Gerichte gegen „Letzte Generation“: Nicht stillhalten, aber maßhalten

Meinung Die Justiz verliert langsam die Nerven. Eine Berliner Richterin verurteilt eine Aktivistin der „Letzten Generation“ zu acht Monaten Freiheitsstrafe. Mit so einer politischen Hau-drauf-Mentalität dürfen sich Gerichte nicht gemein machen
Auch die Polizei greift zu schwerem Gerät
Auch die Polizei greift zu schwerem Gerät

Foto: Odd Andersen/AFP/Getty Images

Das Amtsgericht Tiergarten hat eine Aktivistin der „Letzten Generation“ zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Ohne Bewährung, schließlich habe sie schon im Gerichtssaal angekündigt, bald wieder die Straße zu blockieren, da fehle es an einer positiven Sozialprognose.

Das Urteil dürfte nicht nur die Angeklagte überrascht haben, sondern auch die Staatsanwaltschaft, die eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen à 15 Euro gefordert hatte. Rechtskräftig ist die Entscheidung noch nicht, man darf erwarten, dass sie in nächster Instanz korrigiert wird.

Der demonstrativ gerissene Geduldsfaden der Berliner Richterin zeigt aber, dass die Justiz mit dem Überzeugungstätertum der Klimaaktivisten ihre Schwierigkeiten hat. Was macht man mit Leuten, die sich sogar am Richtertisch festkleben? Und gleichzeitig auf die Verfassung pochen?

Das Amtsgericht Flensburg hatte im vergangenen Jahr einen Baumbesetzer freigesprochen und dabei auf den Klimanotstand und den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts verwiesen. Das Urteil sorgte für Aufsehen, ist aber ebenfalls ein Ausreißer und hat die Revision zum Oberlandesgericht nicht überstanden.

Denn auch wenn man die Klima-Aktionen politisch für legitim hält, dürfte allen Beteiligten klar sein, dass eine Entkriminalisierung sämtlicher Protestformen nicht die Lösung ist. Die Klimaaktivisti setzen selbst darauf, friedliche, aber eben unter Umständen strafbare Aktionen zu begehen – es sichert ihnen Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite können Gerichte nicht mit Blick auf eine irgendwie gute Sache von der Strafverfolgung absehen.

Gerichte sollten sich von „Letzter Generation“ nicht beeindrucken lassen

In aller Regel enden die Verfahren gegen die „Letzte Generation“ bisher höchstens mit einer Geldstrafe. Die Strafgerichte können und müssen erkennen, dass sich die Aktivistinnen und Aktivisten friedlich verhalten und dass ihr Protest ein verfassungskonformes Ziel hat: mehr Klimaschutz. Sie müssen sich aber eben auch an die vom Gesetzgeber vorgesehenen und in Rechtsprechung und Literatur ausdifferenzierten Spielregeln halten. Da braucht es keine ausgefallenen Argumentationsstrategien zur Rechtfertigung, aber eben eine verhältnismäßige Strafzumessung – acht Monate Freiheitsstrafe für die Teilnahme an drei Straßenblockaden sind das nicht.

Auch die Berliner Richterin hätte Spielraum gehabt. Einzelne Mitglieder der „Letzten Generation“ mögen vor Gericht ein gewisses Märtyrertum zur Schau tragen, es passt in ihr Weltbild, für ihre Überzeugung ins Gefängnis zu gehen. Die Gerichte sollten sich davon nicht beeindrucken lassen. Schließlich hält auch eine Gefängnisstrafe niemanden ab, genau die gleiche Straftat noch einmal zu begehen – die Haft verschiebt nur die Möglichkeit dazu etwas weiter nach hinten. Dennoch kann man daraus nicht schlussfolgern, Klimakleber so lange hinter Gittern zu behalten, bis sie Einsicht zeigen.

Die Gerichte dürfen sich eben nicht mit der Hau-drauf-Mentalität des Berliner CDU-Bürgermeisters Kai Wegner gemein machen, der sich öffentlich über die Haftstrafe für die LG-Aktivistin gefreut hat und auch nicht mit hasserfüllten Leuten in den Kommentarspalten, die „18 Monate“ oder „besser acht Jahre“ Haft fordern.

Die Justiz muss nicht nur die zahlreichen Verfahren gegen Klimaaktivisten bewältigen, auch wenn ihnen die langsam auf die Nerven gehen. Die Gerichte müssen auch gegen übergriffige Autofahrer vorgehen. Und die Polizeimaßnahmen überprüfen, seien es Schmerzgriffe oder Präventivgewahrsam. In einem aufgeheizten politischen Klima muss die dritte Gewalt nicht stillhalten, aber maßhalten.

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