Denkmal du wärst lesbisch

LGBTI Hamburg will im Stadtbild ein sichtbares Zeichen für sexuelle Vielfalt setzen. Damit das nicht Symbolpolitik bleibt, muss man auch auf die harten Zahlen schauen
Ausgabe 38/2020
Noch immer findet es fast die Hälfte der Deutschen „eklig“, wenn sich Homosexuelle küssen
Noch immer findet es fast die Hälfte der Deutschen „eklig“, wenn sich Homosexuelle küssen

Foto: PEMAX/Imago Images

Stellen Sie sich vor, Sie würden mit ihrer Partner:in spazieren gehen. Sagen wir am hellichten Tag, in einer Großstadt in Deutschland. Sie möchten ihrer Partner:in gerne einen Kuss geben. Drehen Sie sich vorher um und scannen die Umgebung? Könnte ein solcher Kuss für Sie gefährlich werden? Nein? Dann sind Sie vermutlich nicht lesbisch oder schwul, bi- oder intersexuell, trans oder queer.

Es wäre schön, wenn in Deutschland LGBT* sexuelle Minderheiten sicher und gleichberechtigt leben könnten. Es wurde einiges dafür getan in den letzten Jahren, Lesben und Schwule dürfen jetzt heiraten, intersexuelle Menschen sind rechtlich anerkannt, schwule Männer, auch nach 1945 staatlich verfolgt, wurden rehabilitiert. Um daran zu erinnern, gibt es Denkmäler in vielen Großstädten, jetzt soll auch in Hamburg eines dazukommen. „Ein Ort für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“ und ein Landesaktionsplan für mehr Akzeptanz: So schrieb es das rot-grüne Regierungsbündnis Anfang Juni in ihren Koalitionsvertrag. Die Idee hatte eine Initiative bereits 2018 aufgebracht, nun werden erste Vorschläge diskutiert. Ein Prisma, das im Sonnenlicht Regenbogenfarben spiegelt, könnte es etwa werden, so Kultursenator Carsten Brosda (SPD).

Ähnlich wie die jährlichen CSD-Paraden sind solche Orte wichtig, die bedeuten: Diese Minderheiten haben einen Platz in der Gesellschaft, sie dürfen sichtbar sein, sie gehören uneingeschränkt dazu. Die Realität sieht anders aus. Hass und Gewalt zu erleben gehört für viele LSBTI zum Alltag.

Laut Bundesregierung gab es 2019 mindestens 564 politisch motivierte Straftaten aufgrund der sexuellen Orientierung. Das schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo registrierte im gleichen Jahr fünf Fälle weniger – allein für die Stadt Berlin. Und in Hamburg waren es laut LKA 36. So ungleich diese Zahlen sind, so sehr zeigen sie: Wie viele Gewalttaten es gegen LSBTI in Deutschland wirklich gibt, weiß niemand. In manchen Bundesländern werden diese Zahlen gar nicht systematisch erfasst. Zum Vergleich: In England und Wales sind LSBTI laut Kriminalstatistik die am zweithäufigsten von Hassverbrechen betroffene Gruppe. Die Regierung startete 2018 einen „LGBT Action Plan“ und nahm dafür 4,5 Millionen Pfund in die Hand. In Deutschland stammt der letzte Versuch, das Problem bundesweit zu untersuchen, von einer Nicht-Regierungsorganisation und liegt über ein Jahrzehnt zurück.

Wo kein Problem, da kein Problembewusstsein, da kein Handlungsbedarf. Noch immer findet es fast die Hälfte der Bevölkerung „eklig“, wenn sich Homosexuelle küssen. Menschen, die so denken, beschimpfen, bespucken, verprügeln zwar nicht zwangsläufig die nächste queere Person auf der Straße – aber die Gewalt hängt damit zusammen, weil an solchen Beispielen öffentlich verhandelt wird, was „normal“ ist und wer sich wie öffentlich zeigen darf. Bis 2011 mussten sich trans Personen sterilisieren lassen, um ihren Geschlechtseintrag zu korrigieren, keine zehn Jahre ist das her. Vielleicht freuen sie sich über ein neues Denkmal. Die Diskrepanz zu ihrer Lebensrealität löst es nicht.

In Berlin-Mitte erinnert schon seit 2008 eine große Betonstele an die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Sie wurde seit 2019 mindestens siebenmal beschädigt, der Staatsschutz ermittelt. Vor wenigen Wochen schlug jemand die Scheibe ein, hinter der ein Video läuft. Darauf küssen sich gleichgeschlechtliche Paare.

Juliane Löffler war bis 2017 Redakteurin des Freitag und arbeitet heute als Reporterin für LGBT* bei BuzzFeed News

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

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