Kennen Sie das? Fällt es Ihnen zuweilen auch bedrückend schwer, junge Leute ernst zu nehmen? Gehen Ihnen diese, Verzeihung bitte, bisweilen furchtbar auf den Geist?
Ich jedenfalls leide, je älter ich werde, verstärkt unter einem Komplex, den man wohl Youngism nennt. Es handelt sich um diejenige Art der Altersdiskriminierung, die sich gegen Junge richtet. Ich bin also nicht ihr Opfer, sondern diskriminiere selbst. Mein Feindbild sind die 20- bis 35-jährigen Tonangeber-Sternchen-Innen aus Politik, Wirtschaft, Aktivismus und Kultur. Gegen sie hege ich heftige Vorbehalte. Bevor zu mir durchdringen könnte, was sie sagen, müsste ich – fast unmöglich – meine Idiosoynkrasien gegenüber dem Wie unterdrücken: geleckt, gelackt, gegendergapt,
endergapt, nach hinten und vorne abgesichert. Was recht absurd ist, weil ich meine eigenen erwachsenen Kinder sehr ernst nehme, vielleicht sogar zu ernst.Als Jungstudentinnen haben die Töchter mir in quasimissionarischem Eifer den ganzen frisch gelernten Kram verklickert: Pronomen, Rassismus, Postkolonialismus. Und ich glaubte ihnen, stellte mein Denken um. Mittlerweile sind sie vom Verkündeten nicht mehr ganz so total überzeugt, hier und da deutet sich gar ein humorvoller Umgang mit bestimmten, zuvor quasi heiliggesprochenen Weisheiten an, sodass unsere Gespräche lockerer werden und ich nicht mehr jedes Mal die Geißel rausholen muss, wenn ich nicht sofort das richtige Wort weiß.Wie das so ist mit den Jungen: Einzeln sind sie ganz wunderbar, aber in Gruppen mitunter schwer erträglich: Furchtbar ernsthaft und himmelhoch moralisch übernehmen sie Mikrofone und Bildschirme mit ihrem „ganz genau“ ausgefeilten Hochdeutsch, bei dem sie die Zähne zusammenpressen, damit es noch ernsthafter klingt, noch unausweichlicher, mit ihrer ausgestellten Team-Bescheidenheit, ihrer aberwitzigen Klugheit – ach, und dann sehne ich mich nach den einstigen Fettnäpfchenbetretern, den Herumpolternden, den weniger Vorsichtigen, weniger Gewitzten, weniger Klimakarrierefixierten, auch weniger säuberlichen Gestalten. Denn perfekt gestylt sind sie natürlich auch, die Jungen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, perfekt im Umgang mit den digitalen Vermarktungsmechanismen. Perfekt in Bild und Ton checken sie vorab jede Aktion auf ihre virtuelle Verwund- und Verwertbarkeit, jedes Wort klopfen sie ab auf etwaige Untiefen – bis das alles im Resultat unangreifbar hohl klingt. Sie haben gelernt, dass schon ein Fehltritt totales Imageversagen bedeuten kann.Und dann tun sie mir so schrecklich leid – was ist das für eine Welt, in die wir sie hineingeboren haben?! Wir dürfen sie darin nicht allein lassen! Es verwundert kaum, dass sie mit 25 Burn-out haben und mit 23, noch an der Uni, ihre „Work-Life-Balance“ einklagen. Das ist natürlich fies, mies und höchst gemein von mir, weil so allgemein diskriminierend– youngistisch eben. Wäre ich achtsamer gewesen, als ich in ihrem Alter war, hätte ich womöglich jetzt keinen Tennisellbogen, 5.000 Euro netto pro Monat und keine gescheiterten Beziehungen – weiß man’s? Es ist ja immer Unzufriedenheit mit sich selbst und seinesgleichen, die zum pauschalen Ablehnen anderer Gruppen verleitet.Und so wird Youngismus zum neuen Rassismus. Die Jungen sind die neue gefährdete Minderheit, eine akute Opfergruppe. Wie alle minderheitigen Opfer gab es sie schon immer, aber jetzt ist die Zeit reif, jetzt können wir Alten uns auf die richtige, nämlich auf ihre Seite stellen, können uns verbünden – Ally sein! Können uns Bücher besorgen mit Titeln wie „Euer Alter ist unser Albtraum“, „Exit Youngism: Youngismuskritisch denken lernen“ und Workshops besuchen wie „Deutschland Jung und Alt – der alltägliche Youngismus“ oder „Was alte Menschen nicht über Youngismus hören wollen, aber wissen sollten“. Bis wir feststellen, dass das Einzige, was uns vom Youngismus erlösen kann, die Jungen selbst tun müssen.Nämlich etwas älter werden.Placeholder authorbio-1