Momentan ist Roger Waters auf der Kinoleinwand zu sehen. Im Dokumentarfilm Squaring the Circle. The Story of Hipgnosis sitzt er als einer von vielen Prominenten vor der Kamera von Regisseur Anton Corbijn und erzählt davon, wie es war, als die britischen Designgenies des Hipgnosis-Studios legendäre Plattencover für Waters’ Band Pink Floyd schufen. Zur Politik schweigt der Brite. Dazu wurde er schließlich nicht gefragt: Waters’ Funktion in Corbijns kurzweiligem, wenn auch recht affirmativ-anekdotischem Film ist ausschließlich die des Künstlers und Zeitzeugen.
Als der Musiker allerdings vergangenes Jahr Redakteure der Berliner Zeitung zu einem Interview empfing, war der Anlass zwar eine bevorstehende Deutschlandtournee. Die Fragen kreisten jedoch fast
Interview empfing, war der Anlass zwar eine bevorstehende Deutschlandtournee. Die Fragen kreisten jedoch fast ausschließlich um Waters’ politische Gesinnung: Schon lange verteidigt er öffentlich Putin und den Angriffskrieg in der Ukraine, darüber hinaus ist er Unterstützer der BDS-Kampagne, die das Existenzrecht Israels als jüdischen Staat bestreitet.Und Waters nahm kein Blatt vor den Mund: Putin wolle den „Faschismus in der Ukraine“ bekämpfen, westliche Medien unterzögen die Konsument:innen einer Gehirnwäsche, und in Deutschland laufe die „ganze Gesellschaft mit Scheuklappen in Bezug auf Israel herum“. Dass er im Gespräch noch einiges mehr über Israel sagte, war in der veröffentlichten Fassung nicht auffindbar: Wie der Tagesspiegel dann am 8. März berichtete, hatte die Berliner Zeitung Interviewteile gekürzt und Antworten mit neuem, unverfänglicherem Sinn zusammengefasst. Da Waters das Originalgespräch auf seiner Homepage zugänglich machte, ließen sich diese Passagen rekonstruieren. So bestätigte Waters den von ihm gezogenen Vergleich Israels mit Nazideutschland, sprach von Völkermord und „israelischem Faschismus“, und antwortete auf die Frage nach dem Existenzrecht Israels, das Land habe „eine Existenzberechtigung, solange es eine echte Demokratie ist, solange keine Gruppe, weder religiös noch ethnisch, mehr Menschenrechte genießt als andere. Aber leider ist es genau das, was in Israel und Palästina geschieht.“Nach der Veröffentlichung des Tagesspiegel-Textes wurde dessen Autor von einer „Führungskraft“ der Berliner Zeitung kontaktiert. Man habe ihm zu verstehen gegeben, schreibt der Tagesspiegel-Reporter, dass er „diesen Artikel nicht hätte veröffentlichen sollen. Schließlich würde ich so auf ‚Berliner Kollegen spucken‘. Der Berliner Zeitungsmarkt werde ja immer kleiner, da sei so eine Geschichte kontraproduktiv.“ Der Tagesspiegel hatte die Berliner Zeitung vorher angeschrieben und gefragt, wieso sie Waters’ besonders israelfeindliche Aussagen gestrichen hätten. Die Antwort: Man böte „Kampfparolen, die dem Staat Israel Apartheid und Genozid vorwerfen, Israels Existenzrecht infrage stellen, Israel mit Nazideutschland vergleichen und Israel Faschismus unterstellen, keine Plattform“. Was anscheinend nicht ausschließt, dass man Menschen, die so denken, dennoch in der Zeitung präsentiert – nur eben ohne den Umfang ihrer Überzeugungen deutlich zu machen.Glaubhaftigkeit des Journalismus wackeltIn dieser verzwickten Gemengelage stecken immerhin eine Menge Lehren. Zunächst werden Interviews eh von den Autor:innen bearbeitet – sie werden „gestrafft“, von „Füllseln“ befreit, und zu lange Fragen oder Antworten kürzt man ein, selbstverständlich, ohne den Sinn zu verändern. In Deutschland ist überdies das Autorisieren von Interviews Standard – sämtliche deutschen Politiker:innen, aber auch viele Gesprächspartner:innen aus der Kultur bestehen darauf, ihre Originalaussagen noch mal durchzulesen und gegebenenfalls zu ändern – auch, um relevante Dinge hinzuzufügen oder Missverständnisse und versehentliche Falschinformationen auszumerzen. Künstler:innen lassen das Redigat oft von Agenturen übernehmen, die zuweilen viel Interessantes, Individuelles oder Ungewöhnliches herausstreichen. Internationale, des Deutschen nicht mächtige Weltstars verzichten dagegen meist komplett auf diesen Vorgang – darum war der Autor Tom Kummer vor über 20 Jahren lange mit amüsanten, erstaunlichen und komplett erfundenen Promi-Interviews erfolgreich, bis er aufflog, weil einer der angeblichen O-Töne rückübersetzt wurde.Beim bearbeiteten Waters-Interview kommen mehrere Motive zusammen: Einerseits hat man den Musiker anlässlich seiner Tournee befragt, weist ihn also als Künstler aus – und informiert am Ende des Gesprächs brav über anstehende Konzerttermine. Andererseits möchte man niemanden bewerben, der politische „Kampfparolen“ ausgibt, und will ihm Paroli bieten. Das funktioniert nicht – weil es von Anfang an ein unlösbares Dilemma darstellt und Waters das Ganze durch die eigene Veröffentlichung eh zunichtemachte.Regisseur Corbijn hatte bei den Interviewpartnern seines Films einen Trennstrich zwischen Künstler und Werk gezogen, er befragt Waters ausschließlich in dessen Rolle als Pink-Floyd-Gründer. Ob man diesen Strich ziehen darf, bleibt (viel diskutierte) Ermessenssache. Ein Nachrichtenmedium kann das jedoch nicht – schon gar nicht, wenn das Thema nicht die Kunst, sondern die Politik ist.Zudem hat die Berliner Zeitung, an deren journalistischer Arbeit in den letzten Jahren immer stärker Kritik geäußert wird, zwar recht damit, dass durch die unsägliche Geschichte der Zeitungsmarkt zu Schaden kommt. Dieser Schaden wirkt sich aber eben nicht nur auf einen Titel aus: Der ganze Vorgang wackelt vielmehr heftig an der Glaubhaftigkeit des gesamten (Print-)Journalismus.