Abhöraktion Letzte Generation: Eingriff in die Pressefreiheit

Meinung Über Monate wurden Handys, E-Mails und das Pressetelefon der Letzten Generation von der bayrischen Polizei überwacht. Dass das in die Pressefreiheit eingreift, hat anscheinend niemanden interessiert
Ausgabe 26/2023
In Bayern zieht die Polizei mit den Aktivist:innen auch die Pressefreiheit durch den Dreck
In Bayern zieht die Polizei mit den Aktivist:innen auch die Pressefreiheit durch den Dreck

Foto: Imago/aal.photo

Ende April, als die Letzte Generation gerade dabei war, die deutsche Hauptstadt großangelegt mit Klebeaktionen lahmzulegen, telefonierte ich mit Carla Rochel, einer Vertreterin der Gruppe. Wir sprachen über den Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ gegen die Letzte Generation, wie es ihr damit geht, öffentlich von Politik und Justiz als Kriminelle gebrandmarkt zu werden und warum sie diese staatlichen Repressionen auf sich nimmt. Kein Wort über die Strukturen der Letzten Generation. Nichts über geplante Aktionen, die nicht bereits angekündigt waren, keine Kommentare zu juristischen Strategien angesichts der zahlreichen Verfahren gegen Mitglieder der Gruppe.

Trotzdem gibt es jetzt in Bayern eventuell eine:n Polizist:in, der:die genau weiß, wie meine Stimme am Telefon klingt. Und eventuell ein Protokoll des Telefonats in irgendeiner Akte, in der mein Name vermerkt sein könnte. Denn in Bayern wird noch immer gegen die Letzte Generation wegen des Verdachts auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nach Paragraf 129 ermittelt. Wie die Süddeutsche Zeitung am vergangenen Freitag berichtete, wurden in diesem Rahmen seit Oktober 2022 nicht nur private Handys abgehört, lokalisiert und E-Mails gelesen, sondern auch das Pressetelefon überwacht.

Während die Überwachung privater Kommunikation durchaus im Rahmen einer Ermittlung nach besagtem Paragrafen 129 vorgesehen ist, sieht das für Telefone, die ausschließlich für Gespräche mit der Presse genutzt werden, anders aus. Eigentlich hätte das Amtsgericht München in diesem Fall abwägen müssen, was stärker ins Gewicht fällt: die Strafverfolgung oder die Pressefreiheit. Letztere ließe sich nur einschränken, wenn die Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ sind. Den Recherchen der SZ zufolge, fanden diese Abwägungen aber gar nicht statt.

Die Überwachung richtet sich gegen die Presse

Begründet wurde die Überwachung des Pressetelefons mit der Behauptung, nur so ließen sich Erkenntnisse über die Strukturen der Letzten Generation gewinnen. Dabei reichen rudimentäre Fähigkeiten im Umgang mit dem Internet aus, um die meisten dieser Informationen zu finden: Transparenz ist ein Markenzeichen der Letzten Generation. Am Pressetelefon wird sich mit dem echten Namen gemeldet, die Gesichter sind bei den Aktionen klar zu erkennen, auf der Webseite gibt es ein öffentlich einsehbares Wiki zu Aufbau und Strategie, das jede:r ohne Hacker-Erfahrungen finden kann.

Welche zusätzlichen Informationen erhoffte man sich also aus der Überwachung dieses Pressetelefons? Denn obwohl bereits im Januar festgestellt wurde, dass sich dort keine nennenswerten Informationen beschaffen lassen, wurde die Überwachung weiterhin als „erforderlich und unentbehrlich“ eingestuft.

Herausfinden wird die Polizei bloß, welche Journalist:innen sich für das Thema interessieren, welche Medien aktuell wozu recherchieren und eventuell auch, welche Haltung einzelne Medienvertreter:innen haben. Ziel dieser Überwachung sind damit neben den Klimaaktivist:innen auch Journalist:innen, die im Bereich Klimakrise und Aktivismus arbeiten. Ich weiß nicht, ob ein mögliches Protokoll eines Telefonats mit einer Aktivistin bei der Polizei in Bayern, in dem mein Name vermerkt ist, in Zukunft irgendwelche Auswirkungen haben wird. Klar ist jedoch, dass die Polizei hier in die journalistische Arbeit eingreift und das Verhältnis zwischen Presse und Aktivist:innen stört. In Bayern liegen jetzt Akten, die auflisten, wie häufig welche Journalist:innen bei der Letzten Generation anrufen und welche Fragen sie einer Gruppe der Klimabewegung stellen, die für sie im Verdacht steht, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Systematisch werden hier Informationen über Journalist:innen gesammelt und ohne mit der Wimper zu zucken, die Pressefreiheit außer Kraft gesetzt.

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Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

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