Hygienisch, klangschön, frei: Ein Hoch aufs Open-Air-Konzert

Musikkolumne Konzerte unter freiem Himmel sind jetzt nicht nur pandemiekonform – sie sind obendrein noch links
Ausgabe 28/2022
Nichts ist schöner, als in dämmerndem Sonnenlicht ein Open Air zu besuchen – und hygienisch einwandfrei ist es auch!
Nichts ist schöner, als in dämmerndem Sonnenlicht ein Open Air zu besuchen – und hygienisch einwandfrei ist es auch!

Foto: IMAGO/ xim.gs

Gut, ich gebe es gerne zu: Die Open-Air-Bühne im Hamburger Stadtpark ist nicht das römische Kolosseum. Erstaunlich ist sie dennoch: diese Idee, einen Veranstaltungsort so zu bauen, rund und sanft abgestuft, dass kleine und große Menschen in hundert- und tausendfacher Anzahl von allen Seiten gut sehen, gut hören – Tausende Jahre alt, vom Prinzip her analog und immer noch praktikabel.

Sie merken es, liebe Leser*innen, es ist Sommer, und der Herr Musikkolumnist war bei einer Handvoll Freiluftkonzerte, etwa bei The War on Drugs in besagter Hansestadt, bei den Beatsteaks in einer brechend vollen Berliner Wuhlheide und bei Deichkind am schönen Dresdner Elbufer. Fragen Sie mich nicht, wie diese illustre Auswahl zusammenkam, es handelte sich um eine Mischung aus Wünschen, Einladungen und Impulskäufen. Aber: Schön war’s! Mal unabhängig von der Musik: Einen solchen Blick über glückliche Menschen bei dämmerndem Sonnenlicht, den kann nur ein Open Air bieten.

In Zeiten nicht fallen wollender Inzidenzen ist das Konzert unter freiem Himmel übrigens auch pandemiekonform. Gut, wenn es so, sagen wir mal: kuschelig zugeht wie bei Deichkind, dann ist auch dieser Effekt dahin. Aber das Potenzial besteht. Die Aerosole verduften mehrheitlich dahin, wo sie hingehören, nämlich in die altgriechische aer, in die Luft. Es stinkt weder nach Schweiß noch nach Bier noch nach ... na gut, auch hier ein minimales Zugeständnis: Gewisse Rauchschwaden sind bei gewissen Bands auch im Freien zu erwarten.

Musikbranche leidet unter Corona

Aber: der Sound! Zwar soll so ein Open Air, habe ich mir sagen lassen, eine recht strapaziöse Angelegenheit für Tontechniker*innen sein, aber wenn dem so ist, dann sei ihnen dafür gedankt. Ein Freiluftkonzert verlässt man selten mit klingelnden Ohren, keine scheppernden Gitarren hallen von massiven Clubwänden zurück, kein Bass wälzt sich einmal von vorn bis hinten und wieder zurück durch den Raum, sodass einem das Herz bald aus der Taktspur fliegt. Herrlich. Andere Musik mag fürs Konzerthaus erdacht worden sein, aber alles, was elektronisch verstärkt ist, klingt im Sommer draußen besser – finde ich zumindest.

Im Übrigen ist das Open Air auch links! Wie bitte? Nun gut, es ist potenziell links, im weitesten Sinne: Keine Mauern können den Schall im Freien zurückhalten, sodass zumindest Zuhören auch auf einem beliebigen Fleck neben dem Einlass möglich ist. Krieg den Ticketpreisen, Friede den Picknickdecken! Aber bitte bleiben Sie nach Möglichkeit dann doch solidarisch. Die Pandemie hat die gesamte Veranstaltungsbranche nachhaltig geschädigt, und Bilder von vollen Stadien trügen: Die Vorverkäufe laufen schleppend und der Anteil derer, die ob Krankheit oder aus anderen Gründen selbst zu bezahlten Konzerten nicht erscheinen, ist nach wie vor groß. Das ist ein Problem für die ganze Branche, denn: Menschen, die nicht zum Konzert kommen, die trinken dort auch nichts. Und wer etwa ebenfalls bei den Beatsteaks in der Wuhlheide war, der weiß: Die 50 Euro fürs Ticket hat man mit fünf Euro pro Getränk plus Becherpfand im Nu gleich noch mal ausgegeben.

Wer sich das leisten kann, möge es tun. Denn die kalte Jahreszeit naht schneller, als einem lieb sein kann. Und wie es dann mit Konzerten weitergeht, weiß kein Mensch. Die ganze Branche ackert sich gerade dumm und dämlich, damit zumindest die Chance besteht, wieder neue Absagen finanziell verkraften zu können. Denken Sie daran, wenn Sie dieses Jahr noch unter freiem Himmel ein kühles Bier für fünf Euro trinken. Oder nein, denken Sie lieber an Rom, ans Kolosseum, denken Sie an Ihr Trommelfell, an Ihren hoffentlich negativen Corona-Test, oder nein, noch besser: Denken Sie an nichts, hören Sie zu.

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