„Jedermann“ bei Salzburger Festspielen: Letzte Generation vom Theaterspektakel absorbiert

Theatertagebuch Aktivist*innen der Letzten Generation störten die Premiere des „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen. Leider waren sie nicht die einzigen, die auf die Idee kamen, das sei das perfekte Stück dafür
Ausgabe 30/2023
„Jedermann“-Inszenierung in Salzburg lässt Letzte Generation alt aussehen
„Jedermann“-Inszenierung in Salzburg lässt Letzte Generation alt aussehen

Foto: Matthias Horn

Der Philosoph Hans Blumenberg schreibt in seinem Buch Höhlenausgänge den schönen und sehr eingängigen Satz: „Wir wissen, dass wir sterben müssen, aber wir können es nicht glauben.“ Ich mag diesen Satz und zitiere ihn ständig. Nicht nur, weil er so wahr ist, sondern weil er auch, logisch, auf andere existenzielle Bedrohungen zutrifft, zum Beispiel: Wir wissen, dass der Klimawandel uns töten wird, aber wir können es nicht glauben. Die Bilder von Eisschollenfluten, die jetzt durch italienische Städte treiben, oder die Touristenkarawanen auf Rhodos, die vor qualmenden Waldbränden flüchten, haben unser Wissen vom Klimawandel bestätigt, aber im Ernst, werden wir deshalb jetzt sofort untergehen?

Während der Premiere von Jedermann bei den Salzburger Festspielen am vergangenen Wochenende wollte eine Gruppe der Letzten Generation aus Österreich den Glauben an den Klimawandel unter das Publikum bringen und störte die Aufführung. Drei Aktivisten standen im Publikum auf und schrien: „Wir alle sind die letzte Generation, die die Klimakipppunkte verhindern kann. Wir haben die Lösungen, die wir brauchen.“ Das ist in einem Video auf Twitter zu sehen, in dem die Gruppe auch ihre Gründe für die Aktion erklärt. „Der Bernhard“ sagt: „Ich kann nix anderes tun, ich hab das Gefühl, ich muss mich da mittenrein setzen und einfach schreien, wie schlimm es ist.“

Im Grunde ist der Jedermann das ideale Stück für so eine Unterbrechung. Denn Hugo von Hofmannsthal hat ja schließlich die Geschichte von einem Mann geschrieben, dem der Tod an seinem 40. Geburtstag plötzlich sagt, so Freundchen, auf geht’s, und der das ganz lange einfach nicht wahrhaben will.

Trotzdem ging die Aktion komplett nach hinten los, und es ist interessant warum. Denn der Regisseur Michael Sturminger war ebenso auf die Idee verfallen, die Geschichte von der Gewissheit des Todes im jetzigen Weltuntergang anzusiedeln. Dass zwei Darsteller auf der Bühne das Haustor von Jedermann mit orangener Farbe besprühen, war also bereits Teil der geplanten Inszenierung. Das ist natürlich das Schlimmste, was dem als Intervention gemeinten Aufschrei der Letzten Generation passieren konnte – er wurde einfach vom Theaterspektakel absorbiert. Die Differenz von Inszenierung und ernster Störung wurde aufgehoben. Die Farbe, der Protest: alles schon Zitat und Teil unseres Wissens über die Klimakatastrophe. Trotzdem bleibt die Frage: Wann fangen wir an, auch an sie zu glauben, und kann Theater überhaupt noch eine Rolle dabei spielen?

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