Ein begnadeter Erzähler

Iran Dass Mohammad Rasoulofs Film über die Todesstrafe zu sehen ist, gleicht einem Wunder
Ausgabe 33/2021

Es wäre eine gewaltige Untertreibung, Mohammad Rasoulof einen couragierten Filmemacher zu nennen. Der regimekritische iranische Regisseur steht seit Jahren im Fokus der Zensurbehörde. 2010 wurden er und sein Kollege Jafar Panahi während der Dreharbeiten zu einem Film über die Proteste nach den iranischen Präsidentschaftswahlen von 2009 verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt, die in Hausarrest unter Auflagen umgewandelt wurden. Nach der Rückkehr von der Premiere seines letzten Films, A Man of Integrity, der 2017 den Hauptpreis in der Sektion Un Certain Regard in Cannes erhielt, wurde der Pass des eigentlich mit Frau und Tochter in Hamburg und Teheran lebenden Regisseurs einbehalten. Rasoulof gefährde die „nationale Sicherheit“ und verbreite „Propaganda gegen die muslimische Regierung“.

Dass die Not erfinderisch macht, zeigt die Entstehungsgeschichte von Doch das Böse gibt es nicht, in dem Rasoulof in vier Episoden das Thema Todesstrafe durchdekliniert, die im Iran nach wie vor vollzogen wird. Es erscheint wie ein Wunder, dass es diesen Film überhaupt gibt: Gedreht wurde ohne Produktionsgenehmigung. Stattdessen wurden Anträge für vier Kurzfilme in unterschiedlichen Städten eingereicht und jeweils andere Regisseur:innen und Drehbuchautor:innen genannt – Freunde des Filmteams. Rasoulof leitete die Dreharbeiten, wo es ging, teils in Verkleidung, in für ihn riskanten Situationen ließ er Regieassistenten übernehmen.

Auf der Berlinale 2020 gab es den Goldenen Bären für das Drama, entgegengenommen von Rasoulofs Tochter: ein Preis auch für die Freiheit der Kunst. So wichtig es ist, sich vor Augen zu führen, unter welch unmöglichen Bedingungen der Regisseur drehen musste, so falsch wäre es, seine Filme auf ihre politische Brisanz zu reduzieren. Denn Rasoulof ist vor allem auch eines: ein begnadeter Erzähler.

Genau das beweist er in Doch das Böse gibt es nicht, auch wenn die episodische Form zunächst irritieren mag. Vier Geschichten in vier unterschiedlichen Topografien: Ein vorbildlicher Ehemann und Vater in der Stadt, dem wir durch den Alltag mit der Familie folgen, bis er mitten in der Nacht zur Arbeit aufbricht; ein Wehrdienstleistender in einer Haftanstalt, der auf Befehl töten soll; ein Heiratsantrag in einem Landhaus, der vom Tod eines beliebten Dissidenten überschattet wird, und ein Arzt, dessen in Deutschland lebende Nichte ihn und seine Frau auf dem abgelegenen Hof in den Bergen besucht.

Erlösung gibt es nicht in diesen sich an wenigen Stellen berührenden Episoden, auch wenn es einmal so scheinen mag. Mit strengen Bildern und verstörender Ruhe lässt Rasoulof seine Figuren auf immer wieder heftige Wendepunkte zusteuern. Es mag irritieren, mit welch kalkulierter Suspense der Regisseur zu Werke geht. Ist Rasoulof ein kühler Regisseur, der seine Figuren des Effektes wegen opfert, oder ist er vielmehr ein kinematografischer Humanist, der die Effekte des Kinos zu nutzen weiß? Das metallische Knallen und die folgenden zappelnden Beine, die in einer Episode wie aus dem Nichts kommen, wird man, wie Vieles in diesem Film, so schnell jedenfalls nicht wieder vergessen.

„Was nützt die Wahrheit, wenn man damit ein ganzes Leben zerstört?“, fragt einmal die Frau eines Todkranken. Sehr viel, würde der Regisseur vielleicht außerhalb seiner Filme antworten, auch wenn er immer wieder aufs Neue zeigt, dass das Konzept der „Wahrheit“ ein sehr kompliziertes ist. Es gibt keine einfachen Antworten in dieser komplizierten Welt. Aber es gibt die Möglichkeit, ihr mit einer (künstlerischen) Haltung zu begegnen. Mit Bravour zeigt Mohammad Rasoulof genau das seit Jahren, Film um Film.

Info

Doch das Böse gibt es nicht Mohammad Rasoulof Deutschland, Iran, Tschechien 2020; 151 Minuten

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