Wir haben uns bemüht

Literatur Die Übersetzung von Amanda Gormans „The Hill We Climb“ weicht bedenklich vom Original ab
Ausgabe 14/2021

Ein Gedicht ist mehr als ein Text, der durch viele Zeilenumbrüche in zusätzliche Sinneinheiten von Versen und Strophen unterteilt ist. Es ist ein filigranes Sprachgebäude, das durch Rhythmus und Reime seinen inneren Halt bekommt und zugleich lebendig wird, wenn es den Rhythmus wechselt, Reime nur anklingen und Alliterationen überraschende Verbindungen herstellen. Es ist bei einem Gedicht, das sich größere Freiheiten im Gebrauch dieser Bindemittel nimmt, nicht einfacher, sondern anspruchsvoller, das Werk in eine andere Sprache zu übertragen. Man muss den Rhythmus zunächst erspüren, die manchmal versteckten und verstreuten Reime entdecken, die Alliterationen zum Klingen bringen, um sie dann in den Worten der eigenen Sprache nachzubilden, ohne die Gedanken des Textes zu verraten. Bedenkt man dies, so muss man leider schon nach wenigen Zeilen der deutschsprachigen Version Den Hügel hinauf des Gedichts The Hill We Climb von Amanda Gorman feststellen, dass die Übertragung des Übersetzerinnenteams des Verlags Hoffmann und Campe gescheitert ist.

In der dritten und vierten Zeile findet sich im Original ein Reim („shade / wade“), ebenso in der fünften und sechsten Zeile, auch wenn er etwas versteckt ist („beast / peace“). Die Übersetzung verzichtet nicht nur darauf, diese Reime aufzunehmen, sie zerstört überhaupt den Rhythmus der Zeilen. Das ist umso bedenklicher, weil damit die ganze Bewegung des Anfangs des Gedichts verloren geht. Blättert man kurz zurück, oder erinnert man sich an den Moment des Vortrags, dann weiß man, dass am Anfang die Anrede des Präsidenten, seiner Frau, der Vizepräsidentin und letztlich der Welt steht. Dies ist Prosa. Es folgen die ersten zwei Zeilen des Gedichts, in denen man spürt, wie der Text seinen Rhythmus, seinen Schwung findet, bis er in der dritten Zeile in seinen Takt kommt. Es ist ein Anlauf, ein Schwungholen – davon ist in der deutschen Version nichts zu spüren.

Cultures, colors, characters

Und so bleibt es auch. Das ist an den filigransten Stellen des Originals besonders deutlich. Die Zeilen „To compose a country committed / To all cultures, colors, characters, / And conditions of man“ werden übersetzt mit „Ein Land für Menschen aller Art, / jeder Kultur und Lage, jeden Schlags“ – ist den Übersetzerinnen, wirklich entgangen, dass im Original sieben Wörter mit dem Buchstaben „C“ beginnen, was dem Stück einen nachdrücklichen, hämmernden Takt gibt? Wäre es nicht möglich gewesen, diesen Nachdruck ins Deutsche zu übertragen, etwa mit „Gesellschaft gestalten, die allen Gefühlen, Geschlechtern, Geburten und Gründen von Menschen genügt“?

Selbst da, wo das Team etwas von Alliterationen wahrgenommen hat, ersetzt seine Übertragung die filigrane Konstruktion des amerikanischen Originals durch alle erdenkliche Schwerfälligkeit des Deutschen: „That even as we tired, we tried“ wird zu „Bei aller Ermüdung, wir haben uns bemüht“.

Dabei kann auch das Deutsche feingliedrig sein. Etwa mit „Auch als wir versagten, versuchten wir“. Eine solche Alternative würde zwar nicht den Inhalt exakt wiedergeben, aber auch die Übersetzerinnen weichen hier und da sogar bedenklich vom Original ab, etwa in den letzten Zeilen: „For there is always light, / If only we’re brave enough to see it, / If only we’re brave enough to be it.“ Übersetzt werden sie mit: „denn Licht ist immer, / wenn wir es nur in uns zu finden wagen. / Wenn wir uns zutrauen, es weiterzutragen.“ Zwar wird hier am Ende fast ein Reim gefunden, aber im Original steht nichts davon, dass das Licht „in uns“ zu finden sei, noch ist es dasselbe, ein Licht „zu sein“ oder es „weiterzutragen“.

Warum, und vor allem von wem das Gedicht überhaupt übersetzt werden sollte, erklärte im Freitag 10/21 eine der Übersetzerinnen, Hadija Haruna-Oelker. Indes, es lohnt die Lektüre auch ohne die Übersetzung. Das Buch enthält neben dem Original ein Vorwort von Oprah Winfrey und einige hilfreiche Anmerkungen der Übersetzerinnen, die Hinweise auf Bedeutungen und Anspielungen geben, die eine Leserin im deutschsprachigen Raum nicht unbedingt bemerkt hätte. Zudem ist das Buch eine schöne Erinnerung an ein bedeutendes und freudvolles Ereignis der jüngsten Geschichte – und schon deshalb einen Kauf wert.

Info

The Hill We Climb – Den Hügel hinauf. Zweisprachige Ausgabe Amanda Gorman Kübra Gümüsay, Hadija Haruna-Oelker, Uda Strätling (Übers.), Hoffmann & Campe 2021, 64 S., 10 €

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