Wovon abhängt, ob die Letzte Generation eine „kriminelle Vereinigung“ ist
Rechtsstaat Bayerische Sicherheitsbehörden lassen die Letzte Generation seit Monaten ausspähen. Doch bis geklärt ist, ob die Klimaaktivisten eine kriminelle Vereinigung sind, wird es noch lange dauern. Was Gesetze und Gerichte sagen
Die vier haben jetzt drei Wochen Zeit, um sich voneinander zu erholen – denn die Letzte Generation geht in eine aktivistische Sommerpause.
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Die Frage, ob die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung darstellt, ist vor allem deshalb so verlockend, weil es klingt, als wäre alles geklärt, sobald man das einmal beantwortet hat. „Bei der Letzten Generation handelt es sich um Kriminelle, die mit ihren Straftaten längst alle Grenzen überschritten haben“, sagte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) kürzlich. Man werde jetzt „alle Möglichkeiten ausschöpfen, die der Rechtsstaat bietet, um ihren Machenschaften das Handwerk zu legen“. Alexander Dobrindt (CSU) sprach schon mal von der „Klima-RAF“, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) findet die Klebeaktionen „bekloppt“.
Wenn die „Aktivisti“, wie sie sich selbst bezei
cholz (SPD) findet die Klebeaktionen „bekloppt“.Wenn die „Aktivisti“, wie sie sich selbst bezeichnen, eine kriminelle Vereinigung sind, würde dann nicht die moralische Unterstützung, die sie bisher durchaus auch aus bürgerlichen Kreisen erhalten haben, zu bröckeln beginnen? Wären Spenden an die Letzte Generation strafbar, dürften Polizei sowie Staatsanwaltschaft bundesweit Wohnungen durchsuchen, Konten beschlagnahmen, die Internetseite sperren und zahlreiche Telefone, darunter das offizielle Pressetelefon, abhören?Bis zu fünf Jahre HaftGanz so einfach ist es nicht. Juristisch betrachtet geht es darum, ob Mitglieder oder auch Unterstützer der Letzten Generation den Straftatbestand des Paragraphen 129 Strafgesetzbuch (StGB) erfüllen. Der lautet: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.“ Unterstützern drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe.Gemäß Paragraph 129 StGB ist eine Vereinigung „ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses“. Eine Strafbarkeit nach Paragraph 129 kommt nicht in Betracht, wenn die Begehung von Straftaten „nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist“. Zudem kann das Gericht bei Beteiligten, „deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist“, von Strafe absehen.Klebeaktionen als Nötigung Es gibt Stimmen, die den Paragraphen für zu weitgehend halten und fordern, dass ein bestimmte „Erheblichkeitsschwelle“ beachtet, die Strafvorschrift geändert oder abgeschafft werden müsse. Mit Blick auf die hitzige politische Lage bleibt das eine theoretische Überlegung. Dass dieser Straftatbestand ausgerechnet jetzt geändert wird, sodass es die Letzte Generation etwas einfacher hat, ist nicht zu erwarten.Zuletzt hatte 2017 die Große Koalition den Straftatbestand überarbeitet und dabei konkretisiert. Der Wortlaut ist ziemlich eindeutig: Es reicht aus, dass die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die mit höchstens zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind – dazu zählen etwa Nötigung (Paragraph 240 StGB) und Sachbeschädigung (Paragraph 303 StGB). Man kann sich zwar auch darüber streiten, ob die Klebe- und Farbsprühaktionen der Letzten Generation überhaupt Straftatbestände erfüllen, in der Regel werden diese Protestformen aber als strafbar angesehen.Viele Verfahren wurden eingestelltIn den bisherigen Verfahren, in denen Mitglieder der Letzten Generation vor Gericht standen, ging es nicht um die Bildung einer kriminellen Vereinigung, sondern in der Regel um Nötigung oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. In einzelnen Fällen gab es Haftstrafen ohne Bewährung, öfter Geldstrafen, viele Verfahren wurden auch eingestellt.Es wird also auf viele konkrete Fragen ankommen, sollten tatsächlich Aktivisti wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt werden: Wie genau ist die Struktur der Letzten Generation einzuschätzen, wie sind die einzelnen Mitglieder darin eingebunden, wer entscheidet über Aktionen, wer unterstützt die Gruppe? Und welche Rolle spielen gerade strafbare Protestformen, um den „Zweck“ der Gruppe zu erreichen, nämlich die Regierung zu einer besseren Klimaschutzpolitik zu bringen? Das alles ist ungeklärt. Bis die ersten Gerichte dazu entscheiden, dürfte es Wochen oder Monate dauern, bis die Frage abschließend geklärt ist, eher Jahre.Die aktuelle Diskussion entzündet sich vor allem an den Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft München, genauer gesagt der dort angesiedelten Bayerischen Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET). Die führt gegen insgesamt sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 28 Jahren ein Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfs der Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Sie sollen eine Spendenkampagne für die Letzte Generation organisiert haben, um Straftaten bei Aktionen der Klimaaktivisten zu finanzieren. Die bisher eingesammelten 1,4 Millionen Euro Spendengelder sollen überwiegend für die Begehung von Straftaten eingesetzt worden sein. Zwei Beschuldigte sollen außerdem versucht haben, die Ölpipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.Bayern lässt Telefone abhörenBeamte der Generalstaatsanwaltschaft München, des Bayerischen Landeskriminalamtes und weiterer Bundesländer durchsuchten daraufhin im Mai bundesweit 15 Wohnungen und Geschäftsräume. Nun hat die Süddeutsche Zeitung aufgedeckt, dass bereits seit Monaten Telefongespräche mitgehört und protokolliert wurden, insgesamt sollen 13 Telefonanschlüsse abgehört worden sein, etwa eine als Pressetelefon genutzte Berliner Nummer. Die Ermittler hätten zudem gerichtliche Genehmigungen eingeholt, um Standortdaten von Handys zu ermitteln, Mailboxen abzuhören und E-Mails mitzulesen. Die Letzte Generation nannte das „verstörend“ und „erschreckend“.Paragraph 129 StGB gilt als Türöffner für den Staatsanwalt: Er ermöglicht weitreichende Ermittlungsmaßnahmen, auch im Umfeld der Gruppe. Dazu müssen nicht erst einzelne Mitglieder der Letzten Generation tatsächlich wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilt werden. Es genügt der Tatverdacht. Das Amtsgericht München hat die Durchsuchungsaktion und die Überwachungsmaßnahmen abgesegnet. Andere Staatsanwaltschaften sind bisher zurückhaltender. Das kann sich ändern.Drei Wochen SommerpauseDoch selbst dann stünden weder der Staatsanwaltschaft noch der Polizei alle Türen offen. Die Strafprozessordnung erlaubt etwa die Telekommunikationsüberwachung, wenn es um Paragraph 129 StGB geht, nicht aber eine akustische Wohnraumüberwachung oder die Onlinedurchsuchung – dort ist bereits eine Erheblichkeitsschwelle eingebaut, es muss um die Bildung einer terroristischen Vereinigung (Paragraph 129a StGB) gehen oder um eine kriminelle Vereinigung, die auf bestimmte schwerere Straftaten gerichtet ist. Auch die Ermittlungen an sich müssen zulässig und verhältnismäßig sein – ein Warnhinweis auf der gesperrten Internetseite war es nicht, die Behörde löschte ihn nach Medienanfragen. Auch die Überwachung des Pressetelefons ist unverhältnismäßig, ebenso eine uferlose Überwachung des gesamten Umfelds und privater Gespräche.Die Letzte Generation hat drei Wochen Sommerpause angekündigt – eine gute Möglichkeit, die jeweiligen Positionen zu überdenken. Weder sollten sich Staatsanwaltschaften und Polizei von markigen Politikersprüchen aufwiegeln lassen, noch Politiker die Ermittlungen wegen eines Anfangsverdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung nutzen, um populistisch die Stimmung gegen die Proteste anzuheizen. Was meint ein Ministerpräsident, wenn er sagt, man werde „alle Möglichkeiten, die der Rechtsstaat bietet“, ausnutzen? Hoffentlich, dass man sich eben an die rechtsstaatlichen Grenzen hält, die das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung und das Grundgesetz vorsehen. Das gilt völlig unabhängig davon, ob man die Aktionen der Letzten Generation moralisch gerechtfertigt oder unangenehm totalitär findet.