Abu Ghraib 2004: Die Folterbilder sind ein Schock für die USA
Zeitgeschichte Fotos zeigen Misshandlungen und sexualisierter Gewalt an Gefangenen im Irak. US-Soldaten haben offenbar Spaß daran, Menschen diesen Torturen auszusetzen. Als der Skandal auffliegt, ist die US-Militärführung um Schadensbegrenzung bemüht
Charles Graner (l.) war auf mehreren Folter-Fotos zu sehen; Graffiti im Nordosten Bagdads im Mai 2004
Foto: Jeff Mitchell/Reuters/dpa, Ali Jasim/Reuters/dpa (rechts)
Der Mann steht barfuß auf einer Kiste, eine Art Poncho hängt über seinen Schultern, sein Gesicht steckt hinter einer Kapuze, an seinen ausgestreckten Armen hängen Drähte. Vor zwanzig Jahren konfrontierten dieses Foto und zahlreiche weitere grausige Bilder die Weltöffentlichkeit mit Folter und Sadismus im US-Militärgefängnis von Abu Ghraib. Es lag gut 30 Kilometer von der irakischen Hauptstadt Bagdad entfernt und war gefürchtet als Foltergefängnis des ehemaligen Diktators Saddam Hussein. Jahre später hat der TV-Sender Al-Dschasira einen Mann namens Ali Shallal al-Qaysi interviewt. Er beschrieb jene Art der Folter, wie sie durch die Aufnahme festgehalten war. „Ich stand auf der Kiste. Sie war fest, nicht zerbrechlich. Sie haben Dr&
h die Aufnahme festgehalten war. „Ich stand auf der Kiste. Sie war fest, nicht zerbrechlich. Sie haben Drähte befestigt und mit Stromschocks angefangen. Ich weiß noch, wie ich mir auf die Zunge gebissen habe. Meine Augen fühlten sich an, als würden sie platzen. Ich fing hinter der Maske an zu bluten und bin runtergefallen.“Die ersten Folterbilder aus Abu Ghraib erschienen am 28. April 2004 im Programm 60 Minutes II des amerikanischen Fernsehsenders CBS. Das war gut ein Jahr nach dem Angriff der USA und einer „Koalition der Willigen“ auf den Irak, angeblich auf der Suche nach Saddam Husseins „Massenvernichtungswaffen“. Am 1. Mai 2003 hatte Präsident George W. Bush unter dem US-Banner sein „Mission Accomplished“ verkündet – Mission erledigt. Bald darauf griff im Irak ein Aufstand gegen die Besatzer um sich, US-Einheiten gerieten vermehrt unter Beschuss, was auch auf Abu Ghraib zutraf.Seymour Hershs Text über Abu GhraibZwei Tage nach dem Kanal CBS publizierte das Wochenmagazin New Yorker online Fotos und einen Text des investigativen Journalisten Seymour Hersh mit dem Titel Folter in Abu Ghraib. Der Bürgerrechtsverband ACLU erwirkte später die Freigabe Dutzender weiterer Aufnahmen. Die Bilder aus Abu Ghraib zeigten Soldaten und Soldatinnen, die offenbar Spaß haben an Misshandlungen und sexualisierter Gewalt. Man sah nackte Iraker, gezwungen zu entwürdigenden Handlungen, gefesselt und ohne Kleidung aufeinandergelegt, man sah eine in Eis gepackte Leiche mit einer grinsenden Soldatin. Im Interview mit dem CBS-Korrespondenten Dan Rather präsentierte Brigadegeneral Mark Kimmitt, stellvertretender Kommandeur für die Koalitionsoperationen im Irak, die offizielle Version. Was die Bilder zeigten, sei „verwerflich“, repräsentiere jedoch nicht „die 150.000 Militärs, die im Einsatz sind“. Die Soldaten auf den Fotos hätten „ihre Kameraden im Stich gelassen“. Denn Soldaten könnten selbst in Kriegsgefangenschaft geraten, und man erwarte dann, „dass unsere Soldaten gut behandelt werden vom Gegner, vom Feind“.Der Imageschaden war riesig. Der deutsche Außenminister Joschka Fischer reiste im Mai 2004 zu Gesprächen nach Washington mit seinem Amtskollegen Colin Powell und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice.Deutschland sei entsetzt über die Folterbilder. „Wir brauchen die moralische Führung der Vereinigten Staaten“, betonte der Grünen-Politiker. Seymour Hersh schrieb über die laufenden Ermittlungen in der Army zur Folter von Kriegsgefangenen in Abu Ghraib. Der Journalist, bekannt u.a. wegen seiner Enthüllungen über das Massaker im südvietnamesischen My Lai 1968, zitierte aus einem von Generalmajor Antonio M. Taguba verfassten internen Ermittlungsbericht. Darin war die Rede von „sadistischen, offensichtlichen und mutwilligen kriminellen Missbräuchen“. Das bezog sich auf Schläge, Vergewaltigungsdrohungen und den Einsatz scharfer Kampfhunde, um Gefangene einzuschüchtern. Weiter hieß es, während der Ermittlungen dürften die Bilder „irgendwie“ zu CBS gelangt sein.Dass es dazu kam, war dem Soldaten Joe Darby zu verdanken, einem Mann mit Schreibtischjob in Abu Ghraib aus den Allegheny Mountains in Maryland, wo gute Jobs rar sind – Patriotismus und die Wertschätzung des Militärs groß. Eigentlich wollte Darby anonym bleiben, doch Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erwähnte seinen Namen bei einer Kongressanhörung. Viele Soldaten hätten ihre Pflicht getan. Einer namens Joseph Darby habe Vorgesetzte über die Misshandlungen informiert, so Rumsfeld. Auch Seymour Hersh hat Darby namentlich genannt.Der gab später Interviews. Er habe nach diesen Bekanntmachungen in seiner Einheit um sein Leben gefürchtet und mit einer Pistole unter dem Kopfkissen geschlafen. Die Bilder habe er von einem Kameraden namens Charles Graner bekommen, der auf mehreren Fotos zu sehen war. Graner habe vermutlich vergessen, dass auch die Folterszenen auf der CD waren, spekulierte Darby im Magazin GQ. „Um ehrlich zu sein, zuerst habe ich gedacht, die sind doch ziemlich lustig. Die Pyramide von nackten Irakern, wenn man das zum ersten Mal sieht, ist urkomisch. Ich habe einfach gelacht, als die plötzlich auftauchten.“ Doch andere Aufnahmen hätten ihm zu schaffen gemacht. Von Gefangenen, die geschlagen werden, „oder das Bild mit einem nackten Iraker, der vor einem anderen nackten Iraker kniet“. Man habe die Gefangenen auf diese Weise erkennbar gedemütigt. Darby übergab die CD dem Army-Ermittlungsdienst CID.Simuliertes ErtränkenDie von der Bush-Regierung versprochene gründliche Aufklärung der Untaten blieb aus. Mark Danner, der Herausgeber des Buches Abu Ghraib. The Politics of Torture aus dem Jahr 2004, fasste in einem Rundfunkinterview zusammen: Die offiziellen Ermittlungen seien – und es gäbe ein Dutzend davon, je nachdem, wie man zähle – „faszinierende Übungen bürokratischer Schadensbegrenzung“. Man verhängte zumeist geringe Haftstrafen. Sie betrafen ungefähr ein Dutzend Soldatinnen und Soldaten. Generalin Janis Karpinski, zuständig für die Militärpolizei in Abu Ghraib, wurde degradiert.Joseph Darby war nicht beeindruckt von seiner Vorgesetzten. In seinen fünf Monaten in Abu Ghraib habe er Karpinski höchstens zweimal gesehen. Sie sei nur bei hohem Besuch gekommen. „Sie wurde gebrieft, hat einen Rundgang angeführt und flog wieder ab. Ich denke, sie wollte nicht in einem überfüllten, gewalttätigen Gefängnis sein, das ständig mit Granatwerfern beschossen wurde.“ Karpinski hatte im Oktober 2003, vor den Fotos, sogar mit CBS über Abu Ghraib gesprochen. Man richte sich nach internationalen Standards, beteuerte die Generalin. „Es ist die beste Versorgung, die in einem Gefängnis erhältlich ist.“Die offizielle Version der Gräueltaten sei sehr effektiv gewesen, urteilte Buchautor Mark Danner. Es sei eine Geschichte entstanden, mit der „Amerikaner leben können“. Amerikaner hätten nicht glauben wollen, dass Amerikaner Gefangene foltern. Man könne aber mit einer Deutung leben, wonach einige unbeaufsichtigte junge Militärpolizisten nachts widerspenstige Gefangene misshandelt hätten. Das sei schrecklich, aber nun einmal passiert, weil die Vorgesetzten nicht aufgepasst hätten.Ähnliche FolterszenenAfghanistanDie wirklichen Umstände waren etwas anders. Folter bliebt nicht Abu Ghraib vorbehalten. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch urteilte, der „einzige außergewöhnliche Aspekt“ der Misshandlungen in Abu Ghraib dürfte gewesen sein, dass sie fotografiert wurden. In Afghanistan hätten von US-Einheiten festgesetzte Gefangene ausgesagt, dass sie bereits 2002 ähnlich behandelt worden seien.Im Januar 2002 hatte die Regierung von George W. Bush das Gefangenenlager Guantanamo eingerichtet, angeblich für die gefährlichsten der Terroristen und als Antwort auf den Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001. Was heute bekannt ist: Seinerzeit haben Regierungsvertreter Schriftstücke entworfen, um die Folter von Gefangenen aus Afghanistan zu rechtfertigen. Diese stünden nicht unter dem Schutz der Genfer Konventionen, hieß es.Die Geheimgefängnisse der CIA in Polen, Litauen, Rumänien und Thailand2005 erschienen die ersten Medienberichte über CIA-Geheimgefängnisse im Ausland – in Afghanistan, Polen, Litauen, Rumänien und Thailand. Bush räumte deren Existenz 2006 ein. Er könne die Verhörmethoden nicht beschreiben. „Wenn ich das täte, würde es den Terroristen helfen, sich den Fragen zu widersetzen.“ Die Vorgehensweise sei hart, gesetzeskonform und notwendig. Ein Senatsausschuss hat 2014 einen mehr als 500 Seiten langen Bericht über brutale CIA-Verhörmethoden vorgelegt, darunter simuliertes Ertränken, Stresspositionen, Zwangsernährung, Schläge, Einsperren in Kisten, Schlafentzug, angedrohte Vergewaltigungen. Sie hätten keine nützlichen Informationen erbracht. Bis heute ist kein Politiker, kein CIA-Agent und kein hochrangiger Militär dafür zur Verantwortung gezogen worden.Die Army hat dem Soldaten Joe Darby nach der Rückkehr aus dem Irak eine neue Adresse angeboten. In seinem Heimatort war die Gefahr zu groß. Die Washington Post berichtete von einer feindseligen Atmosphäre. Darby sei ein Verräter, hieß es. Im Sender CNN sagte Darby, er habe vorübergehend Personenschutz erhalten von der Army. Selbst manche Familienmitglieder hätten sich gegen ihn gestellt.Eingebetteter Medieninhalt
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