Dazwischen viel Vergangenheit

Grüne Einst griffen die Grünen die CDU an und kämpften für eine andere Gesellschaft. Dann wurden sie eine Partei wie jede andere. Rückblick auf ein schwieriges Verhältnis
Ausgabe 42/2013

Die Grünen stehen vor den Türen der Unionsparteien. Früher taten sie das, um sie mit überreifen Tomaten oder faulen Eiern zu bewerfen. Schon deshalb und in Erinnerung an solche Gaben zögern Unionschristen, die Tür gleich sperrangelweit zu öffnen. Die Grünen indes vermeiden jedes beherzte Wort zu der Frage, ob sie diesmal durch die Tür gehen wollen oder nicht. Es steht, härter als Holz, eine Menge Vergangenheit zwischen den beiden Lagern. Und auf diese Vergangenheit ist man hüben wie drüben stolz, mächtig stolz.

Als die Grünen in der Bundespolitik begannen, war die Union dort gerade wieder an die Macht zurückgekehrt und mit 35 Jahren Bundesrepublik im Kreuz sehr überzeugt, etwas Großartiges geleistet zu haben. Aber die Grünen traten mit dem Vorwurf an: Ihr habt nur Unheil gestiftet. Und sie formulierten das bei Bedarf auch drastischer. Angriffe von Links nahm die Partei Helmut Kohls schon längst nicht mehr ernst. Obwohl diese Angriffe dort am Selbstbewusstsein rüttelten, wo es am empfindlichsten war. Das, was ihnen da vorgehalten wurde, war Geist von ihrem Geiste. Der Auftrag, die Schöpfung zu bewahren, konnte auch in jeder Predigt eines ökumenischen Gottesdienstes vorkommen. Hatte nicht überhaupt den Bestseller Ein Planet wird geplündert der CDU-Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl geschrieben? Und waren die Sorgen der aufbegehrenden Kinder nicht nur auf jenem Wohlstand gewachsen, den die Eltern erarbeitet hatten? Wo stünde denn das Land ohne Industrie, modernen Verkehr und staatliche Ordnung? Das wussten allerdings die Kinder auch. Ihre Angst war es, von den Wohltaten der Nachkriegszeit eingefangen zu werden. Sie wollten eine andere Gesellschaft, eine andere Industrie und eine andere Partei.

Letzteres gaben sie zuerst auf: Die Grünen wurden eine Partei wie jede andere. Bei der Industrie machten es die Eltern schon wieder besser. Blieb nur noch die Gesellschaft. Eine Gesellschaft ist, wann und wie man miteinander zu Tische sitzt, wie in einer Familie. Und an diesem Punkt wurde es für schwarze Eltern und grüne Kinder wieder unversöhnlich. Ein christdemokratischer und ein sozialdemokratischer Vater konnten sich rascher einig werden.

Allerdings würde ein christdemokratischer Vater seinen Kindern längst nicht mehr mit der Dachlatte gedroht haben. Das tat ein sozialdemokratischer Ministerpräsident, der wenig später als Erster mit den Grünen eine Koalition einging. Grund für diese Liaison, der weitere folgten, war das gemeinsame Missverständnis, dass sie sich für links hielten. Als dann diejenigen, bei denen das Missverständnis am ausgeprägtesten war, die 68er, ihren Marsch durch die Institutionen abgeschlossen und sie an der Spitze des Staates angelangt waren, taten sie alles, was sich ihre Väter nicht mehr zu tun getraut hatten: Sie schickten deutsche Soldaten in den Krieg, sorgten dafür, dass die Reichen noch reicher wurden, und trauten sich Reformen der Sozialsysteme zu, die man Helmut Schmidt nicht zugestanden hatte.

Nur die Gesellschaft sollte immer noch eine radikal andere werden. Einwanderungspolitik, Bildungspolitik, die Geschlechter, untereinander, miteinander, gegeneinander. Da empfanden sich plötzlich Menschen als konservativ, die längst vergessen hatten, was das Wort bedeutet, und ihr Widerstand war aussichtslos. Das war einerseits gut, denn hier hatte das Land tatsächlich Nachholbedarf. Andererseits war es aber auch schlecht, denn die Konservativen entwickelten eine Wagenburgmentalität, aus der heraus Rot-Grün zum Feindbild wurde. Pragmatisches Handeln bekam jetzt zwei Gesichter. Es ist unerträglich, wenn der ganz Andere das Richtige will und anstrebt. Darf man es dann noch selbst wollen? Das ist die Hürde.

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