Lewinsky-Affäre: Bill Clinton droht Anfang 1999 die Amtsenthebung
Zeitgeschichte Vor 25 Jahren wird US-Präsident Bill Clinton vorgeworfen, er habe bei einem Zivilverfahren unter Eid über seine Beziehung zur Praktikantin Monica Lewinsky gelogen und so die Justiz behindert. Sondermittler Ken Starr tritt in Aktion
Als Clinton dann eine „unangemessene und unschickliche Beziehung zu Miss Lewinsky“ gestand: 17. August 1998, ein Elektrofachmarkt in Kalifornien
Foto: John Hayes/ap/dpa
Trotz Donald Trumps Schweigezahlung an Stormy Daniels und des Gerichtsentscheids, der Ex-Präsident müsse der Kolumnistin E. Jean Carroll wegen eines sexuellen Übergriffs fünf Millionen Dollar Entschädigung zahlen: Weiße evangelikale Christen verharren im harten Kern der Trump-Wähler. Vor 25 Jahren sahen diese Gläubigen Moralisches und Sittliches ganz anders. Es ging um Verfehlungen des demokratischen Präsidenten Bill Clinton (1993 – 2001) und seine Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky – Grund genug für ein Amtsenthebungsverfahren.
Die meisten Demokraten hielten zu Bill Clinton
Wer keine „moralische Integrität“ habe, sei nicht qualifiziert für das Weiße Haus, hieß es. Die erstmals vom Int
ie erstmals vom Internet befeuerten Medien liefen auf voyeuristischen Hochtouren mit Details von den Zusammenkünften des 49-jährigen Clinton mit einer 27 Jahre jüngeren Frau. Die Rechten machten auf moralisch und professionelle Komiker sich lustig. Lewinsky wurde Objekt von Spott und Gehässigkeit. Die meisten Demokraten hielten zu Clinton. Auch viele Frauen. Es war komplex. Clinton trat für Anliegen ein, die vielen Frauen wichtig waren. Das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gehörte dazu. „Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie ein zu 90 Prozent männlicher Kongress versucht, einen Präsidenten abzusetzen, der von Frauen gewählt worden ist“, meinte die Feministin Gloria Steinem.Lewinsky hat vor ein paar Jahren ausführlich über diesen Moment ihres Lebens gesprochen. Clinton habe sich „vollkommen unangemessen verhalten“, wisse sie im Nachhinein, so Lewinsky 2021 bei CNN. Den Machtpoker habe sie damals gar nicht richtig verstanden. Die Bilder vom Ritual des Impeachment-Starts am 7. Januar 1999 liefen live im Fernsehen. Dreizehn republikanische Abgeordnete marschierten als Ankläger vom Repräsentantenhaus zum Senat, darunter der Abgeordnete Lindsey Graham (heute Senator und Anführer der Widerstandes gegen die Amtsenthebungsverfahren, wie sie Donald Trump 2019 und 2021 ereilten).„Travelgate“ und „Troopergate“TV-Moderatoren nannten diesen 7. Januar einen „bedeutungsvollen Tag“, denn bei einem Impeachment werden dem jeweiligen Präsidenten „schwere Verbrechen und Vergehen“ zur Last gelegt, melodramatisch „high crimes and misdemeanors“ genannt. Was darunter fällt, bestimmen die Ankläger. So wurde Clinton vorgeworfen, er habe bei einem separaten Zivilverfahren über sexuelle Belästigung unter Eid über seine Beziehung zu Lewinsky gelogen und so die Justiz behindert. Gelogen hatte er definitiv, auch in der Öffentlichkeit, mit der viel zitierten Behauptung, „Ich hatte keine sexuelle Beziehung mit dieser Frau, Miss Lewinsky“. Letztendlich fand sich im Senat bei der Abstimmung am 12. Februar 1999 nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Clinton war dennoch angeschlagen. Er hatte bei seiner Befragung unter anderem erörtern müssen, wie er Geschlechtsverkehr definiere.Brett Kavanaugh, heute von Donald Trump ernannter Bundesrichter, assistierte damals Ken StarrEin Vierteljahrhundert später – im trumpistischen Zeitalter – haben sich wilde und bizarre Theorien von der Verschwörung eines „tiefen Staates“, von gestohlenen Wahlen und einer geheimen Elite, die angeblich auch Kinder entführt, in die Köpfe vieler Amerikaner gefressen. Vorläufer dazu findet man in der Clinton-Zeit, als konservative Medien außer sich waren. Die Namen der vermeintlichen Skandale sind heute fast vergessen, darunter „Travelgate“, als es darum ging, dass Beschäftigte im für Reiseorganisation zuständigen Büro des Weißen Hauses angeblich unrechtmäßig entlassen wurden, um Clintons Freunde zu begünstigen. Oder „Filegate“, weil First Lady Hillary Clinton und andere FBI-Dokumente unrechtmäßig gelesen hätten. Schließlich „Troopergate“, als Beamte der State Troopers, einer Sicherheitsbehörde in Arkansas, behaupteten, sie hätten Bill Clinton in seiner Zeit als Gouverneur Frauen zum Sex beschafft.Die Top-Geschichte war die vom Tod des Clinton-Vertrauten, Rechtsanwalt Vince Foster, dessen Leichnam im Sommer 1993 mit einer Schusswunde im Kopf und einer Pistole in der Hand in einem Park gefunden wurde. Die Gerüchteküche bezweifelte einen Suizid, wie das die Obduktion ergeben hatte. Dauerbrenner aber war „Whitewater“, ein Konvolut fragwürdiger Darlehen und Immobiliengeschäfte in Arkansas, bei denen Bill und Hillary Clinton engagiert gewesen sein sollen. Ein Sonderermittler namens Ken Starr untersuchte „Whitewater“ und einiges mehr.Das führt zu Monica Lewinsky. Starr, assistiert von einem jungen Anwalt namens Brett Kavanaugh, der später von Donald Trump zum Obersten Richter ernannt wurde, fand offenbar wenig Belastbares. Im Januar 1998 jedoch erzielte er einen Volltreffer. Die Pentagon-Angestellte Linda Tripp, zuvor beschäftigt im Weißen Haus, wurde in Starrs Büro vorstellig. Monica hatte sich ihrer vermeintlichen Freundin Linda anvertraut und Details verraten über ihre Affäre mit dem Präsidenten. Tripp hatte heimlich Dutzende von Telefonaten aufgezeichnet, die nun an Starr gingen. Bei einer Pressekonferenz im Juli 1998 behauptete Tripp, sie habe schlicht und einfach die Wahrheit sagen wollen. Aus den Aufnahmen ging etwa hervor, dass Tripp Lewinsky geraten hatte, das blaue Kleid mit den Spermaflecken des Präsidenten nicht zu waschen. Tripp soll geplant haben, ein Buch zu schreiben über die „bedauernswerten Zustände“ im Weißen Haus und wurde von einer prominenten rechtslastigen Literaturagentin beraten.Ken Starr legt los, dank Linda Tripps MaterialStarr konnte nicht zuletzt deshalb loslegen, weil Tripps Material im Widerspruch zu Clintons unter Eid abgegebenen Aussagen bei dem laufenden Zivilprozess wegen sexueller Belästigung stand. Starrs mehr als 400 Seiten langer Bericht hat „Whitewater“ kaum erwähnt, stattdessen im Amtsenglisch und mit pornografischer Akribie die Beziehung von Clinton und Lewinsky beschrieben. Das Opus diente den Republikanern als Fundament für die Impeachment-Anklage.Warum Bill und später Hillary Clinton so gehasst wurden von den Republikanern, ist schwer greifbar. Möglicherweise wurden die beiden als Personifizierung des gesellschaftlichen Wandels der 1970er-Jahre gesehen. Der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Bill war für das Establishment ein Prolet und ungeeignet für hohe Ämter. Tatsächlich war er charismatisch und konnte Menschen mit treuem Blick glaubhaft versichern, er „fühle ihren Schmerz“, und sie glaubten ihm. 1992 dann konnte Clinton Ronald Reagans Erben George H. W. Bush vom Sockel stoßen, den Sprössling einer alten Elite. Clinton war eine Art Wohlstandspräsident nach dem Kalten Krieg. Seine politischen Handlungen waren alles andere als links. Die „Ära der großen Regierung“ sei vorbei, betonte er zuweilen und setzte auf Freihandel und Privatisierung, Liberalisierung des Bankwesens und ein verschärftes Strafrecht. Clintons Gefolgsleute sprachen vom „dritten Weg“ zwischen den Republikanern und dem sozialdemokratisch geprägten New Deal, die auf Präsident Franklin Roosevelt zurückgehende Politik der 1930er-Jahre. Clinton selbst hat nach seinen Skandalen in der Demokratischen Partei an Status verloren – für seine politische Agenda traf das nicht zu.Gut vier Fünftel der weißen Evangelikalen stimmten für Donald TrumpInzwischen haben die republikanischen Sittenwächter dazugelernt. Mehrheitsfähig war ihre Kampagne gegen Clinton letztlich nicht, der stets betonte, es gehe seinen Gegnern nicht um die Sache selbst, sondern um Macht; sie wollten ihm schaden. Für viele im rechtschristlichen Milieu hat mittlerweile der Kodex von Moral und Familienwerten an Bedeutung verloren. Zu gut vier Fünfteln stimmen weiße Evangelikale für Trump, finden sie doch in ihm einen Politiker, der ihnen Nähe zur Macht und selbst Macht verspricht. Seine Verfehlungen werden hingenommen.Der 2022 verstorbene Ken Starr ist nach seinen Ermittlungen nicht zum Olymp der US-Justiz vorgestoßen. 2007 verteidigte er den Investor und Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, der 2019 in einer Gefängniszelle im New Yorker Bezirk Manhattan starb. 2010 wurde Starr zum Präsidenten der baptistischen Baylor-Universität berufen. 2016 trat er zurück, nachdem eine interne Untersuchung ergab, dass die Hochschule zahlreiche Vorfälle sexueller Gewalt gegen Studentinnen ignoriert hatte. 2020 diente Starr als Experte gegen ein Impeachment von Donald Trump. Ein solches Verfahren sei eine politische Waffe geworden, klagte ausgerechnet Starr: Man lebe geradezu in einer „Ära des Impeachments“.
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