Heiliger Bimbam!

Gleichberechtigung Der Papst glaubt, die Gendertheorie führe einen „Weltkrieg gegen die klassische Ehe“. Dabei ermöglichen individuelle Freiheitsrechte Menschen erst zu lieben
Ausgabe 41/2016
Immer für einen Scherz zu haben: der Papst
Immer für einen Scherz zu haben: der Papst

Bild: Joe Klamar/AFP/Getty Images

Der NDR-Satiresendung Extra3 gelang der beste Papst-Witz. „Mann in weißem Kleid und Schmuck besteht auf Unterschied zwischen Mann und Frau“, twitterte Extra3 zu Franziskus’ Einlassungen zur Gendertheorie. Vergangene Woche hatte das Kirchenoberhaupt erklärt, die Gendertheorie führe einen „Weltkrieg, um die Ehe zu zerstören“. Dieser werde nicht mit Waffen geführt, „sondern durch ideologische Kolonisierung“.

Kurz darauf gab es Unterstützung von einem grünbürgerlichen Katholiken. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann dachte in der Zeit darüber nach, ob die Grünen beim Kampf um die kulturelle Hegemonie vielleicht etwas falsch gemacht hätten. „Wie verhält es sich mit dem Vorwurf, wir hätten es mit dem Glauben an die Erziehbarkeit des Menschen übertrieben?“, fragte er und warnte: „Individualismus darf nicht zum Egoismus werden.“ Progressive Lebensmodelle zerstörten den gesellschaftlichen Zusammenhalt. „So ist und bleibt die klassische Ehe die bevorzugte Lebensform der meisten Menschen – und das ist auch gut so“, schrieb Kretschmann. Also: Packt die Eheringe aus, Leute, bevor es ganz bergab geht!

Dass die Ehe jahrhundertelang ein Modell zur Unterdrückung einer Hälfte der Bevölkerung war? Egal. Dass wissenschaftliche Forschung das Gegenteil von Ideologie ist, nämlich freies Nachdenken statt dogmatischer Regression? Egal. Man muss deshalb keinen Abgesang auf die klassische Ehe singen, auch wenn mir bisher niemand erklären konnte, was Ehegattensplitting mit Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu tun hat. Aber gut, sollen die Menschen doch heiraten, wenn sie wollen.

Was aber gar nicht geht: Die errungenen Freiheiten der vergangenen Jahre mit dem Argument zu diskreditieren, sie seien eine Gefahr für die Gesellschaft. Freiheiten wie etwa: sich binären Geschlechtermodellen zu entziehen, als Homosexueller, Trans* oder intergeschlechtliche Person leben zu dürfen, auf traditionelle Lebensformen zu verzichten. Und laut darüber nachzudenken, inwiefern Lebensentwürfe durch die Macht derjenigen bestimmt werden, die davon profitieren.

Individualismus ist kein Angriff auf andere. Er ist ein Schutzraum. Er kann Menschen davor bewahren, nicht auf der Straße totgeprügelt zu werden, dafür wie sie lieben, denken oder fühlen. Kretschmann ist inzwischen zurückgerudert. Er sei missverstanden worden und wolle natürlich auch die Ehe für alle. Der Papst hingegen benannte 17 neue Kardinäle. Wohl neue Kämpfer für seinen „Weltkrieg“.

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Geschrieben von

Juliane Löffler

Onlinerin beim Freitag. Quelle: Papier

Juliane Löffler

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