Die Notwendigkeit solidarischer Organisierung

Fridays for Future Die Klimabewegung zeigt zunehmend ein neues Gelingen solidarischer Organisierung, die unumgänglich zu stärken ist, wenn man das Ziel eines Wandels ernsthaft verfolgt.

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Fridays for Future – eine Bewegung, die auf mehreren Ebenen für Solidarität steht
Fridays for Future – eine Bewegung, die auf mehreren Ebenen für Solidarität steht

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Die neue Klimabewegung im Allgemeinen und Fridays for Future (FFF) im Speziellen formieren sich zunehmend zu einer Assoziation des Kampfes für Klimaschutz und Umweltbewusstsein. Dabei praktizieren sie zwei Formen solidarischer Organisierung: zum einen führen sie solidarische Anerkennungskämpfe und zum anderen zeigen sie Möglichkeiten eines globalen Füreinandereintretens, für das zukünftige Leben auf dem Planeten.

Der Begriff der Solidarität

Solidarität wird schnell ausgesprochen, ja es scheint, als sei Solidarisierung tatsächlich durch einen kurzen Ausspruch erledigt. Doch was ist mit diesem Ausspruch erreicht, der wohl mehr als Bekundung von Sympathie und Empathie zu deuten ist? Richtig, nichts. Wann können wir dann aber von Solidarität sprechen? Als einer der zentralen Begriffe des Sozialismus ist Solidarität das Praktischwerden des Zusammengehörigkeitsgefühls einer Gruppe (im Sozialismus des Proletariats) und entsteht aus der fundamentalen Frage, wie wir zusammenleben wollen – weil wir es nun einmal müssen. Warum gehören wir zusammen, wie gehören wir zusammen? Die Antworten auf diese Fragen können zu solidarischen Beziehungen führen, die in jedem Fall Formen gegenseitiger Hilfe beinhalten. Aber warum handle ich solidarisch – um anderen zu helfen oder weil diese Hilfe die Basis meines eigenen Wohlergehens ist, also mir selbst zugute kommt, weil sich Wohlergehen und Freiheit nicht partikularisieren lassen? Im zweiten Fall finden wir letztlich die Verwirklichung sozialer Freiheit. Die individuelle Freiheit als Voraussetzung der Freiheit aller, das Wohlergehen aller als Voraussetzung meines Wohlergehens. So konkret bindet wohl erst Karl Marx individuelle Freiheit an ein solidarisches Zusammenleben als Voraussetzung der Freiheit. Im in der Ideengeschichte des Sozialismus verwurzelten Solidaritätsverständnis bedeutet sie – als Abwandlung der Brüderlichkeit, einer der drei Forderungen der Französischen Revolution – das Füreinandertätigsein und Füreinandereinstehen.

In der Tradition der Arbeiterbewegungen und heute weitergetragen und ausdifferenziertbedeutet Solidarität Organisierung, um gemeinsam für etwas einzutreten. Solidarität ist insofern eine Waffe, weil sie durch die Organisierung Macht verleiht. Die Organisierung als solidarische Strategie zur Machtausübung des Proletariats formulierte Marx deutlich und in England sah er „das einzige Land, wo der Klassenkampf und die Organisation der Arbeiterklasse durch die Gewerkschaften einen gewissen Grad der Reife und der Universalität erlangt haben“ (MEW 16, S. 386). Den Wert der Solidarität brachte er in seiner Rede auf dem Haager Kongress auf den Punkt: „Bürger, denken wir an jenes Grundprinzip der Internationale: die Solidarität. Nur wenn wir dieses lebensspendende Prinzip unter sämtlichen Arbeitern aller Länder auf sichere Grundlagen stellen, werden wir das große Endziel erreichen, das wir uns gesteckt haben. Die Umwälzung muss solidarisch sein“ (MEW 18, S. 161).

Klimabewegung und solidarische Organisierung

Und für die Klimabewegung und FFF steht eine Umwälzung an. Die aktuelle Politik hinterlasse eine nicht lebenswerte Zukunft, so das simplifizierte Hauptnarrativ, also bestreikt man die Bildungsinstitutionen. Verbunden wird dieser Aktionsansatz mit konkreten politischen Forderungen. Dabei entwickeln die vorwiegend jungen Menschen zunehmend ein Bewusstsein des Füreinanders und des wechselseitigen aufeinander Angewiesenseins. Einst sollte sich das Proletariat organisieren, heute tut es die Jugend, könnte man meinen – wobei es sich natürlich nur um kleine Auszüge handelt. Das beeindruckende daran ist aber, dass all das in globalem Maßstab stattfindet – eine quasi freie Assoziation vorwiegend junger Menschen, um für Klimaschutz, Umweltbewusstsein und die Zukunft des Planeten einzutreten. Der Kampf ist solidarisch, da er füreinander und für alle Nachkommenden ist; das Sein als Menschen oder allgemeiner als Lebewesen, die auf diesem Planeten leben wollen und die grundlegendsten Lebensbedingungen gefährdet sehen, bestimmt das Bewusstsein, sehr vieles sehr stark ändern zu müssen. Die Inklusivität dieses Solidaritätsverständnisses schließt lediglich diejenigen aus, die sich der Einsicht verweigern und kennt tatsächlich keinerlei Grenzen. Die Organisationsfähigkeit stellen FFF nicht nur bei globalen Protesttagen unter Beweis, wie dem globalen Streik am 20. September, sondern auch zuletzt bei ihrem internationalen Gipfeltreffen Anfang August in Lausanne, „SMILE for Future“ („Summer Meeting in Lausanne Europe“). Man könnte meinen, die solidarische Gemeinschaft wird aus der ökonomischen Sphäre herausgeholt, in der der alte Sozialismus und Marxismus sie verweilen ließen, und in die Sphäre politischer Willensbildung eingefügt.

Aber solidarisch ist der Kampf noch auf andere Weise, nämlich als Anerkennungskampf. In seinem Buch Kampf um Anerkennung (1994) betrachtet Axel Honneth soziale Konflikte als Kämpfe um Anerkennung. Wenn sich marginalisierte Gruppen empören oder widersetzen, dann gehe es nicht nur um Interessen wie z.B. materielle Versorgung, ökonomische Umverteilung oder Gleichstellung. Es betreffe auch ganz maßgeblich die Selbstachtung. Das Bestreben dieser Gruppen sei moralisch motiviert (S. 149ff.). Ja, bei den jüngeren Generationen handelt es sich gewissermaßen um marginalisierte Gruppen, wenn man bedenkt, dass sie noch weitaus mehr die Folgen und Entwicklungen des menschengemachten Klimawandels zu spüren bekommen werden, als ältere Generationen. Und neben der Solidarisierung als Praktischwerden des Kampfes für die Zukunft des Planeten findet auch ein Kampf um Anerkennung als mündige BürgerInnen und um die Anerkennung der Dringlichkeit ihrer Anliegen statt, in dem die Protestierenden sich miteinander solidarisieren. Honneth beschreibt den Kampf um Anerkennung als „kritische[n] Interpretationsrahmen für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse“. Er erkennt richtig an, dass „die Geschichte der sozialen Kämpfe“, als die er den Kampf um Anerkennung erläutert, ein gerichteter Vorgang ist, also von einem „vorläufigen Endzustand“ aus zu bewerten ist (S. 274). Und dieser Endzustand ist ein Konzept des guten Lebens (vgl. ebd., S. 275). Die Klimabewegung tritt jedoch nicht nur für ein Konzept des guten Lebens eintreten, sondern folgt erheblich existentielleren Narrativen, so dass es letztlich um Konzepte des Lebens nachfolgender Generationen an sich geht.

Solidarität als Angriff

Die Frage nach der Bedeutung und Umsetzung von Solidarität ist und bleibt schwer allgemein zu beantworten. Doch in den FFF lässt sich solidarische Organisierungsfähigkeit im Sinne eines praktischen Füreinanders unmissverständlich beobachten: Es geht um gemeinsame Kämpfe um Anerkennung und für das zukünftige Leben auf diesem Planeten, dessen Gegner plastisch die alte Welt oder die Welt der Alten ist. Solidarität heißt in diesem Sinne auch Angriff, nicht Verteidigung und Bewahrung, sondern Veränderung. Denn „[k]ein Mensch bekämpft die Freiheit; er bekämpft höchstens die Freiheit der anderen“ (MEW 1, S. 51). Und diesem andauernden Kampf gegen die Freiheit der anderen, die wir alle sind, ist der Kampf anzusagen. Ohne Solidarität und ein reflektiertes Verständnis von dieser gibt es keinen Kampf.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Julius Wolf

Über Politik, Gesellschaft, Emanzipation und Antiemanzipatorisches.

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