Neulich war ja Anti-AfD-Demo in Berlin. Danach hat der Zeit-Journalist Martin Machowecz bei Twitter geschrieben: „Ich sehe recht viele Journalisten in meiner Timeline, die gestern offenbar mehr oder weniger privat an einer Demo namens ‚AfD wegbassen‘ teilgenommen haben. Ich finde das problematisch. Kann man denn dann am nächsten Tag wirklich wieder glaubwürdig über die #AfD schreiben?“
Die Frage legt ein Bild des Journalisten nahe, der seiner Arbeit nachgeht wie ein Pathologe, der mit Handschuhen in den kühlen Keller hinabsteigt, um die dort gelagerten gesellschaftlichen Leichen zu untersuchen, und danach im blütenweißen Kittel wieder an die Oberfläche zurückkehrt. Ein klinischer Journalist, antibakteriell imprägniert gegen Überzeugungen aller Art und auch noch stolz darauf.
Es ist eben heute so, dass man sich der eigenen Überzeugungslosigkeit brüstet, so wie man sich früher seiner Überzeugtheit gebrüstet hat. Früher gehörte eine politische Haltung bekanntlich zum notwendigen Rüstzeug des Intellektuellen. Martin Walser hat sich darüber lustig gemacht in einem Aufsatz aus dem Jahr 1966, der hieß: Engagement als Pflichtfach für Schriftsteller. Damals konnte nur ein politischer Schriftsteller ein guter Schriftsteller sein. Walser verspottete die Intellektuellen, die sich in Dienst nehmen ließen für die jeweils gute Sache. (Dabei war er damals selber ein Anti-Vietnam-Aktivist. Aber am schärfsten kann man immer die eigenen Standpunkte kritisieren, weil man die am besten versteht.)
Walser suchte nach Rechtfertigung für seinen Beruf – und stellte fest: Der Beruf des Schriftstellers ist nicht zu rechtfertigen: „Ziele gelten nichts. Schöne Ziele kann jeder haben. Und Wirkungen sind nicht messbar. Der Typhus nimmt nicht durch Schreiben ab, und die Amerikaner in Vietnam hören nicht auf den Schriftsteller. Der Schriftsteller muss auskommen ohne jede Rechtfertigung. Der Schriftsteller ist der laute Moralist. Er weiß, wie alles sein müsste: die Politik, die Wirtschaft …“
Und der Journalist? Ist er gerechtfertigt? Man könnte mit einigem Recht sagen, dass die New York Times und die Washington Post mit ihrer Berichterstattung über die Pentagon Papers unmittelbar zum Ende des Vietnamkriegs beigetragen haben. Andererseits fallen einem sofort fünf andere Kriege ein, die durch noch so viele Artikel nicht beendet wurden.
Trotzdem halten sich viele Journalisten immer noch für die besseren Menschen. Früher wegen ihrer politischen Überzeugungen, heute wegen ihres Fehlens. Vermutlich hat Herr Machowecz mit seinem Tweet den Anspruch vieler Leser seiner Zeitung getroffen: Wenn man schon keine Haltung hat, soll man das wenigstens gut begründen können.
Kommentare 8
tja, wenn der journalist nicht zampano, darsteller in eigner sache/person ist,
ist er ein propagandist (metternichscher definition):
einer der bestrebt ist, "die eigene überzeugung und die eignen lebensformen
dorthin, wo sie nicht bestehen, zu verpflanzen".
bevor es aber ans journalistische gärtnern geht:
bitte die überzeugungen sich zu eigen machen
(d.h. durch-denken + auf in-konsistenzen überprüfen).
fehl-urteile sind un-vermeidbar. wichtiger ist:
die leserschaft zum selber-denken anstiften...
S a c h f r a g e n
"Man könnte mit einigem Recht sagen, dass die New York Times und die Washington Post mit ihrer Berichterstattung über die Pentagon Papers unmittelbar zum Ende des Vietnamkriegs beigetragen haben."
Hatte das nicht mehr mit Recherche als mit Meinungsjournalismus zu tun?
"Andererseits fallen einem sofort fünf andere Kriege ein, die durch noch so viele Artikel nicht beendet wurden."
Vielleicht nicht. Aber soweit, wie sie Fehlentwicklungen offenlegten - wie z. B. das "stove-piping" des Weißen Hauses und des State Dept vor dem 2003er Golfkrieg - haben sie zumindest die Kriegsbegeisterung erheblich getrübt. Camerons Versuch, mit parlamentarischer Billigung in einen Syrienkrieg zu ziehen, ging jedenfalls schief.
H a l t u n g s f r a g e n
"Wenn man schon keine Haltung hat, soll man das wenigstens gut begründen können."
Dass Machowecz sich aus für ihn ausschlaggebenden beruflichen Gründen an einer Demo gegen die AFD (vermutlich) nicht oder nie beteiliigen würde, lässt nicht den Schluss zu, er sei ohne Haltung. Er mag falsch liegen - aber ganz sicher liegt Jakob Augstein falsch, wenn er aus einem Indikator derart weitreichende Schlüsse zieht.
"Trotzdem halten sich viele Journalisten immer noch für die besseren Menschen."
Das soll's geben. Und jeder von denen wird seine Gründe dafür haben.
Darf ich kurz meiner Fassungslosigkeit Ausdruck geben? Solche Artikel wachsen doch nicht auf Mist, oder, Herr Augstein? Die wachsen doch nur auf Facebook?
...
Fassung wiedergewonnen.
das richtige-->kompostieren ist eine kunst,
die durch geschickte zusammenstellung (compositum) wert-loses
auf-wertet.
weit-entfernt davon ist von -->gülle-verbringung.
und ein tauben-schiß auf ein denkmal verfehlt jede düngungs-absicht.
Da die Haltungslosigkeit so gut wie immer einhergeht mit Kritiklosigkeit und Ahnungslosigkeit, stimme ich den ersten beiden Absätzen zu.
Sagen, was man denkt. Das Problem ist, daß man dann Farbe bekennen muss. Tacheles reden, man muss tatsächlich auch nachDENKEN. Das ist in einer Welt der Charaktermaskenkarrieren nicht mehr relevant, da man hier mit etlichen Haltungen spielt, bis das maximale Gewinnziel erreicht ist. Diese Haltungen werden wie Waren angeboten. Welche Waren auf dem Markt sind bestimmen die Warenproduzenten. Davon gibts aber nicht so viele in Deutschland, so ca. 4, 5 grosse und noch einige kleinere völlig unbedeutende.
Das, was also eine "Haltung" ist, und ausmacht, politische Überzeugung, Wissen, Erkenntnis, nähert sich dem Ramschtisch im Schlussverkauf an in einem dieser 4 bis 5 Kaufhäuser.
Bei einer Anti-AFD-Demo mit regierungsamtlich-nationalen wie scheinheiligen Segen nicht dabei zu sein, soll die Haltungslosigkeit eines Lohnschreibers beweisen, während seine mit marschierende Anwesenheit das Gegenteil belegen soll?
Es gibt ja die Maxime von Hajo Friedrichs, dass man einen guten Journalisten daran erkenne, dass er sich nicht gemein mache mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.
Mein Eindruck ist, dass das von vielen guten Journalisten für das journalistische Evangelium gehalten wird. Es ist aber falsch. Denn man kann sich sehr wohl mit einer guten Sache gemein machen und/oder eine schlechte Sache ablehnen. Denn das Entscheidende ist nicht, ob man das Eine tut und das andere lässt, sondern die Qualität der jeweiligen Begründung.
Es ist ein bisschen wie bei richterlichen Urteilen. Auch dabei kommt es weniger auf das Ergebnis als auf die Begründung an. Ein ungünstiges Urteil ist leicht zu ertragen, wenn es gut begründet ist. Ein günstiges Urteil mit schlechter Begründung ist verdrießlich.