„Die Zeit für Mut ist jetzt!“ von Lea Bonasera: Kleber statt Kompromisse
Klimabewegung Lea Bonasera, Mitbegründerin der Letzten Generation, hat ihr erstes Buch veröffentlicht. Es heißt „Die Zeit für Mut ist jetzt!“ Von einer selbstkritischen Bilanz der Bewegung ist die Aktivistin weit entfernt
Die definitorischen Feinheiten will sie dann in ihrer Dissertation nachliefern: Lena Bonasera
Foto: Norman Konrad/Der Spiegel
Bücher versprechen im Untertitel oft, eine Frage zu beantworten. Im Falle von Lea Bonaseras Buch Die Zeit für Mut ist jetzt! lautet diese Frage Wie uns ziviler Widerstand aus Krisen führt. Der zivile Widerstand sei „die Methode, die die Verantwortlichen endlich dazu bringen wird“, sich den wichtigen Fragen der Gefahren des Klimawandels „zu stellen und ins Handeln zu kommen“, schreibt die Autorin. Das Buch handelt aber eher davon, warum das nicht gelingen wird – auch wenn die Autorin das selbst anders sieht.
Lea Bonasera, Jahrgang 1997, ist Mitbegründerin der Bewegung „Letzte Generation“, und sie ist eine der wichtigsten Aktiven in dieser Bewegung. Sie gehört, wenn man ihrer eigenen Darstellung im Buch folgt, zu denen, die Ak
ung. Sie gehört, wenn man ihrer eigenen Darstellung im Buch folgt, zu denen, die Aktionen vorbereiten und planen, vor allem aber scheint sie einer der theoretischen Köpfe der Gruppe zu sein, sie gibt dem praktischen Handeln ein gedankliches Fundament. In ihrem Buch versucht die Autorin zu begründen, warum es für den Kampf gegen den Klimawandel gerechtfertigt und zugleich sinnvoll ist, sich auf Straßen festzukleben, in den Hungerstreik zu treten, Kunstwerke mit Flüssigkeiten zu übergießen und etwa das Brandenburger Tor oder die Weltzeituhr in Berlin mit oranger Farbe zu besprühen.Gewaltfreier Widerstand – Hat Lea Bonasera Hannah Arendt gelesen?Ziviler Widerstand sei das, gewaltlos und friedlich. Ob das, was die Letzte Generation tut, tatsächlich als gewaltfrei angesehen werden kann, ist allerdings fraglich. Es gibt ja nicht nur die körperliche Gewalt, durch die eine Person eine andere aktiv verletzt, es gibt seelische und passive Gewalt. Man spricht davon, jemanden in seine Gewalt zu bringen. Gewalt ist im Wesen also etwas anderes, als jemanden zu schlagen oder zu töten. Obwohl sie Arendt doch „großartig“ findet, hat Bonasera das Buch Macht und Gewalt von Hannah Arendt offenbar nicht gelesen. Dort hätte sie erfahren können, dass Gewalt sich von Stärke durch ihren technisch-instrumentellen Charakter unterscheidet.Bonaseras Buch ist ein Lehrbuch für den Einsatz solcher Techniken und Instrumente. Sie beschreibt, wie die Onlineplattformen und die Medien zu instrumentalisieren sind, wie die Gewaltbereitschaft von Polizei und Betroffenen genutzt, dokumentiert und instrumentalisiert werden kann.Bedenklich ist, wie Bonasera sich Quellen und historische Ereignisse ohne lange nachzudenken so zurechtlegt, dass sie zur Verteidigung des eigenen Tuns eben passen. Stolz stellt sie sich in die Tradition der amerikanischen Bürgerrechtlerin Rosa Parks und der Leipziger Montagsdemonstranten am Ende der DDR, obwohl deren Protestformen sich doch strukturell enorm vom Protest der Letzten Generation unterscheiden. Dass ziviler Widerstand zur Herbeiführung von Demokratie wichtig sein kann, wird stolz belegt, wie sich die Wirkung solcher Aktionen innerhalb einer Demokratie verändert, wird aber nicht weiter diskutiert. Dabei wäre genau das wichtig, denn ziviler Widerstand ist nicht schon deshalb demokratisch, weil er für die Demokratie wichtig sein kann.Überhaupt wäre es interessant gewesen, einmal zu erfahren, was denn Demokratie, ein Wort, das immerhin 76-mal in dem Buch auftaucht, für die Aktivistin eigentlich bedeutet. Man gewinnt den Eindruck, Demokratie sei genau dann realisiert, wenn die Politik das macht, was die Aktivisten fordern. Dass die Artikulation von politischen Ansichten auch durch wirklich zivilen und gewaltfreien Widerstand (zu dem vor allem Demonstrationen und auch Behinderungen derjenigen gehören können, gegen die man sich wendet) Teil der Demokratie ist, steht außer Frage. Der Kern des demokratischen Prozesses ist aber die Aushandlung eines Kompromisses. Dazu wäre es notwendig, dass man andere Standpunkte erstmal als legitim akzeptiert, dass man einsieht, dass es auch Bedingungen zu berücksichtigen gilt, die man selbst nicht „auf dem Schirm“ hat. Bonaseras Buch zeigt vor allem, dass es der Letzten Generation gerade an dieser Einsicht fehlt.Der Unterschied zwischen einer Waldbesetzung und einer StraßenblockadeWenn Politiker nicht tun, was sie sagen, liegt das ihrer Meinung nach offenbar nicht etwa daran, dass sie vielleicht auch noch mehr zu berücksichtigen haben als den schnellen CO₂-Ausstieg, sondern daran, dass sie noch nicht begriffen haben, was die Aktivisten längst durchschauen. Bonasera schreibt von Begegnungen auf Augenhöhe, die nötig seien, und meint eigentlich, dass man die Welt mit ihren Augen sehen muss, und zwar nur mit ihren.Von einer selbstkritischen Analyse dessen, was die Klimabewegung seit dem Auftauchen der Letzten Generation erreicht hat, ist Bonasera deshalb auch meilenweit entfernt. Sie bedauert zwar, dass der Druck der Schulstreiks von Fridays for Future im Laufe der Zeit immer weiter abflachte, obwohl sie doch eine große Wirkung haben könnten, hält aber nicht inne, um sich zu fragen, ob es nicht besser wäre, die Klimaproteste dann auf diese Formen zu konzentrieren, statt den Ruf und das Ansehen der Klimaschutzbewegung durch Radikalisierung zu beschädigen.Es wäre ein wirklich wichtiger Beitrag zur Diskussion gewesen, wenn Bonasera die vielen Beispiele von zivilem Ungehorsam und gewaltfreiem Protest, von Rosa Parks bis zu den Montagsdemos am Ende der DDR, die sie argumentativ in ihren Dienst stellt, einmal auf strukturelle Differenzen hin betrachtet hätte. Dann hätte sie vielleicht auch den Unterschied zwischen einer Waldbesetzung und einer Straßenblockade bemerkt. Das wird vielleicht Gegenstand ihrer Dissertation, an der sie derzeit schreibt und für die sie verspricht, die definitorischen Feinheiten auszuarbeiten. Stattdessen ist ihr Buch eine praktische Anleitung zum Protest im Sinne der Letzten Generation. Wie der uns aus der Krise hilft, kann man dabei leider nicht erfahren.
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