Am Zaun um die Generalstaatsanwaltschaft in Guatemala-Stadt hängen auch nach den Protesten weiter Transparente, die von Widerstand und Unbehagen künden. Jeden Morgen kommen Menschen hierher, um ihren Unmut über die korrupte Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras kundzutun. Aber nicht nur an diesem Ort, auch vor dem Kongress sowie den Gebäuden des Verfassungs- und Wahlgerichts oder dem Obersten Gerichtshof stehen Mahnwachen, vielfach getragen von den indigenen Autoritäten und unterstützt von studentischen wie anderen zivilgesellschaftlichen Verbänden.
„Daran wird sich bis zum 14. Januar, dem Tag der Vereidigung von Präsident Bernardo Arévalo und Vizepräsidentin Karin Herrera, nichts mehr ändern“, glaubt Bernar
ubt Bernardo Caal Xol. Der stämmige Aktivist aus dem nördlich der Hauptstadt liegenden Verwaltungsbezirk Alta Verapaz ist seit zwei Monaten ständig unterwegs und koordiniert wie andere indigene Führer eine Bewegung, die sich gegen seit Wochen laufende juristische Manöver wendet. Eine etablierte Elite aus Politikern, Militärs und Unternehmern sucht damit die Amtsübernahme des am 20. August gewählten linken Reformers Bernardo Arévalo zu hintertreiben. Einen vorläufig letzten Akt der Obstruktion bestritt die Generalstaatsanwaltschaft, als sie Anfang Dezember verkündete, das Wahlergebnis vom 20. August müsse wegen „Unregelmäßigkeiten“ annulliert werden.Die Reaktionen von USA, EU und OASDiese Selbstermächtigung stieß nicht nur auf eine heftige Reaktion des designierten Präsidenten, der das Ganze „einen absurden, lächerlichen und perversen Staatsstreich“ nannte. Sie führte auch international zu Widerspruch und Unverständnis, was nicht allein von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ausging. Die USA und die EU machten ebenso deutlich, dass sie sich für Sanktionen entscheiden würden, sollte der Regierungswechsel in Guatemala keinen regulären Verlauf nehmen. Parallel dazu waren Warnsignale gesetzt, als die USA gut 300 mehr oder weniger prominenten Guatemalteken die Einreisevisa entzogen, darunter etliche Parlamentarier und Vertreter staatlicher Institutionen. Auch das EU-Parlament sprach sich ziemlich einmütig, mit 432 zu neun Stimmen, dafür aus, die Einreise von Akteuren des „Pakts der Korrupten“ zu beschränken. Als noch wirkungsvoller erwies sich die erklärte Absicht der OAS, auf Strafmaßnahmen bis hin zum Ausschluss Guatemalas aus dem Staatenbund zurückzugreifen, sollte die Amtsübernahme Arévalos hintertrieben werden. Im Dezember sah sich das Lager der Restauration einer so noch nie erfahrenen Situation gegenüber, weil es eine derart einmütige Ablehnung jeglicher Sabotage selten zuvor gegeben hatte. Dass es dazu kam, war nicht zuletzt der präventiven Umsicht Arévalos zu verdanken, der bei zahlreichen Auslandsreisen in Washington, Brüssel und Hauptstädten Lateinamerikas selbst vorsprach, um auf die fragilen politischen Verhältnisse in seinem Land hinzuweisen, die einen Putsch von rechts begünstigen würden. Der „Pakt der Korrupten“ könne sich durchaus dazu entschließen, im Handstreich die staatlichen Institutionen zu übernehmen.Vereidigung am 14. JanuarDas scheint nach den angedrohten Sanktionen und der ungewohnt einheitlichen Position solch relevanter Akteure wie der USA, OAS und EU vorerst abgewendet zu sein. Héctor Reyes, Direktor der Menschenrechtsorganisation CALDH, hat keinen Zweifel daran, dass Bernardo Arévalo und Karin Herrera am 14. Januar vereidigt werden. „Die Einladungen an die Staatschefs anderer Länder sind verschickt. Und das Verfassungsgericht hat sowohl die Wahl als legal bezeichnet wie auch den am 30. November verabschiedeten Haushalt auf Eis gelegt“, so der Jurist.Mit diesem Etat hatte eine rechte Parlamentsmehrheit den Präsidenten an die Kette legen wollen. Darin festgelegt waren nicht nur rekordverdächtige Summen für die Generalstaatsanwaltschaft und das Ministerio Público, sondern ebenso gesenkte Sozialausgaben. Finanzpolitische Bewegungsfreiheit für den Präsidenten: Fehlanzeige. Nun muss das Staatsbudget neu verhandelt werden – eine weitere Niederlage für den „Pakt der Korrupten“.Doch beendet ist die guatemaltekische Krise, die so typisch ist für Mittelamerika, damit noch nicht. In der 160 Mandate umfassenden Abgeordnetenkammer kann sich der künftige Staatschef nur auf 23 Parlamentarier stützen, die bisher keine Fraktion bilden dürfen. Deren Partei – das Movimiento Semilla – ist als nicht gesetzeskonform eingestuft und praktisch verboten worden.Staatsanwältinnen wie Virginia Laparra widersetzen sich der korrupten Elite in der JustizFreilich könnte auch diese Entscheidung der Justiz früher oder später fallen, denn im Justizapparat zeigen sich erste Risse. Die Zahl der Richter steigt, die sich nicht mehr den Anweisungen aus der Generalstaatsanwaltschaft beugen. Ein Beispiel ist die bevorstehende Freilassung der inhaftierten Staatsanwältin Virginia Laparra, die eine Praxis der Straflosigkeit bei prominenten Tätern nicht mehr mittragen wollte und deshalb kriminalisiert wurde. Ein Erfolg auch der Protestbewegung in Guatemala, die eine Verantwortung für Repression und Schikane bei Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras und deren Handlangern sieht. Die indigenen Aktivisten haben gezeigt, dass sie über Wochen, notfalls Monate die Straße mobilisieren können. „Das wird auch über den Tag der Vereidigung hinaus so weiterlaufen. Wir wissen, dass die neue Regierung eine aktive, aufmerksame Zivilgesellschaft braucht, und machen weiter“, so Bernardo Caal Xol. Auch für Héctor Reyes ist das mehr als notwendig. Aller Voraussicht nach werde der neue Präsident gegen den Justizsektor regieren müssen, dessen oberste Repräsentantin María Consuela Porras sei. Die ist noch bis 2026 im Amt und wird einem Staatschef, der dazu angetreten ist, die Korruption zu bekämpfen, jeden erdenklichen Stein in den Weg legen.Allerdings wuchsen zuletzt die Erwartungen, dass sich mit der Neubesetzung von Gerichten die Machtverhältnisse peu à peu ändern könnten, so Reyes. Darauf setzt Arévalo auch im Parlament. Er hofft darauf, dass die progressiven Abgeordneten sich hinter ihm zusammenfinden und das gegnerische Lager langsam bröckelt. Das kann dauern, und sicher ist es natürlich keineswegs.