Kurt Tucholsky schrieb 1929 unter der Überschrift „Mir fehlt ein Wort“ in der Wochenzeitschrift Die Weltbühne: „Ich werde ins Grab sinken, ohne zu wissen, was die Birken tun. Ich weiß es, aber ich kann es nicht sagen. Der Wind weht durch die jungen Birken; ihre Blätter zittern so schnell hin und her, dass sie ... was? Flirren? Nein, auf ihnen flirrt das Licht; man kann vielleicht allenfalls sagen: die Blätter flimmern ... aber es ist nicht das. Es ist eine nervöse Bewegung, aber was ist es? Wie sagt man das? Was man nicht sagen kann, bleibt unerlöst – ,besprechen‘ hat eine tiefe Bedeutung. Steht bei Goethe ,Blattgeriesel‘? Ich mag nicht aufstehen, es ist so weit bis zu diesen Bänden, vier Meter und hundert Jahre. Was tun die Birkenblätter – ?
(Chor): ,Ihre Sorgen möchten wir ...Hat man je so etwas ... Die Arbeiterbewegung ... macht sich da niedlich mit der deutschen Sprache, die er nicht halb so gut schreibt wie unser Hans Grimm ...‘ Antenne geerdet, aus.
Ich weiß, darauf kommt es nicht an; die Gesinnung ist die Hauptsache; nur dem sozialen Roman gehört die Zukunft; und das Zeitdokument – oh, ich habe meine Vokabeln gut gelernt. Aber ich will euch mal was sagen:
Wenn Upton Sinclair nun auch noch ein guter Schriftsteller wäre, dann wäre unsrer Sache sehr gedient. Wenn die pazifistischen Theaterstücke nun auch noch prägnant geschrieben wären, dass sich die Sätze einhämmern, dann hätte unsre Sache den Vorteil davon. Sprache ist eine Waffe. Haltet sie scharf. Wer schludert, der sei verlacht, für und für. Wer aus Zeitungswörtern und Versammlungssätzen seines dahinlabert, der sei ausgewischt, immerdar. Lest dazu über die deutsche Sprache in Alfons Goldschmidts ,Deutschland heute‘. Wie so vieles ist da auch dieses zu Ende gesagt.
Was tun die Birkenblätter – ? Nur die Blätter der Birke tun dies; bei den anderen Bäumen bewegen sie sich im Winde, zittern, rascheln, die Äste schwanken, mir fehlt kein Synonym, ich habe sie alle. Aber bei den Birken, da ist es etwas andres, das sind weibliche Bäume – merkwürdig, wie wir dann, wenn wir nicht mehr weiterkönnen, immer versuchen, der Sache mit einem Vergleich beizukommen. (...) Was tun die Birkenblätter; während ich dies schreibe, sehe ich alle vier Zeilen auf und sehe nach, was sie tun. Sie tun es. Ich werde dahingehen und es nicht gesagt haben.“
Kurt Tucholsky, Journalist, Satiriker, Dichter, Pazifist und Antimilitarist – einer der prägenden Autoren der Weimarer Republik – nahm sich am 21. Dezember 1935 im schwedischen Exil das Leben.
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