Hubertus Heil meint es ernst

Fleischindustrie Es brauchte eine Pandemie, um die skandalösen Zustände in den Fokus zu rücken. Der Arbeitsminister will dagegen vorgehen, sofort macht die Lobby mobil
Ausgabe 30/2020
Tönnies-Mitarbeiter in Quarantäne im nordrhein-westfälischen Verl
Tönnies-Mitarbeiter in Quarantäne im nordrhein-westfälischen Verl

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Die deutsche Fleischindustrie, das sind eine Handvoll Großkonzerne, die billige Arbeitskräfte importieren, um billiges Fleisch exportieren zu können. 90.000 Menschen arbeiten in den Schlachthöfen von Tönnies und Co. – mehrheitlich in Osteuropa angeworbene Kontraktarbeiter: prekär beschäftigt bei dubiosen Subunternehmen, kaum abgesichert gegen Krankheit und Arbeitsunfälle, doppelt abgezockt durch überteuerte Mieten für einen Schlafplatz in elenden Bruchbuden.

All das ist seit Jahrzehnten bekannt, aber die Politik hat sich einen Dreck darum geschert. Die DGB-Beratungsstellen für „Faire Mobilität“, einzelne Aktivisten wie der katholische Sozialpfarrer Peter Kossen oder der Verein „Arbeitsunrecht“ rannten lange dagegen an. Beweise wurden gesammelt, Anzeigen erstattet, die von den Behörden, wenn überhaupt, nur lustlos verfolgt wurden.

Die liberale Öffentlichkeit nahm die Berichte allenfalls mit Gänsehaut zur Kenntnis. Man empörte sich zwar – zu Recht – über die unwürdige Behandlung der Schlachttiere. Für die Beschäftigten, die in Deutschlands Fleischfabriken im Akkord schuften, und die, wenn sie sich mit Knochensägen selbst verstümmeln, lautlos wieder in ihre Heimatländer verschwinden, blieb nicht viel Empathie.

Es brauchte eine Virus-Pandemie, um die skandalösen Zustände in den Fokus zu rücken. Plötzlich stand die Politik unter Handlungsdruck wie nie zuvor. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD kündigte ein Verbot der Werkverträge in Schlachthöfen an. Heil ist der erste Minister in seinem Amt, der es damit ernst meint. Sofort machte die Lobby mobil, um das Gesetz zu verhindern oder wenigstens zu entschärfen.

Wie auch immer die Neuregelung ausfallen wird: Das Problem wird damit nicht vom Tisch sein. Nicht nur in der Fleischindustrie, sondern quer durch alle Branchen gründet die deutsche Wirtschaft ihre Profitabilität zu einem beträchtlichen Teil auf Werkverträge, Outsourcing und andere windige Rechtskonstruktionen. Deren einziger Zweck liegt im Sozialdumping und der Ausbeutung prekärer, billiger Arbeitskraft – oft aus den östlichen EU-Staaten und deren Anrainern. Damit aufzuräumen, braucht es mehr als ein Gesetz. Aber Hubertus Heils Vorhaben könnte immerhin ein Anfang sein.

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