Kriege, Klima, religiöser Fanatismus: Man hat ja schon immer geahnt, dass das alles einmal böse enden wird. Die Regisseurin Yael Ronen entwirft in ihrer Endzeit-Komödie State of Affairs, die am Samstag im Hamburger Thalia Theater Premiere feierte, das dazu passende Szenario. In einer dramatischen Videobotschaft aus der Zukunft, überlebensgroß auf die mit Perlvorhängen ausstaffierte Bühne projiziert, warnen die Nachfahren der Schauspieler vor der Apokalypse. In 100 Jahren sei die Kacke wirklich am Dampfen, berichten sie, und man habe die aktuelle Inszenierung State of Affairs als einen Scheidepunkt der Zivilisation ausgemacht. Zur Rettung wird aus der Zukunft flugs ein neues Stück teleportiert, leider nicht ganz vollständig, die Reihenfolge stimm
die Reihenfolge stimmt wohl auch nicht. Doch wenn nur ein einziger Zuschauer nach Besuch der Vorstellung das Richtige täte, könnte sich das Schicksal der gesamten Menschheit zum Besseren wenden. Also, theoretisch.Es macht großen Spaß, den vier Schauspieler:innen Maja Beckmann, Nils Kahnwald, Tim Porath und André Szymanski zuzusehen, wie sie in ständig wechselnden Rollen die Risiken und Nebenwirkungen von Texten ausloten. Anfangs sind sie noch nah bei sich, mit all den Eitelkeiten, die man Schauspieler:innen nachsagt: Etwa sich selbst googeln und darüber die nächste Vorstellung verpassen. Unliebsame Kolleg:innen werden schon mal als Stehlampe oder Zimmerpflanze besetzt – was für Heiterkeitsausbrüche der Thalia-Kolleg:innen im Publikum sorgt. Es sind einzelne, brillant pointierte Szenen, eine stringente Handlung gibt es nicht.Auch Karl Marx klagt über seinen LektorDoch dann lernen wir den Schriftsteller Roman Kaminski kennen, der seinen längst verblichenen Ruhm mit dem neuen, scheinbar recht drastischen Roman State of Affairs aufpolieren möchte. Ein flamboyanter Vogel, an den seine Verlegerin längst nicht mehr glaubt. Bis ein zeitreisender Lektor auftaucht und von Kaminski-Denkmälern, -Straßennamen und unfassbarem Reichtum in der Zukunft schwadroniert. State of Affairs sei zunächst wie erwartet von den Kritikern verrissen worden, habe sich kaum verkauft, erklärt er. Bis ein radikaler Wirrkopf sich von dem Buch triggern lässt und mit einem blutigen Anschlag eine weltweite Krise auslöst. Nur eine vom Lektor stark redigierte, oder zensierte, Fassung des Romans könnte die Katastrophe verhindern. Keine leichte Entscheidung für den eitlen Schriftsteller. Spätestens hier wird klar, dass sich die Regisseurin vor allem für das humoristische Potenzial von Dystopien interessiert: Wenn die Welt schon untergeht, soll es wenigstens etwas zu lachen geben.Deshalb kommt nun auch Karl Marx auf die Bühne, mit reichlich grauer Wolle um Kopf und Kinn, und klagt, der Lektor habe auch von ihm unverschämte Änderungen verlangt. „Proletarier aller Länder vereinigt euch“ sollte zu „Proletarier aller Länder entspannt euch“ werden.Überraschend ernst wird es erst, wenn Nils Kahnwald sich in den britischen Poeten, Soldaten und Befehlsverweigerer Siegfried Sassoon verwandelt, der 1917 in einem Manifest verkündete: „Ich glaube, dass aus diesem Krieg, der zunächst ein Verteidigungs- und Befreiungskrieg war, inzwischen ein Angriffs- und Eroberungskrieg geworden ist.“ Man denkt sofort an Gaza und wie unberechenbar schnell sich Kriege ausweiten und ihren Charakter verändern können. Ein paar weitere Gedanken in diese Richtung hätten State of Affairs gutgetan. So war es „nur“ ein sehr lustiger Abend über die Angst vor der Zukunft.