Wagenknecht-Abspaltung: Wem nützt das öffentliche Sterben der Linkspartei?
Meinung Das Ringen um die noch nicht gegründete Wagenknecht-Partei führt vor, wie hässlich Politik sein kann. Und wie sehr der Linken emotionale Kompetenz fehlt. Bleibt nur verbrannte Erde? Oder schlägt die Stunde einer von links erneuerten SPD?
Sahra Wagenknecht ist Mitglied des deutschen Bundestages, Ökonomin und Publizistin. Sie war in der Linkspartei. Nun steigt sie aus
Foto: Michele Tantussi/Getty Images
Zu denen, die alle Türen hinter sich zuschlagen, habe ich auch mal gehört. Privat, beruflich und politisch. Es schien so erleichternd, jeweils. So frei. So herrlich unausweichlich. Damals wusste ich noch nicht, dass diejenigen hinter den dann verschlossenen Türen für mich eben doch nicht gestorben sind. Weil das Leben so nicht funktioniert. Weil sich alles ständig verändert. Innerlich und äußerlich. Sogar die Linke.
Sahra Wagenknecht und ihre Ex führen das Türenknallen in Zeitlupe vor: Nach zig Andeutungen, Halbankündigungen, Scheinkompromissangeboten geht sie. Verlässt als Kapitänin das sinkende Schiff, wehenden Mantels und nachtretend. Endlich, möchte man seufzen. Und: schade. Seit Monaten schaut man dem öffentlich
retend. Endlich, möchte man seufzen. Und: schade. Seit Monaten schaut man dem öffentlichen Sterben der Linkspartei zu, ihrer Fixierung auf eine Person, auf ein Rechthabenwollen, dem Ringen ums Opfersein. Es ist ein Trauertheater, aber keine Tragödie. Diese setzte Unausweichlichkeit voraus. Trennungen sind aber fast immer eine Entscheidung auf der Grundlage von Prioritätensetzungen und Verletzungswahrnehmungen, und sie haben, wie Kriege, keinen Gegenwartsausschnitt zur Ursache, sondern eine lange Geschichte.Glauben kann man weder Sahra Wagenknecht noch sonst jemandemDie Erzählung variiert natürlich von Individuum zu Individuum. Was übrigens Unteilbares heißt: Von sich selbst kann man sich nicht trennen. Womöglich würde man es manchmal gern, und weil das nicht geht, ohne verrückt zu werden, geht man, hinterlässt verbrannte Erde, auf der man vorher adrenalingetrieben gezündelt hat, als wär‘s ein Spiel, gemeinsam gegeneinander. Wie bei jeder Trennung haben hinterher alle recht – und keine. Und glauben kann man gar nichts. Niemandem.Die Linkspartei büßt seit Langem an Vertrauen ein. Wie auch nicht, da deren Vertreter so hart mit den eigenen Leuten ins Gericht gehen, offenbar unfähig, das eigene Handeln selbstkritisch zu hinterfragen. Und nicht mal in der Lage, sich auf einen zumindest äußerlich fairen Umgang miteinander zu einigen, einen sauberen Schnitt zu machen, schadensbegrenzend. Stattdessen wuchern Wunden, die bluten und bluten, als gäbe es kein Morgen. Man ist verletzt und will es nicht zeigen, weil jede Verletzung in der Sphäre der Politik den Gegner ermutigt. Mit ihrem Gekränktsein verschanzen sich die links liegen Gelassenen hinter einer immer grotesker werdenden Behauptung der Sachlichkeit. Auf keinen Fall soll es um Gefühle gehen, wenn man auseinandergeht. Und doch geht es um kaum etwas anderes.Wer zuschaut, leidet mit – und wird politikverdrossenSchmerzhaft hilflos wirkt das. Kleinmütig allzu menschlich. Wenig politisch. Und furchtbar traurig. Fröhlich oder gar zupackend sieht da schon lange keiner mehr aus. Auch die „Bündnis für Wagenknecht“-Clique wirkt frei höchstens von Freude. Spaß haben nur manche Medien, die, als wären sie im römischen Zirkus, die Selbstzerfleischung anfeuern, genüsslich Buh rufend, besserwissend, pseudoempathisch, im Habitus der drüberstehenden Vernunft: Womöglich könne die neue Wagenknecht-Partei die AfD niederringen, heißt es etwa. Das Bündnis für Sahra Wagenknecht (BSW) bekäme dann eine ganz neue, weniger personenkultige Bedeutung: Brandmauer sammelt Wegelagerer. Oder Biedermann sucht Wahlheimat. Wer bietet mehr?Die Spaltung in kaum voneinander unterscheidbare, jedoch einander spinnefeindlich gesonnene Untergruppen ist der fatale Traum aller totalkonsequenten Linken, die vergessen, dass Realpolitik wie die Wirklichkeit ist: bunt und inkonsequent. Um so grauer wird das Erwachen. So viel Engagement, so viel harte Arbeit haben sich in die Gesichter der tapferen Genossen eingegraben, die nicht in die Talkshows eingeladen werden, die, mal mehr, mal weniger geschickt, in den Mühen der Ebene im Schweiße ihres Angesichts alles geben, obwohl die Mühen der Gebirge doch noch gar nicht überstanden sind. Niemand wird die Tätigkeit derjenigen, die für mehr soziale Gerechtigkeit streiten, je gerecht bewerten. Sie, die sich auf- und aneinanderreiben, haben nur Häme, vergiftetes Mitleid und Schadenfreude zu erwarten, als geschähe es ihnen recht, da sie nicht rechts sein wollen. Was zu kurz kommt beim Kampf um eine bessere Welt, ist paradoxerweise Menschlichkeit in den eigenen Reihen. In so einem Klima geht jeder Gestaltungswille verloren.Man wünschte, man müsste nicht zuschauen, denn Lust auf politisches Engagement macht das alles nicht. Und wer, wie ich, einer anderen einst stolzen Arbeiterpartei angehört, hofft, dass nun endlich wieder einiges zusammenwachsen kann, was links zusammengehört, um zusammen weiter zu gehen: kleine Schritte für die kleinen Leute, die eine Partei groß und Gerechtigkeit erst möglich machen. Bodenständig. Stück für Stück. Denn ich weiß ja, um einige heilsame Lebenserfahrungen reicher, dass türenknallende Abschiede nur zweierlei bedeuten können: Besserenfalls sind sie außer dumm ein bisschen lächerlich, da die Türenschlagende sich selbst zu wichtig nimmt. Schlimmerenfalls hinterlassen sie unheilbare Verletzungen. Auf beiden Seiten.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.