Attentat auf John F. Kennedy: Die Version vom Einzeltäter überzeugt bis heute nicht
Zeitgeschichte Dallas 1963: Lee Harvey Oswald soll John F. Kennedy laut der offiziellen Untersuchungskommission vor 60 Jahren erschossen haben. Doch passt der Mann überhaupt nicht zum Ausmaß der Katastrophe, die er verursacht hat
Wer hat von wo welche Kugel abgefeuert? Dazu stellt der Anwalt und Politiker Mark Lane (oben) jahrelang kritische Fragen
Fotos: United Archives/dpa, Corbis/Getty Images (rechts)
Was hat zu diesen Attentat am 22. November 1963 motiviert, wer ist dafür verantwortlich? Die bis heute gegebenen Antworten befriedigen nicht. Besonders die Identität des Mannes, der geschossen haben soll, will nicht zum Ausmaß der Katastrophe passen. Doch auch alternative Thesen sind alles andere als belastbar.
Robert Habeck glaubt an eine Verschwörung
Ein 24-jähriger Gelegenheitsarbeiter und einstiger Marineinfanterist, der eine Zeit lang in der Sowjetunion Zuflucht suchte, nach eigenen Angaben ein Marxist, aber kein Kommunist war, soll die Geschichte der USA verändert haben. Lee Harvey Oswald hat laut der offiziellen Untersuchungskommission John F. Kennedy erschossen. Was man über diesen Täter und die Mordthese denkt, hängt auch vom Weltbild ab:
ch vom Weltbild ab: Gewiss hat er geschossen, höchstwahrscheinlich, vermutlich, aber wirklich allein? Viele Menschen glauben nicht an die These der mit den Nachforschungen betrauten Warren-Kommission vom Einzeltäter. (So erklärte der Grünen-Politiker Robert Habeck 2018 im Freitag, er halte die Verschwörungstheorie für wahr, dass Kennedy „nicht allein von Lee Harvey Oswald ermordet wurde“.)Seit dem Attentat erscheinen hartnäckig Informationen, die Zweifel streuen – seien es zuvor unveröffentlichte Geheimakten oder wie vor wenigen Wochen das Buch mit dem Titel The Final Witness (Der letzte Zeuge), geschrieben von einem ehemaligen Personenschützer Kennedys. Der Secret-Service-Mann Paul Landis war beim Mord nur wenige Meter entfernt von der offenen Limousine mit Kennedy und dem texanischen Gouverneur John Connally, der ebenfalls verletzt wurde.Für Laien ist die Debatte unübersichtlich. Skeptiker verweisen auf den Umstand, dass US-Regierungen einen Teil der Ermittlungsakten lange geheim hielten. Nach Angaben des US-Nationalarchivs sind heute mehr als fünf Millionen Seiten Material zugänglich. Die 486 Einzelbilder des Acht-Millimeter-Films vom Attentat – aufgenommen von Kennedy-Fan Adam Zapruder und 26,6 Sekunden lang – sind endlos untersucht und interpretiert worden. Stapel von Büchern warnen, dass der Mord gar nicht so stattgefunden haben könne, wie das die Regierungskommission behauptet.Und wer könnte ein Motiv gehabt haben? Jemand weit rechts oder eher links?Lyndon B. Johnson? Die CIA? Fidel Castro?Das Potenzial ist reichhaltig. Waren es Kräfte aus dem militärisch-industriellen Komplex, die unter Kennedy einen Linksrutsch befürchteten? Vizepräsident Lyndon B. Johnson? Vielleicht die CIA? Oder war es Fidel Castro, um sich für die Mordanschläge der CIA zu rächen? Kommen Exilkubaner in Betracht, empört über Kennedys mangelndes Durchgreifen bei der fehlgeschlagenen Schweinebucht-Invasion 1961? Und ganz bizarr: Der Vater des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ted Cruz sei kurz vor dem Mord mit Oswald zusammengetroffen, sagte Donald Trump 2016 im Wahlkampf.Personenschützer Paul Landis erregte Aufmerksamkeit, als er sich zum Auffinden von einer der drei Kugeln äußerte, die auf Kennedy gefeuert wurden. Eine erste verfehlte ihr Ziel, die dritte zerschmetterte Kennedys Hinterkopf und war tödlich. Laut Warren-Report wurde die zweite Kugel auf der Bahre gefunden, mit der Gouverneur Connally ins Hospital eingeliefert wurde. Nein, sagt Landis, er habe diese Kugel im Rücksitz der Präsidentenlimousine entdeckt. Um dieses Geschoss versammeln sich die Skeptiker und halten es für unmöglich, dass dieses – als „magisch“ verspottete – Projektil Kennedys Hals durchschlagen und dann Connally am Handgelenk und Oberschenkel verletzt habe. Ein zweiter Schütze müsse am Werk gewesen sein. Landis’ Behauptung verzichtet auf Schlussfolgerungen.Gegenwärtig heißt es häufig, die USA seien gespalten wie nie zuvor. Gespalten war die Nation schon damals. Bei der Wahl am 8. November 1960 bekam Kennedy 49,7 Prozent der Stimmen, sein republikanischer Gegner Richard Nixon lag bei 49,5. Das Ergebnis stand erst am Folgetag fest. Manche Republikaner forderten, Nixon solle Nachzählungen verlangen. Es ging viel um Religion und Patriotismus: Kennedy war der erste römisch-katholische Präsident in einer durch und durch protestantischen Nation. Ein potenziell Papst-Höriger dürfe nicht ins Weiße Haus, hieß es.In Dallas eckte John F. Kennedy anDas Attentat geschah im texanischen Dallas. Als es dazu kam, war die nächste Präsidentenwahl noch ein Jahr entfernt und der große Staat im Süden ein Problem für die Demokraten. Kennedy, der junge Politiker aus Massachusetts, eckte dort an. Die Reise zusammen mit Vizepräsident Johnson, einem texanischen Urgestein, und dem demokratischen Gouverneur von Texas, John Connally, sollte Geschlossenheit zeigen. Am Tag des Anschlags druckte die Zeitung Dallas Morning News ein ganzseitiges „Willkommen Mr. Kennedy in Dallas“ als Anzeige „amerikanisch denkender“ Bürger. Kein freundlicher Gruß, es wurde moniert, Kennedy tue zu wenig gegen Ultralinke, er habe die Monroe-Doktrin und damit das Recht der USA aufgegeben, jederzeit in Lateinamerika intervenieren zu können. Und es sei beunruhigend, dass sich Gus Hall, in den USA Chef der KP, für Kennedys Wiederwahl ausgesprochen hätte.Präsident und First Lady Jackie Kennedy landeten vormittags in Dallas. Von Feindseligkeit war wenig zu spüren. „Es hat alles so wunderschön angefangen“, erzählte Lyndon B. Johnsons Ehefrau Bird Johnson später in ihrem Audiotagebuch. Schaulustige hätten an den Straßen gestanden. „Viele, viele Kinder, alle haben sich gefreut – Plakate, Konfetti, Bewohner winkten aus den Fenstern“, als Kennedys Limousine vorbeifuhr. Das Ehepaar Johnson saß im zweiten Wagen, dazwischen ein Fahrzeug des Secret Service. Und dann plötzlich ein „scharfes, lautes Geräusch …, ein Schuss, einen Moment später nochmals zwei Schüsse, sehr nahe beieinander“, so Bird Johnson. Der Konvoi sei mit Hochgeschwindigkeit weggefahren und ein paar Minuten später am Parkland Memorial Hospital angekommen. Etwas sei in der Wagenkolonne passiert, berichtete ein lokaler Hörfunkreporter live. Malcolm Kilduff, Pressesprecher des Weißen Hauses, trat gegen 13.35 Uhr im Krankenhaus vor die Kameras und sagte: „Präsident John F. Kennedy ist ungefähr um 13 Uhr zentraler Standardzeit heute hier in Texas gestorben.“ Lee Harvey Oswald lebte zwei Jahre in MinskAls mutmaßlicher Täter wurde kurz darauf Lee Harvey Oswald festgenommen. Er war in dem Lagerhaus für Schulbücher in Dallas beschäftigt, von dem aus auf Kennedy geschossen worden war. Vor seiner Festnahme erschoss Oswald einen Polizisten. Kritiker der offiziellen Mordthese haben Schwierigkeiten, dem Tatablauf zu glauben. Konnte Oswald so zielsicher vom 6. Stock auf ein fahrendes Auto schießen? Warum hätte er das tun sollen? Schließlich, das große Enigma ist Oswald selber. Geboren 1939, angeblich hatte er eine zerrüttete Kindheit und ging 1956 zu den Marineinfanteristen, wo er Russisch lernte und angeblich mit pro-sowjetischen Äußerungen auffiel. 1959 wurde er ausgemustert, reiste in die Sowjetunion und wollte mutmaßlich übertreten. Oswald blieb etwas mehr als zwei Jahre vornehmlich in Minsk.Irgendwie passt vieles nicht zusammen. Zurück in den USA engagierte sich Oswald in einer Solidaritätsgruppe mit dem revolutionären Kuba. Das „Marxist, aber kein Kommunist“-Zitat stammt aus einem Fernsehinterview, das Owald 1963 in New Orleans gab. Er habe marxistische Philosophie studiert, belehrte Oswald den Reporter, aber das bedeute nicht, dass er Kommunist sei. Es gebe da einen großen Unterschied.Oswald hat seinen Marx und seine Haltung zu Kennedy nie erläutern können. Nach dem Mord wurde der Festgenommene von einem Journalisten gefragt, ob er Kennedy getötet habe. Nein! Und niemand habe ihm das vorgeworfen, so Oswald. Er habe davon von einem Zeitungsreporter erfahren. Am 24. November sollte er von der Polizeistation in Dallas zum Gefängnis transportiert werden. Im Gedränge von Polizisten und Reportern stürzte ein Mann auf Oswald zu und schoss. Die Kameras liefen. Der Mörder war ein Nachtclubbesitzer namens Jack Ruby, sein Motiv blieb undurchsichtig. Ruby wurde zum Tode verurteilt. Die Strafe wegen Verfahrensfehlern jedoch aufgehoben. Vor einem zweiten Prozess starb Ruby 1967 im Parkland Memorial Hospital an einer Lungenembolie, wie es in Medienberichten hieß.
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