Ulrike Demmer ist neue RBB-Intendantin: Alles irgendwie spannend
Porträt Die Wahl von Ulrike Demmer zur neuen RBB-Intendantin dürfte ein Auftakt nach ihrem Geschmack gewesen sein. Nun führt sie einen schlingernden Sender. Mal sehen, wie „spannend“ das für sie wird
Ulrike Demmer kennt die wichtigen Nuancen der Medienwelt
Foto: Fabian Sommer/picture alliance/dpa
„Bis jetzt“, sagte Ulrike Demmer in einem Stern-Podcast aus dem Januar dieses Jahres, „ist immer der nächste Job spannender gewesen als der vorherige“. „Spannend“ ist in solchen Zusammenhängen ein gern genommenes Adjektiv – Ambivalenz tummelt sich ebenso darin wie Diplomatie. Sogar Krisen, Probleme, Streitigkeiten könnte man als „spannend“ bezeichnen. Insofern hatte die neue RBB-Intendantin am letzten Freitag einen Auftakt nach ihrem Geschmack: In gewisser Hinsicht war das, was da vor Demmers mit 18 von 24 Stimmen recht knapper und missmutig wirkender Wahl an Hin-und-Hergezerre, an methodischem Versagen und kommunikatorischen Verbindungsfehlern passierte, irgendwie auch, nun ja, spannend.
Die Neue, die es anpacken soll, sc
, an methodischem Versagen und kommunikatorischen Verbindungsfehlern passierte, irgendwie auch, nun ja, spannend.Die Neue, die es anpacken soll, scheint eine diplomatische Frau zu sein. Geboren wurde sie 1973 in Solingen, sie besuchte in Leverkusen die Schule, und studierte bis zum ersten Staatsexamen Rechtswissenschaft. Dass sie den RBB danach durch einen Job in der Kommunikationsabteilung von RadioEins kennenlernte, und dann eine Journalistenschule besuchte, ist in diesem Feld nicht ungewöhnlich: Die wenigsten fühlen sich als Schulabgänger:innen für den Journalismus berufen, viele studieren irgendetwas, das nicht unbedingt Publizistik sein muss, und schärfen ihre Skills in Journalistenschulen oder durch die Praxis. Denn Journalismus deckt im besten Fall alle Themen ab – steht er doch auch für die Form, nicht nur den Inhalt. Jura sei zudem keine so schlechte Voraussetzung für ihren Beruf gewesen, sagte Demmer, es ginge schließlich um die Regeln des Zusammenlebens.Demmer arbeitete dann für das ARD-Fernsehen – sie habe sich etwas nassforsch in der Panorama-Redaktion beworben, lässt sie im genannten Podcast durchblicken, und sei erst einmal zu Extra Drei geschickt worden. Das habe sie als „jemand, der gern lacht und Humor hat“ auch genossen. Nach einer Zeit im Morgenmagazin ging sie zum Spiegel – dort wurden Frauen gesucht. Sie begann, als Reporterin über Militärthemen und aus Krisengebieten zu berichten, „ich habe natürlich nicht gedient“ sagte sie, aber Herausforderungen schrecken sie nicht ab (siehe nun den schlechtgelaunten RBB). Sie fuchste sich rein, blieb sieben Jahre lang beim Hamburger Wochenmagazin – und wurde gemeinsam mit anderen Autor:innen 2011 mit zwei prestigeträchtigen Nachrichtenpreisen ausgezeichnet: Für die mit Markus Feldenkirchen, Christoph Schwennicke, acht weiteren Männern und Susanne Koelbl erarbeitete Aufdeckungsgeschichte zum blutigen Militäreinsatz der Bundeswehr in Kunduz „Ein deutsches Verbrechen“ gab es den Henri-Nannen-Preis und den „Deutschen Reporterpreis“. Somit kennt sie die Inhalte, um die es im RBB – zumindest bei der Belegschaft – geht: Demmer ist, das steht fest, eine Journalistin mit viel Erfahrung.Mit etwas Glück gilt das auch für die Personal- oder Teamführung: Eine Weile leitete sie das Hauptstadtbüro des „Redaktionsnetzwerk Deutschland“, das mehr als 60 Tageszeitungen mit Inhalten versorgt. Man darf zudem hoffen, dass sie schon als Freie gearbeitet hat – um deren Bedürfnisse nachzuvollziehen, sollte man wissen, wie man einen Beruf ausübt, wenn nicht jeden Monat mit dem gleichen oder überhaupt einem Gehalt zu rechnen ist.Ulrike Demmer war Regierungssprecherin unter Angela Merkel2016 kam dann der nächste „spannendere“ Job – und der war weit entfernt von frei auszuhandelnden Honoraren: Demmer wurde eine von zwei stellvertretenden Sprecherinnen der Bundesregierung, und damit verbeamtet. Besoldungsgruppe B10, und es ist nach der Massagesitze-Importparkett-den-Hals-nicht-vollkriegen-Querele wichtig, dazuzuschreiben, was das bedeutet: Laut verschiedener Quellen verdiente Demmer um die 13.600 Euro pro Monat, rund 163.000 Euro im Jahr. (Zum Vergleich, denn bei Geld wird vor allem in Deutschland gern verglichen: Angeblich bekommt sie als RBB-Intendantin ein Jahresgehalt zwischen 180.000 und 230.000 Euro, und auch wenn andere Intendanten dafür nicht mal morgens aufstehen, und Kandidaten dafür gar ihre Kandidatur zurückziehen: Es klingt, als ob man davon leben könnte.)Als Regierungssprecherin musste sie die Diplomatie jedenfalls nochmal so richtig von der Pike auf lernen, denn „ich habe kein Pokerface“, sagt sie, „man sieht mir an, ob ich sauer bin oder in Sorge, oder ob ich etwas nicht weiß.“ Was sie nicht wissen könnte, jetzt, in ihrer neuen, verantwortungsvollen Funktion, das hat auch mit Geld zu tun: Erfahrungen aus der Wirtschaft, etwa als Geschäftsführung hat sie nicht – wie ist sie mit Zahlen, kann sie kalkulieren, Budgets überschauen und ausrechnen? Weiß sie, wie man verkrustete, öffentlich-rechtliche Strukturen modernisiert – und das bei der ärmsten, und dennoch leider nicht unbedingt sexiesten Sendeanstalt des Landes? Weiß sie, welche Arbeitsmodelle es gibt? Wie unterschiedlich die Erfahrungen und Meinungen der Mitarbeiter:innen sind? Wie eng ist sie mit den Politker:innen verbandelt, für die sie fünf Jahre lang gearbeitet hat, und die immer noch – entgegen dem Ziel der Staatsferne – die größte Gruppe in den Rundfunkräten stellen? Kennt sie das Programm und seine Formate gut genug, um die richtigen Entscheidungen zu treffen? (Gibt es überhaupt Entscheidungen, die alle als „richtig“ empfinden?)Dass sie Bier lieber trinkt als Wein, erfährt man aus dem Podcast, dass sie als protestantische Christin aufgewachsen ist, Privates lässt sie ansonsten privat. Über Angela Merkel sagt sie, dass die in den fünf Jahren eine „gute, eine aufmerksame Chefin“ gewesen sei – vielleicht hilft diese Erfahrung ja bei der Führungskompetenz. Geschlecht hat zwar wenig mit Führungsqualität, Moral oder Machthunger zu tun (siehe Schlesinger) – dennoch ist ein Genderstandpunkt wichtig. Und den scheint Demmer zu haben – „es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das generische Maskulinum männliche Bilder evoziert“, sagt sie im Podcast, diplomatischerweise gendert sie selbst aber nicht, sondern benutzt (bislang) beide Formen. Und sie weiß, dass Frauen mehr Probleme mit der Sichtbarkeit haben. Das war für sie vermutlich ebenfalls ein Punkt in der Entscheidung zu diesem Job.Ulrike Demmer kennt also wichtige Nuancen der Medienwelt: Als Jurastudentin wird sie sich einen Begriff von der „Wahrheit“ gemacht haben. Als Journalistin hat sie unter schwierigen Bedingungen berichtet, als Pressesprecherin der Regierung dagegen musste sie Fragen von Journalist:innen diplomatisch ausweichen. Jetzt führt sie einen schlingernden Sender – und wird sowohl von der Belegschaft, als auch von den Konsument:innen kritisch dabei beobachtet.„‘Raus aus der Komfortzone‘ ist immer eine Bereicherung“, sagte sie im genannten Interview. Na dann: Mal sehen, wie „spannend“ es jetzt für sie wird.