Regenwaldabholzung in Honduras: Das sind die Folgen des Kokainkonsums im Westen
Natur Mittelamerikas Wälder sterben, weil die USA und Europa nach Drogen gieren. Die Gewinne der daran beteiligten Kartelle fließen in Bodenspekulation und Rinderzucht – zu Lasten der indigenen Völker von „La Mosquitia“
Die planierte Piste kurz vor dem Ort Krausirpi zwischen dem, was einmal ein Regenwald war
Foto: Jeff Ernst/Guardian/eyevine
Nach mehrstündiger Fahrt auf einer inoffiziellen Straße stoppt der Wagen. Ringsherum fällt der Blick auf verrottende Überreste dessen, was einmal ein geschützter Regenwald im Nordosten von Honduras war. Eine von Ranken überwucherte Planierraupe und ein verschlossenes Tor tauchen auf. An einem Holzzaun hängt ein Plakat, auf dem für den Kauf von Zuchtrindern geworben wird. Der Fahrer – Pistole am Gürtel – steigt aus, um einen Schlüssel zu holen. Wo er steht, teilt sich der Weg. Nach rechts geht es zur indigenen Tawahka-Gemeinschaft im Ort Krausirpi. 2020 löste diese Straße eine Kontroverse aus. Sie schlug die erste Schneise durch den Wald, um die entlegene Gegend von Gracias a Dios zu erreichen. Der Abzweig nach links is
ist neueren Datums und führt zu einem nicht ausgeschilderten Ziel.Der Wald schützt vor KlimaerosionBeide Routen sind Teil eines Netzwerks illegaler Straßen, die La Mosquitia durchschneiden, ein indigenes Gebiet, das von der Karibikküste aus tief nach Honduras und Nicaragua hineinreicht. Es schließt den Mosquitia-Wald ein, der wie ein biologischer Korridor vier Naturschutzressorts verbindet. Wird weiter in dem Tempo abgeholzt wie bisher, könnte ein großer Teil dieses Waldes bis 2050 verschwunden sein, an vielen Orten schon früher.„In 20 bis 30 Jahren werden wir die ganze Tawahka-Asagni-Biosphäre und den Patuca-Nationalpark verloren haben. Und vom zentralen Gebiet des Rio-Plátano-Biotops dürfte nur wenig übrig sein“, glaubt Héctor Portillo, einer der führenden Biologen des Landes, über die drei Reservate. „Chaos ist auf vielen Ebenen programmiert. Wenn das Waldreservoir schrumpft, wird das soziale und gesundheitliche Wohlergehen einer Region beeinträchtigt.“ Man müsse außerdem an die Funktion des Waldes als Schutz gegen die Klimaerosion denken. Was davon momentan zerstört wird, geht fast nur auf das Konto von Drogenhändlern und ihren Geschäftspartnern, die – finanziert durch den Kokainkonsum in den USA und Europa – Straßen bauen und über die Rinderzucht wie Bodenspekulation riesige Geldsummen waschen.Kakofonie der StößelVor 20 Jahren hielten die Rauschgift-Kartelle Einzug in Mosquitia, eine Reaktion auf die Drogenbekämpfung in Mexiko und in der Karibik. Die Routen wurden weiter nach Zentralamerika hinein verlegt. Der Militärputsch von 2009 gegen den reformwilligen Präsidenten Manuel Zelaya tat ein Übriges, dass in Honduras ein „Goldenes Zeitalter“ des Drogenhandels anbrach. Holzfäller und Viehzüchter bauten erste Abschnitte illegaler Straßen und drangen in das Gebiet der indigenen Bevölkerung vor – in die Pufferzone des Biosphärenreservats Rio Plátano, das zum UNESCO-Welterbe gehört. Trassen begannen mit schwer bewachten Toren, von wo aus sich Bulldozer auf den Weg machten. „Einkommen aus dem Drogenhandel eröffnen viele Möglichkeiten, anderen zu schaden“, meint Kendra McSweeney, Professorin an der Ohio State University. „Man bekommt, was immer man will. Und alle in Mosquitia wollen Rinder halten. Normalerweise werden diese Leute ‚die Drogen-Neureichen‘ genannt.“ In der Region kennt man viele Namen für diese Klientel. Der passendste lautet: „los poderosos“ (die Mächtigen). Da in den vergangenen Jahren weniger Kokain durchgeschleust wurde, festigten sie ihre Stellung erst recht durch die Ausbeutung des Regenwaldes.Nach mehreren konservativen Regierungen übernahm in Honduras Anfang 2022 die Mitte-Links-Politikerin Xiomara Castro das Präsidentenamt mit dem Versprechen, gegen den Drogenhandel einzuschreiten und natürliche Ressourcen zu bewahren. Tatsächlich verlangsamte sich die Entwaldung, hörte aber nie auf. Mitglieder der Castro-Regierung bildeten ein „Grünes Bataillon“, das sich aus der Armee rekrutierte und beauftragt wurde, die Wälder zu schützen. Viel spricht dafür, dass nicht dieses Aufgebot den Holzeinschlag stoppte, sondern es die heftigen Regenfälle im Vorjahr schwieriger machten, illegale Straßen auszubauen. „Der Wald sah, dass ihn niemand beschützen würde, also schützte er sich selbst“, glaubt der Fahrer eines Jeeps.Im Dorf Krausirpi führt eine Schotterstraße an smaragdfarbenen Bäumen und einer Handvoll Holzlatten-Häusern auf Stelzen vorbei, dann um einen Friedhof herum und zum Fluss Patuca hinunter. Auf einem Plateau über dem Steilhang zum Ufer liegt ein Platz aus Zementblöcken, auf dem Laster mit Versorgungsgütern verkehren. Der einst völlig in sich gekehrte Ort mit gut tausend Einwohnern brummt heute wie eine quirlige Kleinstadt. Für Juan Pablo Suazo, Programmdirektor des nationalen Umweltschutzinstituts, ist der erste Besuch dieses Ortes seit 2019 ein Schock. Als er kurz vor Sonnenuntergang auf dem Marktplatz ein paar alte Freunde trifft, fasst er die Eindrücke der Hinfahrt so zusammen: „Es sieht aus, als wären auf dieses Gebiet Bomben abgeworfen worden.“Das Wasserkraftwerk und der FlusspegelAm folgenden Morgen beunruhigt ihn noch etwas anderes. Bei früheren Besuchen wurde er regelmäßig von einer hämmernden Kakofonie der Stößel geweckt. „Es machte mich wahnsinnig“, erinnert er sich. Diesmal ist nichts und niemand zu hören, der Reis schält. Ein großer Teil des Landes, auf dem der einmal angebaut wurde, ist verkauft. Das sei häufig durch Nötigung geschehen, erklären die Dorfbewohner – trotz kommunaler Landrechte, die den Verkauf oder die Weitergabe von Land untersagen. Jetzt kaufen die meisten ihren Reis in den sich ausbreitenden Geschäften.Das schwindelerregende Tempo des Wandels lässt die Einwohner nostalgisch an die Vergangenheit denken und Fehler bereuen. „Es gab genug zu essen. Überall hier im Tiefland bauten die Leute Getreide an oder gingen fischen“, erzählte der Lehrer Gil Cardona. „Aber weil man das nicht ausreichend zu schätzen wusste, stehen wir heute da, wo wir stehen.“ Es gab immer wieder Forderungen, die Drogen-Trassen zu zerstören. Nur wäre das ratsam, wenn die frühere Haupttransportroute, der Fluss Patuca, dazu zwingt, Motorboote durch schmale, gefährliche Passagen in flachem Wasser zu steuern? Der Wasserstand ist in diesem Jahr zu Anfang der Trockenzeit ungewöhnlich niedrig und erschwert das Befahren. Für das Sinken des Pegels macht Gil Cardona den Bau eines Wasserkraftwerkdamms oberhalb des Flusses sowie die Entwaldung verantwortlich.Außerhalb von Krausirpi repariert ein Bulldozer mit dem Emblem einer Vereinigung von Rinderzüchtern Schlaglöcher auf der Straße. Eine befahrbare Route garantiert den Bewohnern der Gegend eine deutlich schnellere Gesundheitsversorgung. Statt Stunden mit dem Boot zu fahren, erreichen die Tawahka in einer nur halbtägigen Autofahrt ein Krankenhaus in der Stadt Catacamas. Wichtig ist dies besonders nachts, wenn der niedrige Wasserpegel die Fahrt mit dem Boot zur riskanten Unternehmung macht. Dank der Straße überlebte kürzlich ein Mann aus dem Ort eine schwere Kopfverletzung.Die Soldaten des Grünen BataillonsEnde 2022 installierte die Regierung Castro, unterstützt von der US-Stiftung Wildlife Conservation Society und der EU, einen Kontrollposten in Krausirpi, um die Entwaldung zu bremsen – und die Straßen zu inspizieren. Rund ein Dutzend Soldaten des Grünen Bataillons kamen – aber ohne eigenen Wagen und ohne eigenes Boot, die für Patrouillen unerlässlich sind. Die Bewohner von Krausirpi freuten sich trotzdem, weil diese Mission wenigstens ihre Sicherheit verbesserte. Einige der sehr jungen Soldaten räumten ein, mögliche Gegner nicht bekämpfen zu wollen, weil man sich unterlegen fühle. „Was, wenn wir auf 20 oder 30 schwer bewaffnete Männer treffen?”, wurde gefragt. „Oder auf 50?“Entschiedene Gegenwehr kommt sowieso zu spät, weil im Tawahka-Territorium ein Teil des Waldes bereits verschwunden ist und mit ihm die althergebrachte Lebensweise eines indigenen Volkes. In den vergangenen 15 Jahren hätten „Poderosos“ Menschen aus vier Dorfgemeinschaften vertrieben, erzählt Juan Pablo Suazo. Viele Angehörige seien in die Städte geflohen. Manche versuchten nun sogar, in die USA auszuwandern. „Man hat uns vergessen und dem Kampf gegen mächtige Leute überlassen, gegen die wir als Minderheit keine Chance haben“, sagt der Lehrer Gil Cardona. Eine Erfahrung, die auch anderen Indigenen wie den Miskitus und den Garifuna-Communitys im honduranischen Mosquitia-Gebiet nicht erspart bleibt, eine Warnung für andere.Placeholder authorbio-1
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