In der Welt bekommen „Sparer“ bereits Tipps, wie sie ihr „Geld retten“ können. Droht die große Inflation? Fangen wir mit dem Zählbaren an: Gegenüber 2020 stiegen in Deutschland die Preise im Mai um durchschnittlich 2,5 Prozent, so stark wie schon länger nicht. Die USA seien bei fünf Prozent und die Bundesbank rechne, kann man verschiedentlich lesen, auch hierzulande bis Jahresende mit drei oder vier Prozent, zumindest vorübergehend. Müssen wir uns Sorgen machen?
Sorgen haben ja auch eine subjektive Seite – gerade die vor der Geldentwertung. Hierzulande geht es schnell um die Hyperinflation von 1923. Eine Folge des Ersten Weltkriegs, von der manche sagen, sie habe Hitler mit zur Macht verholfen. Dabei war das zehn Jahre später. Linken steht wohl Venezuela vor Augen, wo die Teuerung 2014 noch 69 Prozent und 2018 dann 130.000 Prozent betrug, laut IWF gar 1,3 Millionen. Nicolás Maduro hat das nicht allein angerichtet, ein Faktor sind die Sanktionen, die Barack Obama 2015 verhängte. Aber hier ist Panik gerechtfertigt.
Ein Schreckgespenst ist Inflation aber immer. Auch manche Linken reden gern von einer „kalten Enteignung der kleinen Sparer“. Weil Geld in der Inflation irgendwie nichts mehr wert sei, fordern sie für „Sparer“ Dinge wie garantierte Kapitalerträge, ein bisschen leistungsloses Einkommen. Höhere Zinsen, das wäre fein! Sie werfen Äpfel und Birnen zusammen und sagen: Sind alles Äpfel. Es ist ja klar, wem höhere Zinsen zuerst nutzen: Nicht dem Mann, der sein Geld auf dem Bierdeckel überblicken kann, oder der Frau, die im Sommer auf die Winterstiefel der Kinder spart.
Meist kommen die Unkenrufe allerdings aus anderen Ecken. Ökonomen wie Hans-Werner Sinn werden nicht müde, so ziemlich alles, was wirtschaftlich schieflaufe, der Europäischen Zentralbank in die Schuhe zu schieben: Die EZB-Politik des massiven Staatsanleihenkaufs müsse geradezu Inflation schaffen. Thilo Sarrazin sah 2012 die große Entwertung kommen. Dahinter steht die grob vereinfachte Vorstellung, für eine aus dem Ruder laufende Inflation müsse nur immer mehr Geld in Umlauf kommen. Doch so einfach ist das nicht. Der Ökonom Heiner Flassbeck sagt, die Geldmenge sei zwar eine notwendige, aber bei Weitem nicht hinreichende Bedingung. Hinzutreten müssten eine hohe Nachfrage auf dem Gütermarkt und stark steigende Kosten für die Unternehmen. Daher versuchen viele Staaten – weit vorn Deutschland – über das Kleinhalten der Löhne zu verhindern, dass es so kommt.
Die allgemeine Frage – eine von vielen – ist, ob sich in der Zirkulations- oder Produktionssphäre entscheidet, wer die Lasten einer inflationären oder deflationären Entwicklung trägt. Wenn die Preise steigen, ohne dass die Löhne mithalten oder wenn diese gar sinken, neigt sich die Waage zuungunsten der Arbeitenden ohne Produktionsmittel. Ist eine moderate Inflation Folge von unter anderem Lohnsteigerungen, ist das anders zu bewerten.
Was aber ist konkret der Fall? Von 1923 oder Venezuela sind wir weit entfernt. Zwar gab es 2020 spektakuläre Preissteigerungen bei spezifischen Waren, bei Webcams waren es 99 Prozent. Verteuert hatten sich auch Haushalts- und Fitnessgeräte. Im Gesamtjahr 2020 lag die Inflation dennoch bei nur 0,5 Prozent. Nun gilt unter anderem der Rohölpreis als Treiber, der 2020 zeitweise stark gefallen war. Hierzulande gibt es Sondereffekte wie die seit Januar erhobene CO₂-Abgabe; auch die Mehrwertsteuer, die 2020 gesenkt worden war, ist seit Januar wieder auf Vor-Corona-Niveau.
Die jetzige Teuerung folgt also auf ein Jahr mit sehr niedrigem Niveau – in dessen zweiter Hälfte es sogar Monate mit negativer Inflationsrate gegeben hat. Und eins kann man festhalten: Eine solche Deflation, in der die Wirtschaft zu schrumpfen droht, weil aufgrund sinkender Preiserwartung nicht investiert wird, das wäre das schlimmere Szenario.
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Kommentare 8
Ich frage mich eher, wieso gerade in den aktuellen Tagen die Inflationsangst (wieder) geschürt wird – über das seit Jahren in Dauerpanik machende nationalkonservative Milieu sichtlich hinausgehend. Frau Gerlof hat es zutreffend beschrieben: Für eine »richtige« Inflation (korrekt eigentlich: Hyperinflation) gibt es weder Anzeichen, noch sind die Grundvoraussetzungen dafür gegeben. Die Hyperinflation 1922–1924 etwa war klar das Produkt politischer Entscheidungen – maßgeblich der, einer von Weltkriegsschulden und Bürgerkrieg geplagten Gesellschaft zusätzlich die Finanzierung eines monatelang währenden nationalkonservativen Großstreiks, des sogenannten Ruhrkampfes gegen den französischen Erbfeind, aufzuhalsen – bis hin zu jenem bitteren Punkt, aus dem buchstäblich nichts mehr durch Realwirtschafts-Äquivalente gedeckt und aus einer ursprünglichen Reichsmark eine Billion Reichsmark geworden waren.
Warum also gerade jetzt? Der Zusammenhang mit dem angelaufenen Bundestagswahlkampf ist unschwer zu erkennen. Die reformlinken Parteien propagieren ein (gemäßigtes) Deficite Splending; eine davon – die Grünen – wird aller Voraussicht nach sogar in der nächsten Regierung präsent sein. Im Grunde haben wir hier bereits die Ursache: Ursächlich geht es um einen rein instrumentellen Zweck – konkret: eine nationalkonservative Breitenmobilisierung zugunsten von Armin Laschet (eventuell auch der AfD – um eine genügend stimmvotumsmächtige rechte Sperrminorität in den Bundestag zu hieven). Vielberedt ist die von Springer-Medien & anderen vorgetragene Inflationsangst natürlich trotzdem: Sie zeigt, wie hypersensibel insbesondere der traditionelle Teil der deutschen Eliten selbst auf vergleichsweise kleine ins Haus stehende Veränderungen reagiert.
Insofern ist der Vergleich mit Venezuela da gar nicht so weit weg. Auch dort ist die marode Ist-Situation das Ergebnis eines jahrzehntelang geführten und mit allen Bandagen ausgetragenen Klassenkampfs von oben. Da in Venezuela zwischenzeitlich eine reale Hyperinflation grassiert, ist die Folgerung gar nicht abwegig, dass die herrschende Klasse selbst vor der Geldverbrennung im ganz großen Stil nicht zurückschreckt, wenn ihre Klassenmacht real (oder auch nur: gefühlt) bedroht ist.
In dem Sinn ist das aktuell vorgetragene Inflationsraunen tatsächlich ein Zeichen an der Wand: ein Zeichen für die Entschlossenheit der herrschenden Eliten, ihre Privilegien notfalls bis zum letzten Schuss zu verteidigen.
»Müssen wir Angst vor der Inflation haben?«
Ja was ist denn jetzt? »Müssen wir Angst vor der Inflation haben?«
Am Textende angekommen, weiß ich es noch nicht. Dann die abenteuerliche Schlussfolgerung: »Eine solche Deflation, in der die Wirtschaft zu schrumpfen droht, weil aufgrund sinkender Preiserwartung nicht investiert wird, das wäre das schlimmere Szenario.«
Sollte der Autorin entgangen sein, dass EZB & Co Billionen-Monopoly-Geldes ausgegeben haben und noch immer ausgeben, dem kein Gegenwert gegenübersteht, das die Börsen-Indexe in sensationelle Höhen treibt, aber keine wirkliche Wertsteigerung produziert, das aber ein System darstellt, das mir doofem Bürger meine Ersparnisse raubt, das mir vorschreiben will, dass ich mein Geld gefälligst auszugeben, statt zu sparen habe. Ich werde also zu Nonsens-Einkäufen angehalten, obgleich ich das Geld zur Alterssicherung, wie das Narrativ seit Jahrzehnten hieß, zurückgelegt hatte. – Ist das alles nicht schlimm genug? Die Fixierung auf das Thema Inflation ist angesichts der bereits bestehenden Verluste bei z.B. ausbleibenden Zinsen auf Bank- und Versicherungseinlagen und drohenden und tatsächlichen Negativzinsen eine weitere Ablenkung von bereits vorhandenen Enteignungswerkzeugen für Bevölkerung.
»Die EZB-Politik des massiven Staatsanleihenkaufs müsse geradezu Inflation schaffen.«
Und sollte der Autorin auch entgangen sein, das EZB & Co. die Billionen-Schwemme für das Kasinogeld mit Inflationsnotwendigkeit im Realmarkt begründen, die so im Realmarkt allerdings erst wieder virulent zu werden scheint, seit dem die Regierung(en) anlässlich Corona-Politik Geld „unter die Leute gebracht hat“? Das soll jetzt von der Konsumgüterindustrie abkassiert werden.
Außerdem sei daran erinnert, dass die EZB nicht nur Staatsanleihen aufkauft, sondern auch Unternehmensanleihen – mit Geld aus dem Nichts.
Angst - Vermögen retten - Hyperinflation - Venezuela - Hans-Werner von Sinnen
Im Prinzip sollte man solche Artikel gar nicht mehr lesen. Wer mit solchen und ähnlichen Vokabeln auf die Pauke haut- und das tun derzeit viele- will die Menschen publizistisch nur aufheizen. Oder politisches Kapital aus ihrer Angst schlagen. Oder Geld verdienen.
Ich habe nie an das Märchen einer „galoppierenden Inflation“ (das ist eine Stufe unter der Hyperinflation) oder wenigstens eine starke Inflation geglaubt, dass gerade die Runde macht. Die Anleihenmärkte zeigen, wohin die Reise (bis Ende Jahr) geht: Zu etwas höheren Inflationsraten, als a) vor der deflationären Phase oder der Phase sehr tiefer Inflationsraten bis 2019 (2020) und b) vor der Coronakrise. Im langjährigen Schnitt werden wir am oberen Rand anstossen. Oder etwas darüber hinaus schiessen, was die EZB auch zulassen wird. Wichtig in diesem Zusammenhang werden auch die „gefühlte Inflation“ und die Kerninflation sein. Erstere bezieht sich auf die Inflation, welche die Menschen subjektiv wahrnehmen (und ihr Konsumverhalten danach ausrichten), Zweitere die Inflation ohne Energie und Lebensmittel, welche naturgemäss stark schwanken und deshalb ein verzerrtes Bild von der Preisfront wiedergeben können.
Eng verknüpft mit der Inflation ist auch die Geldpolitik: Parallel zu den (künstlich geschürten) Ängsten vor einer wie auch immer gearteten Infaltion ist auch die Angst vor stark steigenden Zinsen. Doch bei dem rekordhohen Verschuldungsniveau werden die Noten- und Zentralbanken alles tun, um die Zinsen nicht über die Gebühr erhöhen zu müssen- weil es sonst knallt. Das ist keine lässig dahin geworfen wirkende Aussage, sondern eine Tatsache.
Die Inflation wird im historischen Vergleich (bis zurück in die Siebziger, welche ohnehin ein Spezialfall sind) ziemlich genau im Rahmen des Verkraftbaren bleiben. Weil sich u. a. das Geld nicht bewegt (Umlaufgeschwindigkeit des Geldes) und weil die Globalisierung weiterhin preisdämpfend wirkt. Erst wenn die Globalisierung dauerhaft und breitflächig zurück gefahren wird, muss mit exorbitant hohen Inflationsraten gerechnet werden, weil damit auch die Lohn-Preis-Spirale u.a.m wieder in Gang gesetzt wird.
Dem Haeuslebesitzer geht die Inflation am Arsch vorbei. Ob das Ei im Discounter jetzt 28 cent oder 58 cent kostet ist scheissegal, aber wenn du fuer die Miete eh schon 16 Tage im Monat schuften musst koennen Inflationen von 3 - 5% beaengstigend werden, egal ob es dann das Heizoel ist oder die Tomaten.
;-)
Meine bescheidene Meinung
Die Frage ist immer, wie stark jemand individuell von der offiziell ausgewiesenen Inflationsrate betroffen ist. Da sind wir dann schnell bei der gefühlten und tatsächlichen Inflation. Gefühlt ist sie immer höher. Das lässt sich aktuell sehr gut anhand der Inflation in den USA illustrieren: 1/3 der dortigen Inflation ist alleine auf die plötzlich stark gestiegenen Preise für Gebrauchtwagen (!) zurück zu führen. Wenn du also in letzter Zeit keinen Gebrauchtwagen gekauft hast, fallen einfach 30% der Inflation für dich weg = 4.2% - 1.4% = 2,8%. Du kannst dir übrigens hier (für Deutschland) auch deine persönliche Inflation ausrechnen.
Das Problem mit der Berechnung der Inflationsrate ist der Umstand, dass sie lediglich eine statische Ziffer ist, über die keinerlei Bezug zu unterschiedlichen Einkommensklassen und individuellen Konsumgewohnheiten hergestellt werden kann. Insofern hast du also Recht. Überdies ist fragwürdig, ob die Zusammensetzung des repräsentativen Warenkorbes, aus dem sie i.d.R. errechnet wird, auch wirklich repräsentativ ist. Ich hatte z. B. mein ganzes Leben lang nur vergleichsweise kurze Zeit ein (eigenes) Auto. Ergo trafen mich die preislichen Entwicklungen rund um die Energiepreise und den Individualverkeht immer erheblich weniger stark, als einen durchschnittlichen Haushalt.
Müssen wir Angst vor "der Inflation" haben.Nöö, genauso wenig wie wir Angst vor "dem Wetter" oder "den Menschen" haben.Das ist ein Oberbegriff eigentlich, denn in den letzten 60 oder 70 Jahren gab es vielleicht 2 oder 4 Jahre mit negativer Inflation, ansonsten jedes Jahr positive Inflation... Die Frage ist immer nach der Höhe - oder Tiefe, dann auch Deflation genannt.
Auch das Gerede vom "Zinsklau" ist zwar nett um sich so schon aufzuregen...Aber auch da lohnt ein genauerer Blick!Wem ist denn ein Guthabenzins von 3% lieber, wenn zu diesen Zeiten die Inflationsrate bei 3,5% liegt...Auch hier: in den letzten 60 oder 70 Jahren war es immer die Regel und nur sehr wenige Ausnahmejahre, dass der übliche Sparbuch-Guthabenzins UNTER der Inflationsrate lag.Wenn dauerhaft/längerfristig die Inflationsrate wieder ansteigt, werden auch die Guthabenzinsen wieder steigen. 2010 bis 2020 war jährlich die Inflationsrate bei rund 1,3% - die letzten Jahre eher bei 0,5%...
"Wir alle" würden uns freuen, wenn risikoloses Geld-parken/sparen auf dem Sparbuch anstrengungslos und quasi garantiert eine schöne Verzinsung oberhalb der Inflationsrate liefern würde...
Freibier für alle - freut uns auch.
Leider hat das mit der Realität wenig zu tun. Ein höherer Zins und Rendite geht IMMER mit Risiko einher.
Ja, es ist völlig egal, wie man die Enteignungsinstrumente für die Bevölkerung nennt. Money landet jedenfalls immer bei Big Money.