Journalisten, basst mit!

Hegelplatz 1 Sollten sich Journalisten als Teilnehmer von Demos fernhalten? Nein: Eine Haltung ist besser als keine
Ausgabe 23/2018
Seid ihr down? Türlich, türlich
Seid ihr down? Türlich, türlich

Foto: Zuma Press/Imago

Neulich war ja Anti-AfD-Demo in Berlin. Danach hat der Zeit-Journalist Martin Machowecz bei Twitter geschrieben: „Ich sehe recht viele Journalisten in meiner Timeline, die gestern offenbar mehr oder weniger privat an einer Demo namens ‚AfD wegbassen‘ teilgenommen haben. Ich finde das problematisch. Kann man denn dann am nächsten Tag wirklich wieder glaubwürdig über die #AfD schreiben?“

Die Frage legt ein Bild des Journalisten nahe, der seiner Arbeit nachgeht wie ein Pathologe, der mit Handschuhen in den kühlen Keller hinabsteigt, um die dort gelagerten gesellschaftlichen Leichen zu untersuchen, und danach im blütenweißen Kittel wieder an die Oberfläche zurückkehrt. Ein klinischer Journalist, antibakteriell imprägniert gegen Überzeugungen aller Art und auch noch stolz darauf.

Es ist eben heute so, dass man sich der eigenen Überzeugungslosigkeit brüstet, so wie man sich früher seiner Überzeugtheit gebrüstet hat. Früher gehörte eine politische Haltung bekanntlich zum notwendigen Rüstzeug des Intellektuellen. Martin Walser hat sich darüber lustig gemacht in einem Aufsatz aus dem Jahr 1966, der hieß: Engagement als Pflichtfach für Schriftsteller. Damals konnte nur ein politischer Schriftsteller ein guter Schriftsteller sein. Walser verspottete die Intellektuellen, die sich in Dienst nehmen ließen für die jeweils gute Sache. (Dabei war er damals selber ein Anti-Vietnam-Aktivist. Aber am schärfsten kann man immer die eigenen Standpunkte kritisieren, weil man die am besten versteht.)

Walser suchte nach Rechtfertigung für seinen Beruf – und stellte fest: Der Beruf des Schriftstellers ist nicht zu rechtfertigen: „Ziele gelten nichts. Schöne Ziele kann jeder haben. Und Wirkungen sind nicht messbar. Der Typhus nimmt nicht durch Schreiben ab, und die Amerikaner in Vietnam hören nicht auf den Schriftsteller. Der Schriftsteller muss auskommen ohne jede Rechtfertigung. Der Schriftsteller ist der laute Moralist. Er weiß, wie alles sein müsste: die Politik, die Wirtschaft …“

Und der Journalist? Ist er gerechtfertigt? Man könnte mit einigem Recht sagen, dass die New York Times und die Washington Post mit ihrer Berichterstattung über die Pentagon Papers unmittelbar zum Ende des Vietnamkriegs beigetragen haben. Andererseits fallen einem sofort fünf andere Kriege ein, die durch noch so viele Artikel nicht beendet wurden.

Trotzdem halten sich viele Journalisten immer noch für die besseren Menschen. Früher wegen ihrer politischen Überzeugungen, heute wegen ihres Fehlens. Vermutlich hat Herr Machowecz mit seinem Tweet den Anspruch vieler Leser seiner Zeitung getroffen: Wenn man schon keine Haltung hat, soll man das wenigstens gut begründen können.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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