Mein Garten wird zum Zoo

Der Gärtner und die Tiere Jakob Augstein wird immer milder – und lässt auch in seinem Garten weniger Strenge walten
Ausgabe 19/2019
Schneckenwettrennen: für Jakob Augstein kein Anblick des Grauens mehr
Schneckenwettrennen: für Jakob Augstein kein Anblick des Grauens mehr

Foto: Uwe Steinert/Imago Images

Ich hatte einen Garten in Zehlendorf unweit des Schlachtensees. Die S-Bahnlinie zog sich hundert Meter weiter nördlich durch den Wald, doch mein Garten lag ein paar Meter unterhalb der Baumlinie. Mitten am Tag konnte man die Sonne noch sehen, aber nachmittags war es schon schattig und abends kühl, die Nächte waren kalt. Ich habe da glückliche Stunden verbracht und unglückliche und wenn ich jetzt zählen müsste, wüsste ich auch nicht, ob mehr von den einen oder mehr von den anderen. Diesen Garten gibt es wohl noch, aber ich lebe da nicht mehr. Ich lebe anderswo, natürlich in der Hoffnung, die Zahl der glücklichen Stunde möge die der unglücklichen überwiegen, denn was sonst könnte der Grund sein, einen Garten, den man liebt, hinter sich zu lassen?

Ich erinnere mich, dass es in diesem Garten keine Tiere gab. Sie wurden von mir nicht geduldet. Oder sagen wir: sie wurden, wenn überhaupt, nur geduldet, genau so lange, wie sie den Zweck des Gartens nicht in die Quere kamen. Und dieser Zweck liegt in der reinen Schönheit. Wer glaubt, der Garten diene der Erholung, hat entweder keinen Garten oder er vernachlässigt ihn.

Tiere haben also im Garten nichts zu suchen, und zwar weil sie nicht zu bändigen sind. Im Tier siegt immer die Natur, während der Garten kein Ort der Natur ist, sondern einer der Ordnung. Pflanzen lassen sich mit einigem Aufwand in eine gewünschte Ordnung bringen. Tiere nie. Das gilt nicht für Hunde, die im eigentlichen Sinne keine Tiere sind, Das eigentliche Tier tritt im Garten zumeist als Feind auf. Zum Beispiel die Schnecke. Es ist erschreckend, zu welcher Brutalität der Gärtner gegenüber der Schnecke fähig ist.

Im Rückblick würde ich sagen, ich war immer ein liebender aber in meinen jüngeren Jahren auch strenger Gärtner. Bekanntlich lässt im Alter nicht nur die kriminelle Energie nach, sondern überhaupt die Energie. Ich bin also milder geworden. Auch den Tieren gegenüber. Das geht soweit, dass sie aus meinem neuen Garten gar nicht mehr wegzudenken sind. In Wahrheit wimmelt es darin nur so von Tieren. Und in dem Maße, in dem sie mir im alten als Fremde und Feinde vorkamen, gehören Tiere zu meinem neuen Garten ganz unverzichtbar hinzu. Ja, in Wahrheit gleicht mein neuer Garten inzwischen mehr einem Zoo, als einem Garten.

Wenn man mich jetzt fragt, ob ich mich für diese oder jene Pflanze oder für ein Tier entscheiden würde, ich würde keine Sekunde zögern und das Tier wählen. Das lässt tief blicken. Es macht eine neue und völlig andersgeartete systematische Befassung mit diesem Phänomen notwendig, das mich nun ganz in seinen Bann geschlagen hat: Tiere im Garten.

(Fortsetzung folgt)

So schön grün hier

Dieser Text ist Teil einer fünfteiligen Serie des Freitag zum Thema Garten. In Deutschland allein gibt es eine Million Gärten. In Zeiten von Artensterben und Klimaschutz werden sie zur heimlichen Macht

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden