Und das Resultat wird sich aus Sicht der Linken zwischen Pest und Cholera bewegen. Wie lange wird die alte Tante SPD – man darf eine politische Alternative nicht an der Schwäche des Gegners messen, also auch nicht an der Kanzlerin – eigentlich noch brauchen, genauer, wie viele verlorene oder halbverlorene Wahlen wird sie noch brauchen, um sich in der politischen Auseinandersetzung auf ein breites linkes Bündnis einzulassen? Wie lange wird sie noch brauchen, um Politik nicht mehr nur als Politik der gutbürgerlichen Stube, sondern als Antwort auf die Analyse sozialer Konflikte und deren diskursiven Konstellationen zu begreifen?
Es ist doch nur mehr eine Art der politischen Selbstverstümmelung, wenn die SPD der Linkspartei eine Unfähigkeit zur Regierungsbeteiligung auf Bundesebene attestiert, insofern diese auch Positionen vertritt, die man mehr oder minder grundsätzlich ablehnt und ihr damit eine Trennschärfe zur SPD eignet, die sich der Wähler schon allein aufgrund ihrer Existenz in der politischen Arena links zur Mitte erwarten darf. Genau auf solcher Grundlage divergenter Positionierung im Rahmen geteilter Perspektiven (gute Arbeit, leistungsgerechte Entlohnung, nachhaltige Entwicklung, ein Europa des Ausgleichs und des Zusammenhalts) entsteht überhaupt erst so etwas wie Politik im Sinne der interessegeleiteten Auseinandersetzung und des fairen Wettstreits der Konzepte. Und zumindest darin müsste auch der Bürger übereinkommen, wenn er sich seitens der Politik und ihrer Inszenierung nicht mehr als Wähler, Vielleicht- oder Nicht-Wähler ernst genommen empfindet.
Eines gilt für alle: Habe zumindest einmal den Mut, dich der Kraft deines Verstandes zu bedienen! Also habt auch den Mut, eure Meinungen zu Markte zu tragen, zu streiten, den Dissens, den Widerspruch zu kultivieren oder wenigstens zu ertragen. Der Stillstand, von dem die Antipoden des Status quo und des Nur mehr weiter so gerne fabulieren, betrifft zuallererst einmal jene, die sich nicht als Konservative verstehen. Jene, die sich nicht damit abfinden, dass Politik zunehmend in eine neoliberale Hegemonie verdunstet, die sich mittels ihrer interessierten Betreiber durch Sachzwänge legitimiert. Globalisierung des Kapitals, Flexibilisierung der Arbeit und Beschleunigung der Kommunikation, man könnte meinen, Politik kaschiere sich desto ingeniöser, je ausgeprägter und hemmungsloser sie hinter dem Bühnenbild der Sachzwänge im Interesse des Kapitals und seiner Agenturen forciert wird. No offence, meine Damen und Herren, der Merkelismus ist ein funktionierendes Programm. Dass der noch streitbare klassische Konservatismus (das christlich-demokratische) hierzulande lange schon abgedankt hat, dass er sich in ödipal-mütterliche Figurationen eines aus vermeintlicher Fürsorge überwachend bis strafenden Staates gewandet, ist sein Schaden gemessen am Applaus des bürgerlichen Publikums nicht. Progressive Politiken brauchte man sich von ihm schließlich auch nicht erwarten.
Weder gestern noch heute. Progressive Politik bedeutet diskursiv formierte Antworten auf politische Problemkonstellationen. Auf die soziale Frage, auf die Finanzkrise, auf die europäische Einigung, auf das Verständnis von Europa und seine Rolle in der Weltpolitik, auf die Bürgerversicherung, auf Datensammelskandale und den Kommerz mit gespendeten Organen. Statt Fragen zu entflammen gefallen sich die Protagonisten der Sozialdemokraten jedoch darin, den Dissens und den Widerspruch schnellstmöglich auszumerzen, besser noch: ihn gar nicht erst in der Arena willkommen zu heißen, ihn als radikal oder in der Umsetzung unrealistisch zu diffamieren.
Wer ist denn politisch nicht konsensfähig? Eine Partei, die den Austritt aus der NATO zugunsten einer Stärkung und Demokratisierung der Vereinten Nationen fordert (vor der Wiedervereinigung noch und für viele Friedens- und Konfliktforscher weiterhin ein realistisches Szenario), oder die Partei, die die Diskussion über das Thema grundsätzlich dispensiert? Es sei nicht zuletzt angesichts solcher Diskussionsverbote dahingestellt, ob ein Rot-Rot-Grünes-Bündnis an der Regierung mehr als Neuwahlen zu Wege bringen würde. Hier geht es auch nicht darum, Aussicht auf blühende Landschaft zu zaubern. Es geht vielmehr um die diskursive Expertise, um die Politikfähigkeit nicht der Linkspartei, sondern der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, insofern sie noch gewillt ist sozialdemokratische Politiken zu realisieren, anstatt sich mittig zwischen Pest und Cholera zu positionieren. Steinbrück war und ist das Gesicht und der Kandidat für dieses Angebot. Ein Angebot, das man als streitbarer Linker nur ausschlagen kann.
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