Arroganz der Ahnungslosigkeit

SaveTheInternet Ob Mobilität, Ökologie oder Digitales – Die Union strotzt vor Ahnungslosigkeit und ist sich für keine Verschwörungstheorie zu schade

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Bei CD hörte es für die CDU mit Digitalisierung auf
Bei CD hörte es für die CDU mit Digitalisierung auf

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Das Ego eines Axel Voss müsste man haben. Obwohl sich der Berichterstatter für die Novellierung des Urheberrechts im Internet bereits in der Anhörung des Europaparlaments bis auf die Knochen blamierte, zieht er weiter mit unhaltbaren Behauptungen durch die Medienlandschaft. Im Interview mit VICE etwa behauptete er: „Aber bei Google, da gibt's ja noch die Seite, wo man Memes anklicken kann, eine richtige Rubrik.“ – und nahm damit Bezug auf Begriffsvorschläge in der Bildersuche von Google. Das Interview selbst wirkt wie eine Persiflage auf einen Unionspolitiker, welcher in der Adenauer-Ära hängen geblieben ist. Und wäre wahrscheinlich witzig, hätte Voss nicht tatsächlich eine Machtposition inne.

Bloß keine Fakten

Man könnte diese Episode vielleicht sogar noch abtun – als ein Streit zwischen einer autoritär strukturierten Partei und einer eher libertär strukturierten Onlinecommunity –, wäre Voss ein Einzelfall. Doch geht es hier nicht nur um ein blankes Missverständnis digitaler Share-Strukturen. Es geht auch nicht darum, dass es für einen Unionspolitiker offenbar undenkbar ist, dass Menschen Wissen sammeln, redigieren und frei zur Verfügung stellen – wie im Falle der Wikipedia –, sondern um eine grundsätzliche Ablehnung einer begründungsorientierten politischen Auseinandersetzung, die sich an Sachverhalten orientiert. Es ist auch kein reiner Mangel einer Fehlerkultur, die sich unfähig zeigt, die Grenzen des eigenen Wissens und Verstehens anzuerkennen. Es ist vielmehr ein selbstherrlicher Machtanspruch, der sich über die Auseinandersetzung mit komplexen Themen enthoben sieht.

Dass Voss in dieser Position nicht allein ist, zeigte zuletzt auch Verkehrsminister Andreas Scheuer. Der CSU-Politiker nahm zwar das Schreiben der sogenannten 100 Lungenfachärzte – von denen niemand relevant zu dem Thema publiziert hat und dessen Berechnung offensichtlich falsch war – zum Vorwand, um gegen die Stickoxidgrenzwerte der EU vorzugehen. Dass sich die wissenschaftliche Community, darunter namenhafte Forscher*innen im Bereich der Klimaforschung, hinter die FridaysForFuture-Demonstrationen stellten, interessierte ihn dagegen nicht. Selbiges gilt auch für Wirtschaftsminister Altmaier und die CDU-Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer. In der Union ist man offenbar nicht sonderlich daran interessiert, wissenschaftliche Erkenntnisse zu beachten oder sich von kompetenten Wissenschaftler*innen beraten zu lassen. In ihrer ideologischen Verbohrtheit wirkt die Partei inzwischen wie die SED in den letzten Tagen der DDR.

Wilde Verschwörungstheorien

Statt also dem demokratischen Diskurs zu folgen und dem, zumindest idealen, zwanglosen Zwang des besseren Arguments (Habermas) zu folgen, verstrickt sich die Union in wilde Verschwörungstheorien, bei denen wahrscheinlich sogar so manche AfD-Politikerin oder der eine oder andere Alu-Hut ein wenig ins Schwitzen kommen könnte. So behauptete etwa Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, just am Abend der Massendemonstrationen gegen das neue Urheberrecht, die Demonstrant*innen seien von ausländischen Techfirmen desinformiert und gesteuert, hätten gar Demogeld für ihre Teilnahme erhalten. Damit schließt Caspary an zwei Impertinenzen an: Zum einen etwa an den bayrischen Innenminister Joachim Hermann, welcher den Demonstrant*innen gegen das bayrische Polizeigesetz vorwarf, sie seien „unbedarft“ und einer „Lügenpropaganda“ auf den Leim gegangen. Auch hier wurden die Argumente entsprechend versierter Personen einfach ignoriert.

Noch schlimmer ist aber der zweite Anschluss: Wenn Caspary das Bild der fremden Macht hervorruft, die sich in innere Angelegenheiten einmischt, wird nicht nur der von Antisemiten und Verschwörungsideologen gern genutzte Typus des vermeintlichen „ausländischen Agenten“ hervorgeholt. Caspary bedient eben auch die Sprachmuster der Autokratien, die sich eine Einmischung von Außen verbieten, weil diese nicht das originäre Verständnis des inneren Zusammenhangs hätten. Hier geht es um einen völkischen Essenzialismus und die Wehrhaftigkeit gegen die Bedrohung von Außen. In einem Zuge wird dabei noch eine Massenbewegung delegitimiert. Dies läuft nicht nur Parallel zu den FridayForFuture-Demonstrationen oder den Protesten gegen die neuen Polizeigesetze – wobei hier auch SPD, Grüne und LINKE fleißig mitmischen, wenn sie in den entsprechenden Positionen sind –, sondern etwa auch zur Kommunikationspolitik des nordrhein-westfälischen Innenministers Herbert Reul im Falle des Hambacher Forstes. Auch hier werden stellenweise Umstände frei erfunden, um einen Massenprotest zu delegitimieren, anstatt sich mit ihm zu beschäftigen. Auch Reul bediente dabei im Übrigen das Bild des ausländischen Kriminellen, welcher in die Proteste einsickere.

Bedrohliche Clowns

Die vollständige Ahnungslosigkeit der Union wäre wahrscheinlich höchst amüsant – hier sei wirklich noch einmal das Voss-Interview bei VICE empfohlen –, säßen diese Personen nicht an zentralen Schaltstellen. Und es gehört eben auch in den Kontext dieses Kommentars, dass der neue Vorsitzende der Jungen Union, Tilmann Kuban, von „Gleichschaltung“, „Grenzöffnung“ und „Rechtsbruch“ spricht. Nicht nur ideologisch, sondern auch strategisch kopieren die Unionsparteien aktuell das erfolgreiche Rezept der AfD: Irgendetwas erzählen, notfalls zurückrudern, sich von Fakten nicht weiter stören lassen. Schlussendlich steht damit die Demokratie zur Disposition. Denn es lassen sich hier nicht nur die alten Verstrickungen zwischen Wirtschaft und Politik finden, wo sich mit Parteispenden und Aufsichtsratsposten Loyalitäten und Mehrheiten gesichert werden. Es geht um viel mehr: Es geht um die Frage, ob Politik unter Berücksichtigung und auf Höhe des wissenschaftlichen Kenntnisstandes entscheidet. Und es geht darum, Gegenstimmen ernstzunehmen. Bei der Union wird beides im Moment abgelehnt.

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