Debatte um AfD-Verbot: Finger weg und nochmal nachdenken!
Meinung Überall in Europa gibt es ähnliche Rechtsparteien. Doch nur in Deutschland kommt man auf die Idee, das Problem per Gerichtsbeschluss zu lösen. Warum das ein Irrweg ist, wie man es besser macht – und was Thomas Piketty Sahra Wagenknecht rät
Auch ein migrationspolitischer Rechtsruck der Linken wäre eine Sackgasse
Foto: Sean Gallup/Getty Images
Hat man aus Österreich je ernsthafte Forderungen vernommen, die „Freiheitlichen“ zu verbieten? Wer in Frankreich will das Rassemblement National auflösen, wer in den Niederlanden die Wilders-Partei? Mit seiner Forderung nach einer „Prüfung“ eines Verbots der mit diesen Kräften vergleichbaren AfD steht der progressive Flügel des hiesigen Liberalismus alleine da. Obwohl die Verfassungen unserer Nachbarn mit Ausnahme Großbritanniens und der Schweiz das Verbieten von Parteien durchaus erlauben, würde die Vorsitzende einer Regierungspartei anderswo Kopfschütteln bis in die eigenen Reihen ernten, wenn sie kurz vor wichtigen Regionalwahlen die Auflösung einer konkurrierenden Kraft forderte, die in Umfragen vorne liegt – so
kurz vor wichtigen Regionalwahlen die Auflösung einer konkurrierenden Kraft forderte, die in Umfragen vorne liegt – so abstoßend dieselbe auch sei.Ein Konjunkturprogramm für VerschwörungstheorienHierzulande ist das anders: Von Teilen selbst der Union über SPD und Grüne bis hin zur Partei Die Linke dreht sich die Debatte nicht um die Statthaftigkeit, sondern nur um die Chancen und den etwaigen Nutzen eines Verbots. Um es kurz zu halten: Finger weg! Die Aussichten wären bestenfalls ungewiss, die Wirkungen aber sicherlich fatal: Käme es denn zustande, zöge sich das Verfahren über lange Jahre, in denen die AfD sich als verboten oppositionell aufführen könnte.Schon die jetzige Diskussion ist ein Konjunkturprogramm für diejenige Sorte rechtsdrehender Semi- oder Voll-Verschwörungstheorien, die im Vorfeld der AfD wabern und ihr jüngst gerade unter den Jungen viel Zuspruch gebracht haben: Hat nicht Bundeskanzler Olaf Scholz mit seinem Wort von der „Zeitenwende“ ganz offen den Startschuss für den „Great Reset“ gegeben? Ist nicht die Tatsache, dass „Systemkritik“ jetzt wirklich kriminalisiert werden soll, ein letzter Beweis dafür?Man fragt sich wirklich, ob Leute wie SPD-Vorsitzende Saskia Esken oder Wolfgang Thierse, wie Linke-Chef Martin Schirdewan oder auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz nicht sehen, wie sehr bereits ihr leichtfertiges Gerede über das Für und Wider eines Verbotsverfahrens derartige Weltwahrnehmungen zu schließen hilft – von einer verirrten Szene-Linken ganz zu schweigen. Gewiss: Auch in den Nachbarländern hat sich beim politischen Zurückdrängen AfD-verwandter Kräfte niemand mit großem Ruhm bekleckert. Doch spricht aus der so spektakulär hilflosen wie international einsamen Verbotssehnsucht des hiesigen Links-Liberalismus eine spezifische Politikunfähigkeit, die der Erklärung bedarf.Eine typisch deutsche PolitikunfähigkeitEinen Ansatz hierzu bietet die Ideengeschichte: Einen echten Liberalismus, der sich revolutionär mit den historischen Mächten anlegte, hat es hierzulande nie gegeben. Da liegt der Weg in einen Post-Liberalismus nahe, der seine „Werte“ obrigkeitlich erzwingen will, weil er den Glauben daran verloren oder nie besessen hat, sich in offener demokratischer Auseinandersetzung behaupten zu können. Hinzu kommt ein Phänomen, dass der Historiker Frank Trentmann seinem Geburtsland von London aus attestiert: „Deutsch zu sein, bedeutet, ständig mit moralischen Fragen zu ringen“, sagte er jüngst in einem Interview zu seiner monumentalen Mentalitätsgeschichte der Deutschen, die den Titel Aufbruch des Gewissens trägt. Nur wenige Deutsche machten sich „gar keine Gedanken über Gut und Böse“.Bei aller Skepsis gegenüber solchen Großgemälden fühlt man sich auch hier an Deutschlands Umgang mit seiner noch neuen Rechtspartei erinnert: Es hat mit einem Hang zu Moralisierung des Politischen zu tun, dass sich hierzulande schon fast gegen Täterschutz-Vorwürfe verteidigen muss, wer eine Binsenweisheit ausspricht: Politischen Herausforderungen muss politisch begegnet werden. Denn im mythischen Ringen der hellen Bundesrepublik gegen „Dunkeldeutschland“ geht es nicht um Strategien, sondern um „Haltung“. Um „klare Kante“, sittliche Standhaftigkeit, ein Gefühl persönlicher Unschuld. Es ist ein wenig wie im deutschesten aller Luther-Choräle: Eine feste Burg ist unser Gott.Es gewinnt, wer das Schlachtfeld festlegtDoch das verlustreiche Halten einer moralischen Festung macht vielleicht ein gutes Gewissen, entscheidet aber nicht den Kampf. Doch wer das feststellt, muss auch sagen, wie man es macht: Wie die Konservativen, die den Rechten nach dem Mund reden? Das bestätigt nur deren Dreh, alles Übel den Fremden oder Verfremdeten anzuhängen. Oder doch wie die Progressiven, die aus allen Rohren gegen die rechten Talking Points schießen?Diese Strategie der Ausgrenzung ist spätestens mit der verzweifelten Verbotsforderung am Ende, die ihre Ultima Ratio ist. Die konträren Ansätze haben eine Schwäche gemeinsam: Sie lassen den Gegner das Schlachtfeld bestimmen. Bei der moralischen Linken geht das mitunter so weit, dass sie sich hauptsächlich negativ bestimmt, nämlich als Gegenteil der AfD. So aber predigt man nur zu Bekehrten.Hier die geeignete Stellung zu finden, ist gleichermaßen sehr einfach wie unheimlich schwer. Natürlich muss Hetze widersprochen werden. Und doch haben Progressive darauf zu achten, mehr ihre eigene – die soziale – Frage zu stellen als wütend auf die nationale Frage der Rechten zu antworten. Dass das in manchen Ohren nicht minder abgedroschen klingt als das „Links heißt Anti-Rechts“ in anderen, ändert nichts an der Richtigkeit dieses Postulats.Julia Cagé und Thomas Piketty haben in einer beeindruckenden empirischen Langzeitstudie über das Wahlverhalten in Frankreich gezeigt, wie sehr im „Kampf gegen Rechts“ die klassisch linken, strukturpolitischen Themen – Infrastruktur, Daseinsvorsorge, öffentliche Dienstleistungen – ausschlaggebend bleiben. Die Betonung liegt hier allerdings auf „Langzeit“: Es waren Jahrzehnte der gesellschaftlichen Erosion, die das jetzige Momentum der neuen Rechten ermöglicht haben. Das wäre selbst bei bestem Willen nicht in ein paar Jahren zu reparieren.Piketty an Wagenknecht: Nicht in die Migrationsfalle tappen!Für Deutschland fragt sich derweil, ob bestehende Kräfte noch den Willen und die Fähigkeit haben, eine solche Agenda glaubwürdig zu verfolgen – oder ob es einer neuen bedürfte, etwa des Bündnisses um Sahra Wagenknecht. Einer solchen neuen Partei geben Cagé und Piketty freilich auch eine Empfehlung mit auf den Weg: Ein echter migrationspolitischer Rechtsruck wäre, siehe oben, eine Sackgasse.Auch das gehört zu den Erfahrungen der Progressiven Westeuropas, die sich schon länger als wir mit Parteien vom Typus AfD auseinanderzusetzen haben. Für den gefährlichen Versuch, ein Verbotsverfahren herbeizuführen, gibt es hingegen keine Präzedenz. Vielleicht auch schon ein Grund, davon Abstand zu nehmen: Wer macht sich schon gerne zum Versuchskaninchen?Placeholder infobox-1
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