Renaud Camus ist ein Apologet des Schmerzes: „Wir werden unseres eigenen Blickes beraubt, unseres eigenen Wirklichkeitsbezugs, unseres eigenen Leidens“, beklagt er in der hierzulande seit 2016 in vierter Auflage erschienenen Aufsatzsammlung „Revolte gegen den großen Austausch“. Vor allem der titelgebende Essay nährt feuchte „Remigrations“-Träume etwa eines Martin Sellner, der das Nachwort beisteuert. Mit der Ernsthaftigkeit des überzeugten Opfers ruft Camus zur Revolte gegen „die ethnische Überschwemmung“, „die niederschmetternde Islamisierung“, gegen „unser Verschwinden“, die „drohende Verknechtung“, die „Eroberung vor allem durch Afrika“. Anders als AfD-Maximilian Krah
;drohende Verknechtung“, die „Eroberung vor allem durch Afrika“. Anders als AfD-Maximilian Krahs „Manifest“, neigt der Franzose weniger zum bürokratischen Geraune als zum Gruselgenre. Fast kindlich mutet an, wie er sich, von Feinden umzingelt, an seiner Horrorgeschichte der „Industrie des Austausches“ berauscht.Der Schriftsteller lebt, von der Mehrheitsgesellschaft geächtet und wegen Anstachelung zu Hass und Gewalt zu einer Geldstrafe verurteilt, zurückgezogen mit seinem Partner in einem Schloss im Südwesten Frankreichs. Er hat traurige, wie schreckgeweitete Augen, einen weiseweißen Bart und hält nicht nur selbstverlegte Bücher, sondern auch – übrigens anrührende – selbstproduzierte Kunst feil. Man stünde in der Tram sofort für ihn auf. Doch wenn er, akkurat im kulturbraunen Cordjackett mit Schlips und weißem Kragen, die Apokalypse prophezeit, wird es ungemütlich.Sein identitäres Dringen und Drängen ähnelt in seinem Furor dem der „Letzten Generation“ – ohne sich jedoch auf seriöse wissenschaftliche Erkenntnisse berufen zu können. Mit der grandiosen Überheblichkeit des einzig Erleuchteten will Camus das schlafende Volk aufwecken – und verbreitet unablässig Panik: „mit jeder Woche und jedem Tag verschärft sich die Lage“ durch den „stetig wachsende(n) Zufluß der Einwanderer, verbunden mit der bestürzenden Geburtenrate der bereits Eingewanderten“. Es drohe die „Auflösung“, die Zerstörung „einer der großartigsten Zivilisationen, die es jemals auf dieser Erde gegeben hat“. Seine Story wirkt in sich schlüssig wie ein Computerspiel, in dem „Eingeborene“ – die „Stammfranzosen“ – um Selbsterhalt kämpfen. Tief am kühlen Grunde wabert Angst, die den „Widerstand“ gegen – austauschbare? – „Feinde“ zwingend erscheinen lässt: migrantische „Ersetzer“, entwurzelte „Globalisten“ oder das fatale Phantasma einer jüdischen Weltverschwörung.In der völkischen GeisterbahnDiese Erzählung, geeigneter Angstlieferant, füttert Hysterien vom Untergang des Abendlandes durch eine vorgebliche „Gegen-Kolonisation“, die, unterstützt von politisch-medialen Konzern-Eliten, aus „Rache“ an Europa erfolge – und dies sei nur ein kleiner Teil des weltbedrohenden „remplacisme“ (Austauschismus) der „Davokratie“ von „Mächtigen“, die den „ethnischen Territorialkrieg“ verheimlichten, um sich ungestört zu bereichern. Ihnen allen, den „asozialen“, gewalttätigen „Invasoren“ und der „antirassistischen Diktatur“, erklärt der Autor seinen „Unabhängigkeitskrieg“ – hoffend, der sei mit Gesetzen, Politik und Polizei zu führen – „und nicht mit Blut und Tränen“. Doch um massenhafte „Remigration“ fordern zu können, muss Camus die Werte, die er retten will, opfern: Er entmenschlicht Menschen anderer Herkünfte, die allesamt „Mohammed“ heißen, presst sie in gesichtslose Massenströme – eine völkische Geisterbahn, deren Fahrer vergisst, dass er die Drohkulisse selbst gebaut hat.So kaltschnäuzig, verbohrt, weltfremd das alles wirkt – hier und da gibt er sich bodenständig: Wenn er die Konsumgesellschaft bezichtigt, „aus den Lebewesen Dinge zu machen“. Wenn er die „Entfernung der Anwesenheit aus der Gegenwart“ beklagt, die Zustände in „sinistren Tierfabriken“ – oder „Sprechverbote“ von links, die einen Nonkonformismus von rechts für manche erst attraktiv machen: Die neoautoritäre Versuchung wirkt wie ein entlastender Kitzel. Womöglich gäbe es weniger Andockstellen für derlei crudités (Rohheiten, Gemüse), durchdränge den Zeitgeist nicht so lange schon ein identitätspolitischer Katechismus der „Diversität“, der nicht nur wackeren Wagenknechten in der Seele schmerzt.