viel zu: Da bekommt man vor der Abstimmung 50-, 60-seitige Konvolute zugeschickt, in denen die unterschiedlichen Folgen einer Entscheidung dargelegt werden. Aber die Schweizer übertreiben es vielleicht etwas: Ein Kollege von der Universität St. Gallen hat mir mal gesagt, er musste wegen der Errichtung eines stinknormalen Verwaltungsgebäudes „vors Volk“. Bei uns wäre das eine Entscheidung für den Finanz- und den Bausenator gewesen.Hat Ihr Kollege die Abstimmung gewonnen?Ja, mit dem Argument: Wenn wir kein neues Universitätsgebäude bauen, dann gehen unsere jungen Leute alle nach Zürich und fallen dem Zwingli zum Opfer! St. Gallen ist ja katholisch geprägt …Wie stehen Sie zu der Idee von Bürgerräten?Meine Frau und ich schlagen in unserem Buch Abschied vom Abstieg eine Kombination aus Bürgerräten und Losverfahren vor. Das Problem unseres Wahlsystems ist ja: Es gibt ganz viele, die ein großes Maul haben. Entschuldigung, da spricht jetzt meine hessische Heimat aus mir (lacht). Der Punkt ist: Wahlen sind, sagt Aristoteles, ein aristokratisches Verfahren, weil sie in Ansehung der Person stattfinden und manche lauter schreien können als andere.Die Ampel hat auf Bundesebene einen Bürgerrat zu Ernährungsfragen eingeführt.Das fand ich aber, offen gesagt, ziemlich doof.Wieso?Weil es eine individuelle Entscheidung ist, ob ich morgens Müsli oder Toast esse. Das würde ich mir ungern vom Staat vorschreiben lassen. Außerdem funktionieren Bürgerräte am besten auf kommunaler Ebene. Da kann man besser überblicken, welche Effekte eine Entscheidung haben wird.Die AfD ist besonders erfolgreich auf Tiktok und Co. Was glauben Sie, wie Social Media unsere Demokratie verändern?Als unsere moderne Demokratie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in den USA erfunden wurde, war sie von der „Gutenberg-Galaxis“ geprägt, wie es Marshall McLuhan ausgedrückt hat. Heißt: Das Buch war der Wissensspeicher und die Zeitung das Kommunikationsmedium. Mit dieser kuratierten Form der Informationsvermittlung haben wir lange gut gelebt. In den neuen sozialen Medien ist der Kurator weg. Für die Betreiber der Plattformen ist es uninteressant, das zu kuratieren. Das ist nur teuer, und die Leute kommen ja wegen des Krawalls. Aber wir geraten dadurch natürlich in den Nachteil gegenüber autoritären Regimen. Russland hat seine Trollfabriken genutzt, um die Wahlen in den USA und die Brexit-Abstimmung zu beeinflussen. Es gibt unterschiedliche Rechnungen darüber, wie stark der Einfluss war – aber es gab ihn.Mischen wir uns nie in russische Angelegenheiten ein?Doch, wir unterstützen Nichtregierungsorganisationen oder politische Stiftungen. Die wischt Putin dann aber einfach vom Tisch.Wieso ist der Rechtspopulismus weltweit auf dem Vormarsch?Ich glaube, dass es eine Korrespondenz zwischen den inneren Verhältnissen von Staaten und ihrer Außenpolitik gibt. Die Amerikaner haben Donald Trump und seine America-First-Politik ja nicht zuletzt deshalb gewählt, weil sie keine Lust mehr hatten, den Welthüter zu spielen und dafür finanziell aufzukommen. In Südeuropa war es anders: Da hat die weltweite Finanzkrise erst den Linkspopulismus an die Macht gebracht, der in den letzten Jahren dann vom Rechtspopulismus abgelöst wurde.In Deutschland gibt es institutionelle und juristische Sicherheitsvorkehrungen gegen eine Usurpation auf demokratischem Wege. Franzosen und Italiener haben so was nicht, oder?Moment mal, die haben auch eine Verfassung.Aber auch Verfassungsgerichte und Verfassungsschutz?Die haben dort halt andere Namen und sind nicht so prominent. Aber Sie haben schon recht: In Deutschland ist die Fürsorglichkeit des Verfassungsgerichts größer, als das in anderen Ländern der Fall ist. Die anderen haben dafür effektivere Geheimdienste als wir.Sollte sich unser System Ihrer Meinung nach gegen eine AfD-Übernahme schützen?Ja. Aus geschichtlichen Gründen wissen wir, dass das notwendig ist. 1933 haben die Konservativen in Deutschland geglaubt, mit der NSDAP in eine Koalition gehen zu können. Aus dieser Zeit stammt die berühmte Äußerung von Franz von Papen, man habe sich den Hitler „engagiert“. Heute wissen wir: Es war genau andersherum.Wäre ein Wahlsieg der AfD denn so eine Art Machtergreifung?Die Bildung des Kabinetts Hitler 1933 war erst mal ein ganz normaler Machtwechsel. Aber dadurch, dass Goebbels Fackelzüge in Berlin und anderen Städten organisiert hat, wurde es zum Tag der Machtergreifung. Das heißt, es gibt immer Gruppierungen, die das, was der normale Gang der Verfassung ist, durch Inszenierungen konterkarieren und dadurch tatsächlich einen Systemwechsel herbeiführen. Davor müssen wir uns schützen.Sind Sie für ein AfD-Verbot?Das Parteiverbot ist ein scharfes Schwert zum Schutz der Demokratie. Das Problem ist, dass Karlsruhe es stumpf gemacht hat, indem sie beim NPD-Verfahren gesagt haben: Eigentlich müsste man die NPD verbieten, aber sie ist zu bedeutungslos. Das Gericht hat damit einen gefährlichen Pfad eingeschlagen: Es hat die juristische Bewertung eines Parteiverbotes unter den Vorbehalt eines utilitaristischen Nützlichkeitsaspektes gestellt.Bei der AfD ist es andersherum: Sie ist zu groß für ein Verbot.So ist es. Noch wichtiger ist, dass es zu spät dafür ist. Das Verfahren würde mindestens vier, fünf, sechs Jahre dauern. Und in dieser Zeit könnte sich die AfD als Opfer eines Agierens der Eliten inszenieren, die dem Volk das Maul verbieten will. Ich schlage einen anderen Weg vor: Die anderen Parteien müssen, solange Höcke und seine Leute keine absolute Mehrheit haben, klarmachen: Jede Stimme für die AfD ist eine verlorene Stimme, weil wir nicht mit denen koalieren.Es gibt auch noch andere Instrumente unterhalb eines Parteiverbotes. Zum Beispiel wird diskutiert, die Besetzung bestimmter Schlüsselpositionen für die AfD unmöglich zu machen. Ist das nicht irre? In einer Demokratie kann man doch nicht sagen: Wir sorgen jetzt dafür, dass sich bei geänderten Mehrheitsverhältnissen trotzdem nichts verändern kann. Dann kann man das Wählen doch gleich lassen.Aha, Sie sind also ein Anhänger davon, die Brandmauer einzureißen?Finden Sie das demokratietheoretisch nicht problematisch, eine so große Gruppe wie die AfD-Wähler auf Dauer auszugrenzen?Sie haben offensichtlich die Vorstellung, dass Demokratie ein integrativer Prozess ist, in dem alle mitgenommen werden müssen. Das ist aber in einem Mehrheitswahlrecht gerade nicht der Fall. Da hat man am Ende eine klare Entscheidung. In den USA oder in Großbritannien gilt bei Wahlen das Prinzip: „The Winner Takes It All.“ Da können sogar 49 Prozent der Stimmen am Ende keine Rolle spielen im politischen Prozess.Für dieses System hat man sich in Deutschland aber gerade nicht entschieden, sondern für ein Verhältniswahlrecht.Das hat ja bis jetzt auch gut funktioniert. In den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik war die Gesellschaft noch gespalten. Danach sind wir ein ausgesprochen integratives Land geworden, mit einer ungeheuer starken Mitte. Da war das Verhältniswahlrecht genau richtig. Zurzeit werden aber die Extreme wieder stärker, inklusive der Querfrontpläne von Frau Wagenknecht. Auf Dauer verändert das die Mentalität einer Bevölkerung.Ich stelle mir nur vor, wenn Ende der 60er Jahre eine reaktionäre deutsche Mehrheit gesagt hätte: Ups, da verändert sich ja was, Frauen und Schwule wollen mehr Rechte und die Umweltbewegten mehr Ökopolitik – also besetzen wir die Schlüsselpositionen so, dass sich auch im Falle einer linken Mehrheit nichts verändert.Man kann Feministinnen und Gender-Sprachler durchaus in politische Führungspositionen hineinlassen, weil man sicher sein kann, dass sie, wenn sie abgewählt werden, auch wieder gehen. Aber bei Parteien, die darauf aus sind, die Demokratie zu liquidieren, stellt sich das anders dar. Das ist eine Frage, die der Verfassungsschutz zunächst zu ventilieren hat.Sie haben also Angst, dass sich die AfD festsetzt?… ja! Und dass sie mir dann ein Leben diktiert, welches nicht das meine ist. Solange sie gewählt ist, würde ich das sogar hinnehmen. Aber wenn sie, wie es Rechtspopulisten gerne tun, das Recht auf kritische Kommunikation, auf Pressefreiheit und unabhängige Gerichte einschränken, dann sieht das schon anders aus.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.