Horrorklassiker Dr. Caligari von Karl Bartos neu vertont: Liebe ohne Computer
Musik Karl Bartos hat sich den Horrorklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ vorgenommen. Damit zieht er auch einen beherzten Schlussstrich unter sein Kapitel bei den Elektronik-Pionieren von Kraftwerk
Den Flow des Rheinländers behält Karl Bartos auch in Hamburg bei
Foto: Paula Markert für der Freitag
Zu Karl Bartos fällt den meisten auch heute noch Kraftwerk ein – obwohl er die „einflussreichste Pop-Gruppe seit den Beatles“, wie der Guardian mal verlautbarte, schon 1991 verließ. Danach veröffentlichte er ein paar Alben mit Electro-Pop und spielte mit Bernard Sumner (New Order) und Johnny Marr (The Smiths) in der Band Electronic. Alles schon länger her.
Heute lebt Karl Bartos im beschaulichen Hamburger Stadtteil Rissen, und in seiner molligen grauen Strickjacke sieht er aus wie ein Kunstprofessor im Ruhestand. Im Grunde ist er das ja auch – von 2004 bis 2009 unterrichtete der heute 71-Jährige Auditive Mediengestaltung und Sounddesign an der Berliner Universität der Künste: „Ursprünglich sollte ich dort Seminare üb
rt Seminare über Kraftwerk und dergleichen halten. Aber das habe ich abgelehnt“, erzählt er im munteren Flow des Rheinländers.Stattdessen referierte er über die Abbey-Road-Sessions der Beatles oder Filmmusik in der Stummfilm-Ära: „Die DJs, die mit ziemlich klaren Erwartungen in die Vorlesungen kamen, habe ich so natürlich enttäuscht. Doch in der aktuellen Popmusik fühlte ich mich schon damals nicht mehr zu Hause.“ Kraftwerk gelten bis heute als die ewigen Futuristen des Pop, als Initialzündung für Genres wie Electro und Techno. Neue Musik produziert die Band um das letzte verbliebene Original-Mitglied Ralf Hütter allerdings schon lange nicht mehr. Man tourt weltweit durch Kunst- und Ausstellungshallen, inszeniert den Katalog der klassischen Alben wie ein nostalgisches Reenactment der Pop-Moderne.„Kaum jemand versteht, dass das damals alles weitgehend handgespielt war“, sagt Bartos. „Es war ein poetischer Blick in die Zukunft, eine Ästhetisierung der Computerwelt – verfasst auf einer mechanischen Schreibmaschine.“ Ein schönes Bild für die Zukunftssehnsucht der Nachkriegszeit. Inzwischen fragt man sich, wie es sich anhören wird, wenn demnächst Künstliche Intelligenz die Popsongs schreibt. Werden Musiker dann zu Buchhaltern, die am Computer Formulare ausfüllen und Algorithmen bedienen? „Musik in der verwalteten Welt!“, schnaubt Bartos, der von dieser Zukunft wenig hält. Viele würden heute halt lieber mit der Seilbahn zum Gipfel fahren, anstatt selbst zu klettern.Zurück zum BarockFür sein jüngstes Projekt, eine Filmmusik zu Robert Wienes Stummfilm-Klassiker Das Cabinet des Dr. Caligari, hat Bartos ganz bewusst keine einzige Note am Computer komponiert: „Man schreibt Musik im Kopf, und das Klavier unterstützt die Fantasie“, sagt er trotzig und präsentiert prompt die auf Notenpapier geschriebene Partitur. Wie Fritz Langs Filmklassiker Metropolis, dem Kraftwerk schon 1978 einen Song widmete, ist auch Caligari ein Schlüsselwerk der Moderne. Ein „Urknall der Popkultur“, dessen expressive, grotesk verzerrte Kulissen jeden Naturalismus ablehnten. Die düster schillernde Figur des somnambulen Cesare inspirierte noch Jahrzehnte später zahllose Musiker des Post-Punk.„Ich habe lange darüber nachgedacht, wie der Film klingen soll“, erzählt Bartos. „Und natürlich begann ich erst mal mit einem Pop-Soundtrack mit viel Elektronik, so ähnlich, wie eine Band, in der ich mal war. Aber dann habe ich die Bilder gesehen, und das passte einfach nicht.“ Viele werden sich an die bunt eingefärbte und auch sonst stark bearbeitete Fassung von Metropolis erinnern, die Giorgio Moroder 1984 in die Kinos brachte. Das Ärgerlichste daran waren nicht die nachkolorierten Bilder, sondern die Songs von Bonnie Tyler und Pat Benatar, mit denen der Disco-Produzent die futuristische Dystopie unterlegt hatte.Die Musik, die Karl Bartos für Das Cabinet des Dr. Caligari geschrieben und produziert hat, dürfte nicht so schnell unter Pop-Verdacht geraten. Es sei denn, man denkt in Kategorien wie Frank Zappa, The Residents oder Philip Glass. Doch Bartos, der an der Düsseldorfer Robert Schumann Hochschule Schlagzeug und Klavier studiert hat, geht noch weiter zurück.Er modelliert die Instrumente eines klassischen Orchesters am Computer elektronisch nach und schafft sich so seinen eigenen Klangkörper: „Musik ist transparent, alles ist immer zu hören. Doch Bach ist unser Übervater! Schließlich hat er das Fundament der heutigen Musik komponiert. Als ich das kapiert hatte, war nur ein Sinfonieorchester möglich. Allerdings transformiert – vielleicht ein wenig so, wie das Wendy Carlos in A Clockwork Orange gemacht hat. Nur eben ohne die Ironie.“Bartos ist jetzt richtig in Fahrt, er wirbelt die Verweise quer durch sein Wohnzimmer, spricht über die Bedeutung der Zeit in einem Film, der im 20. Jahrhundert entstand, im 19. Jahrhundert spielt und in einer Rückblende sogar zurück zum Barock blickt. „Aus den Augen eines Kindes muss ich die Musik sehen“, zitiert er die Malerin Gabriele Münter. „Man vergisst die Perspektive, sagt, was man empfindet – heute nennt man das postmodern.“Ein ganzes Jahr hat Bartos für die 72-minütige Komposition gebraucht. Zwei Jahre dauerte danach die Produktion der Musik, an der auch der Toningenieur Mathias Black beteiligt war. Da ist es schon praktisch, wenn sich das Tonstudio im Keller des eigenen 1930er-Jahre-Häuschens befindet. Man steigt eine enge Wendeltreppe hinab, und schon steht man mittendrin. An der Wand lehnen Keyboards, ein Studiorack mit Technik steht in der Ecke, auf einem Notenständer liegt eine Partitur. Doch das Herzstück sind die drei großen Computermonitore, auf dem mittleren flimmert eine Kopie von Das Cabinet des Dr. Caligari. Die Synchronisation zwischen Bild und Ton ist perfekt, jede Szene hat ihre ganz eigene musikalische Sprache. Und verglichen mit früheren Caligari-Vertonungen – etwa von Peter Michael Hamel oder John Zorn – ist Bartos’ Version die bisher lebendigste und stilistisch vielfältigste. „Jede Szene im Film hat einen eigenen Rhythmus“, erklärt Bartos. „Ich musste erst mal die einzelnen Szenen erforschen, um zu erfahren, welchen Grundklang, welchen Raumklang die haben. Die Bewegungen der Schauspieler sind manieriert und übertrieben. Das alles musste ich in eine musikalische Struktur übertragen, die die ganze Zeit wechselt, so ähnlich wie in Strawinskys Sacre du printemps.“Klanghaus statt KraftwerkEin großes Alleinstellungsmerkmal von Bartos’ Filmmusik ist auch das penibel durchdachte Sounddesign. Jedes Ding bekommt seinen Klang: der Löffel, der im Blechnapf rührt, ebenso wie die Türen, die ins Schloss fallen. Auch die Schauspieler bleiben nun nicht mehr stumm, selbst wenn das Gesagte unverständliches Gemurmel bleibt. Der Effekt ist verblüffend. Freunde und Familie haben dabei mitgewirkt, im Prinzip hat Bartos sein ganzes Haus zum Klingen gebracht. Zu hören gibt es das aber nur im Kino (und bei den kommenden Live-Vorführungen), das Album enthält allein die Musik. Doch auch die springt einen geradezu an in ihrer expressiven Farbigkeit und Plastizität.Letztlich ist Das Cabinet des Dr. Caligari auch ein beherzter Schlussstrich unter Bartos’ Jahre bei Kraftwerk. „Wenn man annimmt, man könnte mit Maschinen kreativ sein“, sagt er, „dann hat man schon verloren. Das habe ich früher nicht so genau verstanden.“ Auch die Streitereien über Urheberrechte nach seinem Ausstieg haben den Musiker belastet und frustriert: „Coldplay wollte mal eine Melodie von mir haben, für den Song Talk. Da gab es einen 60-seitigen Vertrag, und jetzt hat diese kleine Melodie sieben Autoren.“ Und dann summt er das hinreißende Kraftwerk-Lied Computerliebe. „Es ist halt so: Die Verbindung von Kreativität, das Entwickeln und Komponieren von Stücken, das war ein Gemeinschaftsunternehmen. Aber die Anerkennung und die finanzielle Ausschüttung wurde dann privatisiert. Genau wie in der Wirtschaft.“Das klingt ein wenig bitter. Die Zukunftssehnsucht der Moderne hat sich für Karl Bartos anscheinend erst mal erledigt. Nun ist es eher die Tradition – von Bach bis John Cage und Pierre Schaeffer –, die ihm Sicherheit gibt und den Freiraum für neues Denken. „Ich habe mit einer Schiefertafel Schreiben gelernt“, sagt er zum Abschied. „Das will ich nicht wieder einführen, aber es hatte etwas Sinnliches. Die Noten für den Caligari habe ich jetzt auch erst mal mit Bleistift geschrieben.“Eingebetteter Medieninhalt
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