Uni-Professorin putzte ein halbes Jahr am Potsdamer Platz: „Bekannte grüßten mich nicht“
Im Gespräch Sie kommen abends, wenn die Lichter im Büro schon ausgegangen und die meisten von uns im Feierabend sind: Reinigungsangestellte. Professorin Jana Costas hat sechs Monate mit ihnen geputzt und ein Buch über diese Zeit geschrieben
So bunt ist der Arbeitsalltag von Putzkräften leider nicht
Fotomontage: der Freitag; Material: dpa
Raus aus der Uni-Kleidung, rein in die Reinigungsuniform! Jana Costas hat sechs Monate als Reinigungskraft am Potsdamer Platz in Berlin gearbeitet. Sie musste in dieser Zeit mehr als nur eine Demütigung über sich ergehen lassen. Ein Gespräch über Würde, Gestank und Menschen, die sie plötzlich nicht mehr erkannten.
der Freitag: Frau Costas, was hat Sie dazu inspiriert, sechs Monate als Reinigungskraft zu arbeiten? Immerhin sind Sie Professorin ...
Jana Costas: Ich habe früher mal als Beraterin für ein Unternehmen gearbeitet und dort sehr spät noch im Büro gesessen. Auf einmal, kurz vor Mitternacht, geht die Tür auf und eine Reinigungskraft guckt rein. Das hat mir bewusst gemacht, wie diese Positionen an entgegengesetzten Enden des Arbeits
inigungskraft guckt rein. Das hat mir bewusst gemacht, wie diese Positionen an entgegengesetzten Enden des Arbeitsmarkts, die in der Regel keinen Kontakt haben, doch miteinander gekoppelt sind. Also habe ich ein Forschungsprojekt daraus gemacht: Ich wollte mehr über diese stigmatisierten Dienstleistungstätigkeiten erfahren, insbesondere aus der Sicht derjenigen, die sie ausüben. Wie nehmen sie ihre Rolle wahr, wie interagieren sie untereinander, wie begegnen sie den Personen, für die sie die Dienstleistung verrichten? Meine These war, das Ganze müsste einiges darüber aussagen, wie Ungleichheit im Alltag, in unserer Gesellschaft, in der Arbeitswelt hergestellt wird und sich manifestiert.Und unsichtbar gemacht wird ...Jeder weiß, dass es Reinigungskräfte gibt: Leute, die unseren Müll wegräumen, die Straßen sauber machen. Reale Begegnungen mit diesen Menschen sind aber rar. Und das war das Interessante für mich: Sie werden rar gehalten. Es gibt eine aktive „Unsichtbar-Machung“. Das hat eine zeitliche Dimension: Es ist ja sinnvoll, Einkaufszentren oder Arztpraxen außerhalb der Öffnungszeiten zu reinigen. Tatsächlich ist es aber mehr als das. Reinigungskräfte sollen sich zu den normalen Geschäftszeiten nicht in der Öffentlichkeit blicken lassen ...... in der „Oberwelt“, wie Sie in dem Buch schreiben. Es gibt also auch eine räumliche Dimension?Die Oberwelt, das ist der Potsdamer Platz, der uns als kosmopolitischer Ort präsentiert wird: Man beschwört Marlene Dietrich und die 20er Jahre herauf, es gibt Bürohochhäuser mit Konzernzentralen und internationalen Rechtsanwaltskanzleien. Und die Personen, die davon angezogen werden sollen, gehören anderen Schichten an. Mir war – als Berlinerin! – nicht bewusst, dass der Potsdamer Platz teilweise bis zu vier Ebenen unter der Erde ausgebaut ist – für die Dienstleistungskräfte, die diesen Platz am Laufen halten.Reinigungskräfte werden oft ignoriert.Ja. Es wird so getan, als ob sie nicht präsent seien. Bei Begegnungen von Reinigungskräften mit den Kund*innen oder mit Personen, die sich einfach am Potsdamer Platz bewegen, die sie zur Seite schubsen, als ob sie nicht da sind. Oder ein „Guten Morgen“ nicht erwidern. Das sind Formen der sozialen „Unsichtbar-Machung“.Wie ist es Ihnen selbst ergangen, als Sie den Job gemacht haben?Ich habe das ein halbes Jahr mitgemacht, aber trotzdem war ich selbst nicht wirklich eine Reinigungskraft. Ich habe mein Universitätsgehalt weiterhin bekommen. Ich bin und war mir die ganze Zeit meiner privilegierten Position sehr bewusst. Gleichzeitig habe ich die Reinigungsuniform getragen, habe mitgearbeitet. Und so war von außen nicht für jedermann und jede Frau immer sofort klar, dass ich nicht wirklich dazugehöre. Es war spannend zu sehen, wie anders ich wahrgenommen oder auch gar nicht wahrgenommen werde. Personen, die ich kannte, sind an mir vorbeigegangen. Andere Personen haben mir ihren Müll vor die Füße geworfen, ohne ein Wort zu verlieren, obwohl neben ihnen ein Papierkorb war. So etwas hatte ich bis dahin noch nicht erlebt.Sie schreiben aber auch über die gegenteilige Erfahrung, über Kontakte und Austausch mit anderen Beschäftigten.Ich wurde sichtbarer für Personen, die sonst vielleicht nicht so mit mir interagiert hätten. Für Handwerker, Bauarbeiter, die jeden Tag an der gleichen Baustelle waren. Auf einmal haben die mich begrüßt: Oh, du bist aber heute Morgen spät dran! Die haben mich wahrgenommen und mit mir angefangen zu interagieren. Das erlebe ich in meiner Rolle als Universitätsprofessorin sonst nicht so. Oder als ich nach Feierabend in einem türkischen Supermarkt einkaufte und meine Reinigungsuniform noch anhatte, haben mich Leute angesprochen: Arbeitest du auch bei Reinlich & Co.?Könnte man den Potsdamer Platz, der ja in den frühen 1990er Jahren als eine Antwort des siegreichen Kapitalismus auf den Fall der Mauer konzipiert wurde, als eine Art architektonische Blaupause für den neoliberalen Umbau der Gesellschaft sehen?Der Raum dort ist ein komplett privatisierter. Obdachlose etwa können da jederzeit rausgeschmissen werden. Insofern ist der Potsdamer Platz als „Corporate Microcity“ auch ein Symbol und provoziert geradezu die Frage: Wo geht unsere Stadt und unsere Gesellschaft hin? All diese strukturellen, ökonomischen Ungleichheiten bilden den Kontext. Auf kultureller Ebene kommt die Stigmatisierung dazu: Reinigungskräfte arbeiten mit Schmutz, das ist eklig. Dann diese 30 Jahre neoliberaler Politik, Agenda 2010, Hartz IV und das Aufkommen dieser prekären Dienstleistungstätigkeiten. Was mich aber am meisten interessiert hat, war, wie diese Struktur durchbrochen werden kann.Vielleicht durch Solidarität untereinander, durch kollektives Handeln? Beschäftigte stellen gemeinsam Forderungen auf, treten in Aktion. Gab es so was wenigstens in Ansätzen bei Ihrer Arbeit am Potsdamer Platz?Ich hab mich gefragt, warum Gewerkschaften nicht stärker sind in der Reinigungsbranche. Ein Grund ist wohl, dass Reinigungskräfte sich nicht jeden Tag begegnen wie Fabrikarbeiter*innen, die sich allein dadurch schon bewusst darüber sind, dass sie ähnliche Interessen haben und sich organisieren. Obwohl der Potsdamer Platz in dieser Hinsicht eine Ausnahme war. Hier haben sich die Reinigungskräfte relativ viel gesehen im Materialraum, das war ein Ort der Begegnung. Das hat aber nicht unbedingt dazu geführt, dass sie sich solidarisiert haben.Warum, glauben Sie, ist Solidarität in der Branche so ein schwieriges Thema?Ein Problem ist, dass es in dem Beruf null Einstiegshürden gibt. Theoretisch kann jeder und jede Reinigungskraft werden. Und für viele ist das auch ein Vorteil, eine Chance, überhaupt Zugang zum Arbeitsmarkt zu bekommen. Etwa für Geflüchtete, für Leute, die nicht gut Deutsch sprechen. Und daneben gibt es Personen, die eine Ausbildung machen, die das eigentlich als Handwerksjob sehen, stolz sind, Handwerker zu sein. Und es gibt Personen, die eigentlich eine Ausbildung in einer anderen Branche haben, etwa als Friseurin, wo sie aber noch weniger verdienen, und für die es deshalb besser ist, in der Reinigungsbranche anzufangen. Dazu kommt die strukturelle Segregation, das beginnt bei den Verträgen: Es gibt Minijobs, Teilzeitbeschäftigte, die nur vier Stunden arbeiten. Es gibt andere, die haben sieben oder acht Stunden. Es gibt Leute mit befristeten Verträgen. Dazu kommt, dass das Management unterschiedlich mit den Personen umgeht. Es gibt Teamleiter, die haben eine Präferenz für Personen aus einem bestimmten Kulturkreis. Das müssen übrigens nicht immer Deutsche sein. Und so kreieren die Reinigungskräfte auch Hierarchien oder versuchen es zumindest.Damit Solidarität eine reale Handlungsoption wird, muss man auch ein realistisch erreichbares Ziel vor Augen haben. Ein, zwei konkrete Forderungen, die man vielleicht durchsetzen kann. Wurde so etwas diskutiert?Um zu sagen, ich kann gemeinsam mit anderen etwas verändern, muss ich erst mal das Gefühl haben, ich bin wer und kann etwas sagen. Deshalb ist dieser Kampf um Würde auch so relevant. Die Kolleginnen und Kollegen waren sicher nicht permanent am Boden zerstört, aber Ohnmachtsgefühle sind weitverbreitet. Dieses Unsichtbarmachen ist ja nichts anderes, als ihnen zu sagen, du hast ja keine Stimme, du bist Lärm! Wenn du permanent nicht als Subjekt wahrgenommen wirst, kostet es ziemliche Kraftanstrengungen, zu sagen: Ja, wir können was verändern, und auch meine Stimme zählt.Entwickeln wir uns in Richtung einer Gesellschaft, wo es ein Dienstleistungsproletariat gibt, das uns bedient, mit dem wir uns aber eigentlich gar nicht verständigen wollen?Das ist genau mein Punkt, zu sagen: Okay, was ist das jetzt hier eigentlich? Eine Rückkehr in so eine Art von Klassengesellschaft, in der Servicekräfte der Mittel- und Oberschicht zuarbeiten? Ist es das, was wir gesellschaftlich wollen?Das hört sich ein bisschen dystopisch und aussichtslos an. Wir sind irgendwann falsch abgebogen, aber wie kommen wir jetzt auf die andere Spur? Haben Sie eine Idee?An verschiedenen Punkten könnte hier angesetzt werden. Neben höheren Löhnen sollte auch die Sichtbarkeit von Reinigungskräften erhöht werden, indem sie weniger in Randzeiten arbeiten. Nur so kann ihnen und ihrer Arbeit mehr Anerkennung gesellschaftlich entgegengebracht werden. Übrigens beginnt Anerkennung schon im Kleinen: Allein Reinigungskräfte im Alltag zu begrüßen, kann für sie einen nicht zu unterschätzenden Unterschied machen. Auch wäre es hilfreich für das Standing von Reingungskräften, wenn es mehr Normalarbeitsverhältnisse in der Branche geben würde.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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