Meinung Im Kampf gegen Rechts wird der Ruf nach einem AfD-Verbot immer lauter. Doch rassistisches und faschistisches Gedankengut lässt sich nicht per Gesetz verbieten. Wer ein weiteres Erstarken der Nazis verhindern will, muss andere Wege gehen
Sieht so die Lösung für eine in Teilen rechtsextreme Partei aus?
Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
Sei es auf der gesellschaftlichen Linken oder bei konservativen Kräften: Zu Recht herrscht Panik angesichts der Rekordumfragen der AfD. In Deutschland droht, was in anderen europäischen Ländern bereits bittere Realität ist: Protofaschistische Parteien mit organisierten Nazis im Führungskern erhalten durch Regierungsbeteiligungen Zugriff auf den Staatsapparat. Angesichts dieser gefährlichen Entwicklungen rückt die Forderung nach einem AfD-Verbot mal wieder ganz oben auf die politische Agenda. Doch darauf zu setzen, die Nazi-Gefahr mit juristischen Mitteln zu bekämpfen, ist aus mehreren Gründen falsch.
Politische Überzeugungen lassen sich nicht verbieten
Es gibt keine Belege dafür, dass mit der Auflösung und dem Verbot faschistischer
lsch.Politische Überzeugungen lassen sich nicht verbietenEs gibt keine Belege dafür, dass mit der Auflösung und dem Verbot faschistischer Vereine oder Parteien die Gefahr von rechts tatsächlich bekämpft werden kann. Die bisherigen Erfahrungen mit Verboten zeigen vielmehr: Politische Überzeugungen lassen sich nicht verbieten.Schon in der Weimarer Republik wurde versucht, die aufkommende nationalsozialistische Bewegung durch ein Verbot der NSDAP zu schwächen. Damals wurde das gesamte Parteivermögen beschlagnahmt, die Parteizentrale in München geschlossen und sogar die Parteizeitung „Völkischer Beobachter“ verboten. Auch die Großdeutsche Arbeiterpartei, eine Tarnorganisation der NSDAP, wurde verboten. Der Aufstieg der Nazis wurde dadurch bekanntlich nicht gestoppt. Die Mitglieder organisierten sich in anderen Zusammenhängen und 1925 wurde die NSDAP schließlich neu gegründet. Die einsetzende Wirtschaftskrise, die soziale Kahlschlagpolitik der Regierungsparteien und das Versagen der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Faschismus ermöglichten es Hitler und seinen Kadern, die nationalsozialistische Bewegung weiter aufzubauen und durch eine Kombination aus außerparlamentarischem Terror und parlamentarischer Repräsentanz die Macht zu ergreifen.Dass Verbote keine Lösungen sind, zeigt sich auch heute. Die mehr als 50 Verbote und Auflösungen neonazistischer und rechtsradikaler Strukturen seit der Wiedervereinigung in Deutschland haben weder den NSU verhindert noch die gewaltbereite Neonazi-Szene zum Verschwinden gebracht.Griechenland: Die Grenzen einer VerbotspolitikDie Grenzen einer Verbotspolitik im Kampf gegen Rechts zeigten sich zuletzt in Griechenland. Dort hat das Verbot der Nazipartei Goldene Morgenröte nichts an den Stimmengewinnen der griechischen radikalen Rechten geändert, die sich einfach über andere Parteien neu organisierten. So wurde zwar die Goldene Morgenröte selbst von der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen. Stattdessen zogen drei andere rechtsradikale Parteien ins Parlament ein: Die so genannten Spartaner, die vom inhaftierten Führer der Goldenen Morgenröte, Ilias Kasidiaris, unterstützt werden, die Partei Griechische Lösung und die ultrachristlich-orthodoxe Niki (Sieg). Sie errangen 34 der 300 Sitze und 13 Prozent der Stimmen. So viel wie noch nie seit dem Sturz der faschistischen Diktatur in Griechenland.AfD-Verbot: Win-Win-Situation für die Partei?Das führt zu einem weiteren Punkt: Ein AfD-Verbot könnte für die Partei zu einer Win-Win-Situation werden. Denn während ein durchgesetztes AfD-Verbot das Opfernarrativ der Partei beflügelt, wird ein gescheitertes Verfahren den Harmlosigkeitsnimbus der Partei stärken. Die Möglichkeiten für die AfD, ein Verbotsverfahren zu instrumentalisieren und als Plattform zu nutzen, sind durchaus groß. Und die politischen Strateg:innen bei der AfD sind darin geübt, die Partei gegen den Strom aufzubauen.Ein Verbotsverfahren gegen die – nach aktuellen Umfragen – stärkste Oppositionspartei im Land ist vor diesem Hintergrund problematisch. Dabei geht es gar nicht um die Nazis in der Partei selbst, sondern um das „weiche“ Unterstützer:innen-Umfeld der Partei. Hier sind Trotzreaktionen erwartbar und damit eine weitere Möglichkeit, Protestwähler:innen härter an die menschenverachtende Ideologie der Partei zu binden. Selbst wenn es also juristisch möglich wäre, die AfD zu verbieten, ist dies politisch nicht unbedingt ratsam.Die hohen juristischen Hürden eines AfD-VerbotesAber auch juristisch gibt es gewichtige Gründe, von einem AfD-Verbot abzusehen, denn die Hürden für ein Verbot sind hoch. Zum einen genügt die bloße Verbreitung rassistischer und gewaltverherrlichender Gedanken nicht für ein Verbot (Artikel 21 des Grundgesetzes). Zu einer „verfassungsfeindlichen Haltung“ muss eine „aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ sowie die Aussicht, dass die Verwirklichung der Ziele der Partei nicht völlig aussichtslos ist, hinzukommen.Bundesverfassungsgericht: Ernüchternde ErfahrungÜbrigens: Eine Partei kann nicht wie ein Verein durch Verbotsverfügung von zuständigen Bundesinnenminister:innen oder Landesinnenminister:innen einfach verboten werden. Ob eine Partei tatsächlich verboten wird, entscheidet allein das Bundesverfassungsgericht. Die Erfahrungen hier sind ernüchternd. Gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), heute „Die Heimat“, wurde zweimal ein Verbotsverfahren eingeleitet – 2003 und 2017. Beide scheiterten. 2003 aus formalen Gründen: In der Führungsriege seien zu viele V-Leute (Informanten des Verfassungsschutzes), argumentierten die Richter:innen. 2017 lehnte das Gericht einen Verbotsantrag ab, weil es eines der Kriterien nicht erfüllt sah: Die NPD sei zu unbedeutend, um ihre Ziele umzusetzen.AfD-Verbot: Ein zäher SpukUm die hohen juristischen Hürden zu überwinden und zu einem Urteil zu kommen, das ein AfD-Verbot vertretbar macht, müsste das Bundesverfassungsgericht viele Beweise und Gegenbeweise prüfen. Ein Prozess, der sicherlich nicht nur einige Monate, sondern mehrere Jahre in Anspruch nehmen würde. Im Falle eines erfolgreichen AfD-Verbots wäre der Spuk juristisch damit jedoch noch lange nicht vorbei. Die Partei könnte den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Dieser hat 2003 Kriterien für ein Parteienverbot aufgestellt. Sie gelten allgemein als noch strenger als die Maßstäbe des Grundgesetzes.Der Blick auf die juristische Ebene macht deutlich: Ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD würde viel Zeit in Anspruch nehmen und wäre kein kurzfristiges Mittel gegen die Partei. Das führt zu einem weiteren Gegenargument: Dem Zeitfaktor. Wer jetzt ein Verbot der AfD fordert, erweckt den falschen Eindruck, die AfD könne schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Zur Erinnerung: Das letzte NPD-Verbotsverfahren dauerte rund vier Jahre. Selbst wenn ein Verfahren gegen die AfD schneller gehen sollte, bis zur ersten mündlichen Verhandlung sind sowohl die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, als auch die nächste Bundestagswahl vorbei – aber die AfD hat ein Mobilisierungsthema mehr.AfD-Verbot: Falsche Hoffnung auf den StaatAll das zeigt: Die Forderung nach einem AfD-Verbot gleicht der hilflosen Hoffnung, der Staat werde die braune Brut schon irgendwie in den Griff bekommen. Doch der bürgerliche Staat ist kein verlässlicher Partner im Kampf gegen Rechts. Das lehrt auch die Erfahrung mit dem Aufstieg der Nazis in der Weimarer Republik: Vor 1933 setzte die Sozialdemokratie auf einen „staatsgläubigen“ Antifaschismus. Sie vertraute auf Justiz, Polizei und Militär, um die Nazidiktatur zu verhindern, und scheiterte kläglich. Die Nazis können nur in der politischen Auseinandersetzung gestoppt werden und nicht durch die Verlagerung des notwendigen politischen Kampfes in die Arena des Rechts.Es droht keine faschistische MachtübernahmeIn der Debatte um ein AfD-Verbot wird die Gefahr zumeist von linker Seite übertrieben. Hier ist ein Blick nach Österreich lehrreich: Dort war die Regierungsbeteiligung der faschistischen FPÖ zwar ein massiver Einschnitt und auch gefährlich, aber es drohte nicht unmittelbar eine faschistische Machtübernahme und Diktatur wie 1933 in Deutschland. Ähnliches gilt für Italien, wo die faschistische Partei Fratelli d'Italia mit Giorgia Meloni derzeit die Ministerpräsidentin stellt. Grund dafür ist die relative Schwäche der Rechten.Der Faschismus braucht zwei Kraftzentren, um die Macht zu erobern: einen parlamentarischen Arm, der der Bewegung ein respektables Gesicht gibt und die parlamentarische Arena für Vorstöße nutzt, und einen Straßenflügel, eine wirkliche Massenbewegung als Machtinstrument, die in der Lage ist, politische Gegner:innen zu terrorisieren. Adolf Hitler musste seine Sturmtruppen, die auf der Straße bereits stark waren, zähmen, einen respektablen parlamentarischen Flügel aufbauen und zu Wahlen antreten. Doch wie der Antifaschist Leo Trotzki 1931 in seiner prophetischen Schrift „Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?“ 1931 argumentierte, hatte „Hitler nicht übersehen, dass der Weg zur Macht durch grausamsten Bürgerkrieg hindurchführt“, und „dass seine Reden vom friedlichen, demokratischen Weg eine bloße Tarnung sind, eine Kriegslist.“Heute müssen protofaschistische Parteien wie die FPÖ, die Fratelli d'Italia oder auch die AfD den umgekehrten Weg Hitlers gehen. Sie haben zwar starke parlamentarische Flügel, aber es fehlt ihnen die Massenbewegung auf der Straße. Es gibt zwar Keimformen dieser Bewegungen, aber vom Szenario einer faschistischen Diktatur sind wir noch weit entfernt. Das mindert nicht die Dringlichkeit des antifaschistischen Kampfes. Es ist aber ein Hinweis darauf, welche Chancen der Widerstand dagegen (noch) hat und worauf er sich vor allem konzentrieren muss – die Verhinderung der Entstehung einer faschistischen Massenbewegung auf der Straße.Die Parole: „Wer Nazis wählt, ist ein Nazi.“ ist falschWährend in der Debatte um ein AfD-Verbot die Gefahr von manchen Linken übertrieben wird, machen andere den Fehler, die Wähler:innen der AfD falsch einzuschätzen. Auch wenn die AfD in ihrem Kern eine faschistische Partei ist, gilt das noch nicht für ihre Wähler:innen als Ganzes. Die Mehrheit wählt die Partei nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung. Der Slogan „Wer Nazis wählt, ist ein Nazi“ ist daher irreführend. Es ist nicht die vordringlichste Aufgabe einer antifaschistischen Bewegung, Menschen, die nach rechts tendieren, zurückzugewinnen. Dies hängt von vielen Faktoren und weiteren Akteuren ab.Die soziale Krise und die unzulängliche Politik der Regierenden sind der Nährboden, auf dem die Wut gedeiht und die AfD wächst. Eine Perspektive für die solidarische Überwindung dieser Krise und den Widerstand gegen die Angriffe auf die Lohnabhängigen sowie die sozialen Sicherungssysteme zu entwickeln, ist deshalb eine wichtige Aufgabe – gerade für die Gewerkschaften. Die Wurzel, mit der sich die AfD in diesem Nährboden verankert, ist aber der Rassismus – insbesondere gegen Muslime und Geflüchtete. Er muss gesondert bekämpft werden, mit guten Argumenten und gemeinsamen Kämpfen.Im Fokus einer antifaschistischen Bewegungsarbeit sollten daher die vielen Menschen stehen, die sich bisher nicht getraut haben, ihren Unmut über den Rechtsruck in politische Aktivität umzusetzen. Wenn alle gemeinsam aufstehen, werden auch weniger Menschen AfD wählen. Denn egal ob am Frühstückstisch, bei der Geburtstagsfeier oder am Arbeitsplatz: Mit starken antifaschistischen und antirassistischen Demonstrationen im Rücken lassen sich Diskussionen viel besser führen und vor allem gewinnen – das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ macht vor, wie so etwas im Alltag funktionieren kann.Der Erfolg von Nazis ist kein Naturgesetz„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ – formuliert Bertolt Brecht im Epilog des Theaterstücks „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Es ist ein Hinweis darauf, dass wir letztlich die Nazis nur besiegen können, wenn wir gesellschaftliche Bedingungen schaffen, in denen ihr Gedankengut gar nicht erst gedeihen kann. Diese Einsicht ist vor allem für die organisierte Linke wichtig. Denn um die Nazis in die Schranken zu weisen, braucht es auch eine sichtbare linke Alternative oder wie es der Soziologe Klaus Dörre formulierte, „eine Politik, die die Systemfrage nicht der völkischen Rechten überlässt.“Eine solche Linke kann sich gerade jetzt im Kampf gegen die AfD bewähren. Nicht durch kluge Ratschläge von der Seitenlinie, sondern indem sie zum Motor des breiten antifaschistischen Widerstands auf der Straße wird. So macht das Theaterstück von Brecht auch klar: Es ist kein Naturgesetz, dass Nazis sich erfolgreich etablieren können. Auf dem Reichsparteitag der NSDAP im Jahr 1933 blickte Hitler zurück auf den Weg der Partei an die Macht: „Allmählich entstand im Staat der Demokratie der Staat der Autorität, im Reiche der jammervollen Gesinnungslosigkeit ein Kern fanatischer Hingebung und rücksichtsloser Entschlossenheit. Eine einzige Gefahr konnte es gegen diese Entwicklung geben: Wenn der Gegner (…) mit letzter Brutalität am ersten Tag den ersten Keim der neuen Sammlung vernichtete.“Massenprotest statt VerbotVerbote sind – damals wie heute – kein wirksames Mittel gegen den Aufstieg der Nazis, antifaschistische Massenbewegungen hingegen schon. Selbst Anfang der 1930er Jahre hätte eine Einheitsfront von Gewerkschaften, sozialdemokratischer und kommunistischer Partei und Kirchen den Sieg des Faschismus noch verhindern können – wenn der Kampf rechtzeitig aufgenommen worden wäre. Diese Lehre gilt auch heute. Denn ob die „Lichterkettenbewegung“ in den 1990er Jahren, der „Aufstand der Anständigen“ Anfang der 2000er Jahre, die „Unteilbar“-Mobilisierung 2018/2019 oder die vielen Rock-gegen-Rechts-Konzerte: Immer dann, wenn es eine breite Massenbewegung gegen sie gab, wurden die Rechten vorübergehend zurückgedrängt.Eine solche antifaschistische Massenbewegung entsteht nicht von alleine, sie muss aufgebaut werden. In diesem Kontext: Die Idee eines AfD-Verbots als „Kitt“, der Menschen über ideologische Grenzen hinweg gegen die Nazis mobilisieren könnte, ist rührselig, aber politisch eine Sackgasse. Zum einen ist ein AfD-Verbot auch innerhalb des breiten antifaschistischen Spektrums von Gewerkschaften über SPD bis hin zur Antifa umstritten und kann daher gar nicht als „Kitt“ dienen. Zum anderen ist es, wie oben beschrieben, politisch auf mehreren Ebenen ein stumpfes Schwert.Überall im Land – gerade auch im Osten – gibt es dagegen hunderttausende Menschen, die Nazis und Rassismus gleichermaßen zurückweisen und bereit sind, sich der AfD entgegenzustellen – weil Faschismus keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen! Diese Menschen gilt es zu mobilisieren. Dafür braucht es Einheit. Ein AfD-Verbot spaltet die Bewegung und lenkt damit von dieser Aufgabe ab.
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