Wie Kamala Harris für Joe Bidens Wiederwahl zum Problem werden könnte
USA Manche Demokrat*innen werden, bei dem Gedanken an die nicht eben erfolgsverwöhnte Wahlkämpferin Kamala Harris, nervös. Schließlich könnten diejenigen, die 2024 Joe Biden wählen, schlussendlich ihr ins Amt der Präsidentin helfen
In seinen 80-jährigen Händen liegt die Zukunft der Vereinigten Staaten
Foto: Sarahbeth Maney/NYT/Redux/Laif
Vizepräsidentin oder -präsident zu sein, ist ein irgendwie undankbarer Job für einen US-Politiker. Dann heißt es, loyal im Hintergrund zu bleiben und auf gar keinen Fall durchblicken zu lassen, man wäre lieber die Nr. 1. Und was genau sind die Aufgaben? Eine heute eher vergessene Tatsache: Von 1945 bis 1949 gab es in den Vereinigten Staaten mit Harry Truman einen Präsidenten, doch keinen Vizepräsidenten. Die Nation hat das überstanden. Seit Joe Bidens Ankündigung, er wolle erneut kandidieren, blickt die US-Öffentlichkeit mit scharfem Auge auf Vizepräsidentin Kamala Harris.
Hinterhof Silicon Valley
Auf demokratischer Seite wird es zaghaft ausgesprochen, dass der 80-jährige Biden die Lebenserwartung eines weißen Mannes, die derze
n Mannes, die derzeit in den USA bei 73,7 Jahren liegt, gewaltig überbieten müsste, wollte er es bis zum Ende einer zweiten Amtszeit schaffen. Die republikanische Anwärterin Nikki Haley sieht Biden offenbar schon bald im Sarg oder im betreuten Wohnen. „Wenn Sie Joe Biden wählen, setzen Sie auf eine Präsidentin Harris, weil es unwahrscheinlich ist, dass er es bis zum Alter von 86 bringt, denke ich“, sagte Haley in der Sendung Fox News. Bei den Kommentatoren gibt es Meinungen im Überfluss, ob Kamala Harris (58) gut ist für die Demokraten oder nicht. Hat sie eine Machtbasis in der Partei? Bei Geldgebern? Würde sie unentschlossene Wähler anziehen? Und eine schwarze Frau, die kommt vielerorts nicht unbedingt an. Die weiße Hillary Clinton hat 2016 aus diversen Gründen gegen Donald Trump verloren, einer war Sexismus in einem Teil der Wählerschaft, der mehrheitlich lieber einen schamlosen Sexisten wollte als eine Frau. Es ist nicht klar erkennbar, was für eine Präsidentin Harris spricht, die Juristin und frühere Senatorin. Die Vizepräsidentschaft mag sie zum Understatement zwingen, doch hat sich Harris noch nie allzu weit vorgewagt.Das Weiße Haus verkündet regelmäßig, was Kamala Harris so macht: Briefing mit lokalen Politikern und Gewerkschaften über die Schuldenkrise, Ansprache bei einem Verband für Frauen in der Politik, Rede bei der Abschlussfeier in der Militärakademie in West Point (New York), in Georgia Besuch einer Fabrik für Solarzellen und in Little Falls (New Jersey) eines Kindergartens. Schließlich spricht sie vor Großspendern in San Francisco. Ende März war sie auf einer mehrtägigen Afrikareise, sie habe sich seit Amtsantritt mit mehr als einhundert führenden Politikern aus aller Welt getroffen, heißt es.Harris war Bezirksstaatsanwältin in San Francisco zwischen 2004 und 2011, danach Generalstaatsanwältin von Kalifornien. Sie beschrieb sich als hart gegen Verbrechen, doch auch als „progressive Staatsanwältin“, die sich für Alternativen zu Freiheitsstrafen und für eine Polizeiarbeit einsetzt, die – gestützt auf Daten – die Wahrscheinlichkeit von Straftaten berechnet. Silicon Valley ist Harris’ Hinterhof, aus Silicon Valley kamen Spenden für die Karriere. Ihr Schwager und informeller Berater Tony West ist Chefjustiziar beim Fahrdienstleister Uber. Fotos zeigen Harris 2015 zusammen mit Facebook-CEO Sheryl Sandberg. 2016 wählte der Westküstenstaat Kalifornien Kamala Harris zur Senatorin. Ihr gelang der Spagat zwischen Wirtschaftsinteressen und Wählern, die auf eine Politikerin mit einer für hohe Ämter untypischen Identität und Lebensgeschichte hofften. Harris’ 2009 verstorbene Mutter stammte aus Indien. Ihr Vater, ein emeritierter Wirtschaftsprofessor, kommt aus Jamaika.2019 wagte sie, zusammen mit einem guten Dutzend Demokraten und Demokratinnen – u. a. Joe Biden, Bernie Sanders, Elizabeth Warren, Michael Bloomberg, Amy Klobuchar und Pete Buttigieg – die Präsidentschaftskandidatur. Doch war ihre Kampagne ein ziemliches Desaster, ohne klare profilschaffende und -schärfende Linien. Noch vor den ersten Vorwahlen machte Harris Schluss. Ihre Vergangenheit als schlechte Wahlkämpferin macht die Demokraten heute zuweilen nervös. Bekanntermaßen hat 2020 Joe Biden gewonnen. Doch wurde überdeutlich für die Demokratische Partei, die eher von Frauen gewählt wird, dass es so nicht weitergehen kann mit der Männerwirtschaft in der Führungsetage, in der Frauen trotz aller Kompetenz selten zum Zug kommen. Im Frühjahr 2020 versprach Kandidat Biden, er werde eine Frau für die Vizepräsidentschaft nominieren. Sanders zog damals nach. Auch er werde „höchstwahrscheinlich“ eine Politikerin ernennen, freilich müsse es „eine progressive Frau sein“.Bidens Entscheidung für Harris kam überraschend. Bei einer Fernsehdebatte im Juni 2019 hatte sie für Aufsehen gesorgt mit einem dramatischen Angriff auf Biden, der in den 1970er Jahren nicht genug für die Rassenintegration an den Schulen getan habe. In Kalifornien hätte ein kleines Mädchen deshalb um Haaresbreite keine bessere Ausbildung bekommen, so Harris. „Dieses kleine Mädchen war ich.“ Biden war anscheinend sauer, erkannte dann aber, dass jemand wie Harris mit ihren Verbindungen und ihrer Identität hilfreich sein könnte. Inhaltlich waren beide ohnehin nicht so weit voneinander entfernt.Ungeschriebenes GesetzVizepräsident zu sein, ist nicht automatisch das Ticket zum Erfolg, aber karrierefördernd. Ins Weiße Haus geschafft haben es die Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson 1963 nach dem Attentat auf John F. Kennedy, Dwight Eisenhowers Vize Richard Nixon bei der Präsidentenwahl 1969 und Gerald Ford nach Nixons erzwungenem Rücktritt 1974, dazu Ronald Reagans Vize George H.W. Bush (1988) und Barack Obamas Vize Biden (2020). Kein Glück hatten, obwohl sie wollten, Al Gore (2000), Walter Mondale (1984) und Hubert Humphrey (1968).Dass die USA 1945, nach dem Tod von Franklin D. Roosevelt, keinen Vizepräsidenten hatten, weil Truman Präsident wurde, ging darauf zurück, dass es seinerzeit noch keinen Mechanismus gab, um einen neuen zu ernennen. Als ungeschriebenes Gesetz wirkt dagegen, dass bei Kampagnen zur Wiederwahl Präsidenten bei ihren Stellvertretern bleiben. Für eine Ausnahme sorgten die Demokraten 1944. Roosevelts Nr. 2, Henry Wallace, galt den meisten als zu links. Roosevelt stellte das Amt zur Abstimmung beim Parteikonvent, der sich für Truman entschied. Schwer vorstellbar, dass Biden versuchen sollte, Harris gegen deren Willen zu ersetzen.