Guatemala: Bernardo Arévalo hat eine Wahl gewonnen. Doch noch nicht die Präsidentschaft
Porträt Präsident ohne Partei: Die Mehrheit hat dem Korruptionsbekämpfer Bernardo Arévalo in Guatemala ein klares Mandat erteilt. Doch die oligarchischen Eliten leisten massiven Widerstand. Die Amtsübernahme im Januar ist nicht sicher
US-Politiker Bernie Sanders genannt wurde, ist der personifizierte David, der sich eines Goliath zu erwehren hat.Der Mann mit dem grauen Kinnbart will regieren, um ein arriviertes Establishment anzugreifen. Ein wachsender Teil der Bevölkerung unterstützt das, darunter viele indigene Gemeinden. Arévalo erscheint prädestiniert für eine solche Mission. Und das nicht allein, weil er der Sohn von Juan José Arévalo ist, dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas, der von 1945 bis 1951 im Amt war. Auch wegen seiner Biografie. Arévalo, 1958 geboren, wuchs im Exil in Uruguay, Mexiko und Venezuela auf, kam als 15-Jähriger zum ersten Mal nach Guatemala in ein von latentem Bürgerkrieg (1960 –1996) geschleiftes Land. Er studierte Soziologie und Philosophie in Tel Aviv und im niederländischen Utrecht, ging in den diplomatischen Dienst und arbeitete als Konsul in Israel, später als Botschafter in Spanien. 1996 beendete er seine diplomatische Karriere, machte sich einen Namen als UN-Berater, engagierte sich im United States Institute of Peace (USIP), das Konflikte weltweit erforscht, arbeitete an der Universität San Diego und wurde zum Buchautor.Die Proteste gegen den korrupten Otto Pérez Molina2015, längst zurück in Guatemala, nahm er an den Protesten gegen den bestechlichen Präsidenten Otto Pérez Molina teil, den erdrückende Beweise für den Missbrauch staatlicher Macht zum Rücktritt zwangen. Damals bestand Hoffnung, es könnte zu einer Wende kommen durch die Abkehr von traditionellen Eliten und einen Gewinn an Demokratie. Dann allerdings setzte sich im Oktober 2015 bei der fälligen Wahl mit Jimmy Morales eine Marionette der Militärs durch. Morales versprach, gegen Korruption zu kämpfen, erwies sich jedoch selbst als hochkorrupt. Der Fernsehkomiker hatte seine Wähler schlichtweg getäuscht, was Bernardo Arévalo veranlasste, mit einer Gruppe von Intellektuellen den Thinktank Semilla zu gründen, aus dem 2017 die Partei Movimiento Semilla („Bewegung Samenkorn“) hervorging.Sie fand in Arévalo ihre prägende Figur. Vor den Wahlen 2019 wurde der bereits als Spitzenkandidat gehandelt, ließ allerdings der ehemaligen Generalstaatsanwältin Thelma Aldana den Vortritt. Prinzipientreu und über Jahre das Gesicht einer unabhängigen Justiz, verhinderte das Establishment deren Kandidatur, was eine Flucht ins Exil zur Folge hatte. Arévalo hingegen kam ins Parlament, übernahm sein Mandat und wurde zum Unruhestifter. Er arbeitete in mehreren Ausschüssen, stellte unbequeme Fragen, deckte mit anderen Semilla-Abgeordneten Korruptionsfälle auf und stieg nicht zuletzt deshalb 2022 zum Generalsekretär seiner Partei auf, die ihn am 22. Januar 2023 zum Präsidentschaftskandidaten erklärte. Arévalo rollte das Feld der Bewerber von hinten auf und landete in der Stichwahl vom 20. August, die er gegen Sandra Torres, Exponentin des Establishments, mit 58 Prozent deutlich gewann.Kein Zufall, „Tío Bernie“ hat diejenigen hinter sich, die in Guatemala stets ganz unten in der Hierarchie standen: die Mitglieder indigener Gemeinden. Sie tragen den öffentlichen Protest, der seit Wochen der Forderung Nachdruck verleiht, dass der Klüngel um die hochkorrupte Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras das Feld räumt, die mit allen Tricks versucht, die Partei Semilla des designierten Präsidenten auszuschalten, und den Respekt für das Votum vom 20. August verweigert.Noch-Präsident Alejandro Giammattei musste mit indigenen Autoritäten redenNoch ist die von indigenen Autoritäten getragene Bewegung nur partiell wirksam. Immerhin hat der amtierende Präsident Alejandro Giammattei mit ihr direkt reden müssen – in einem hierarchischen und rassistischen Staat ein Etappenerfolg, der auch Arévalo erstaunt haben dürfte. Immerhin verhandeln die Führer basisdemokratisch geprägter indigener Gemeinschaften gegenwärtig mit den Wirtschaftsverbänden, unterstützt von Bernardo Arévalo, dessen Partei Semilla vom Wahlgericht Ende Oktober verboten wurde. Dadurch haben ihre 23 Abgeordneten im Parlament keinen Fraktionsstatus – ein Tiefschlag für den künftigen Präsidenten, der in den zurückliegenden Wochen wohl begriffen hat, dass Kernforderungen der indigenen Bewegung auch auf seine Regierungsagenda gehören. Dazu gehört das Bekenntnis zur „Consulta Previa“. Gemeint ist die vorherige Befragung und Zustimmung indigener Gemeinschaften bei großen Bergbau- oder Infrastrukturprojekten. Sich daran zu halten, kann Arévalo seinen Weg in den Präsidentenpalast sichern. Denn die Oligarchie will verhindern, dass er dort ankommt.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.