Rock lebt, Leute: Als die laute italienische Band Måneskin vergangenes Wochenende beim 65. Eurovision Song Contest in Rotterdam überraschend knapp 300 Punkte vom Publikum bekam und damit auf Platz 1 rutschte und blieb, erwachte selbst Moderator Peter Urban kurz aus der Narkose.
Zitti e buoni (in etwa: still und brav), der Gewinnersong der vier um die 20-Jährigen, ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert – und am Ende doch ein typischer ESC-Song, auch wenn Måneskin zwischen den Reihen an geplanten Hits wie ein authentisches Feuerwerk wirkten. Die Band singt übers jugendliche Unverstandensein und das Finden der Stärke im Individualismus; sie wüten gegen eine ältere Generation, die nicht weiß, wovon sie spricht. Das ist so kontrovers wie Glühbirnen in Zeiten der EU-Energiesparlampenverordnung, aber für den ESC dann doch überraschend punkig und vor allem erfrischend glaubhaft.
Aber was sind das für Maßstäbe in Zeiten, in denen Punkbands die Staatstreue als rebellischen Akt für sich entdecken – zumindest, so scheint es, in Deutschland? Die Berliner Band ZSK, die bis heute auf vielen linken Demos mit ihrem Gassenhauer Antifascista (2013) präsent ist, präsentierte bereits im vergangenen Jahr ihre Lobeshymne auf Christian Drosten, Ich habe besseres zu tun. Egotronic, die vormals „gegen Deutschland“ (2007) ravten, mobilisieren in Nadel verpflichtend nun für die Herdenimmunität: „Hey Punk, bleib gesund, denn Antikörper gibt’s sogar auf Pump.“ Und: Als sich neulich namhafte deutsche Schauspieler mit einer coronamaßnahmenkritischen Kunstaktion zum gemeinsamen Rohrkrepieren zusammenfanden, folgte eine musikalische Reaktion von Rapper Haxan mit Jan Josef Liefers, halt dein gottverdammtes Maul auf dem Fuß.
Das könnte einem staatstragend vorkommen, würde es nicht genau die provozieren, für die Bands wie ZSK und Egotronic schon immer ein rotes Tuch waren: bürgerliche Rechte, reguläre Nazis und der dazugehörige „lunatic fringe“ an Reichsbürgern und anderen Verschwörungsgläubigen. Der Skandal ist doch, dass die genannten Songs tatsächlich subversiv wirken, vor allem im Vergleich zu den Vorsängern der Volksgemeinschaft, von Xavier Naidoo bis hin zu Nena, die mehr und mehr rechte Milieus ansprechen.
Statt „Nazis raus“, heute also: Impfen wirkt, Menschen sterben ungern, der Planet wird wärmer. Sollten Måneskin tatsächlich den Anfang eines jungen Rock-Revivals darstellen, dann wird es eins, das im Zeichen der Vernunft steht. Und das war in Zeiten der Unvernunft schon immer rebellisch.
Kommentare 9
Wenn ich ehrlich bin, dann verstehe ich gar Nichts mehr von den erzeugten politischen Irreführungen, die eigentlich nicht die Musik betreibende Band verursacht. Ist das jetzt Ich Werbung, einfallslose Retro-Kopie-Kultur und warum zerhackt keiner den deutschen Rezo-Kopie-Beitrag?
Der einzig gute Beitrag im Artikel war Haxan und ist ja Ich Werbung und passt zum Siegerlied. Oh weh, Siegerlied ist das jetzt Nazi??? Ne, es kommt darauf an, was andere daraus machen.
Ist wie mit dem Thema Meditation auf youtube, damit kann man sehr viele rote Linien übertreten und bewusste gesteuerte Aufmerksamkeit erzeugen die in politische Irrwege hineinführt und das passt zu wähle dies X für Naidoo und Nena.
Wo liegt jetzt bei alle dem die Wahrnehmungsfalle und Selbstmanipulation verborgen? Ich weiß es nicht, scheinbar bei der Massenhysterie, die ansteckend auf andere wirken soll, damit Werbeeinahmen fließen können.
So richtig werde ich aus dem Beitrag nicht schlau. Also die italienische Rockband steht für Individualismus und rockt gegen die Alten. Gegen welche Alten? Jugend sollte neugierig sein, forschend, hinterfragend, auch die Alten befragen. Kritisch. Aber wissend und das fällt der Jugend schwer: Hier hat sich Lebenserfahrung angesammelt. Das kann man nicht ignorieren!!!!! Nehmen wir den Liefers. Demoredner 1990 auf dem Alexanderplatz im Osten für Meinungsfreiheit. Und jetzt seine Kritik an den Coronamassnahmen, die diffamiert wurde. Die Jugend ist leicht verführbar, leicht für etwas zu begeistern. Das Nachdenken sollte bei Ihnen nicht zu kurz kommen.
Will noch mal nachharken. Ich weiss nicht, wofür der Autor steht? Die Künstleraktion mit Liefers ist kein Rohrkrepierer. Sie traf mitten in das Schwarze. Und wenn einer der Punks schreit: Halt das Maul Liefers. So hat er nichts verstanden.
Liefers sagt genau das auf ironische Art, was falsch läuft: ...verzweifeln Sie nicht, aber zweifeln Sie ruhig! Das ist die Strategie, die man erkennen muss.
Nicht noch Alt und Jung gegeneinander aufhetzen.
Ich bin zu alt ... :-DAlso erst mal zur Einordnung: Individualismus haben wir schon genug, manch einer nennt es „mehr Eigenverantwortung“, jeder kämpft für sich allein. Besser ist die Welt dadurch nicht geworden.Die eher rockige Musik ist oft politisch, aber das ging auch schon mal besser ... hier mal ein paar Bands mit entsprechenden Musikclips:Judas Priest - Breaking the LawGenesis - Land of ConfusionKorn - Spike in my VeinsEisbrecher - Was ist hier losPearl Jam - Do the EvolutionClawfinger - TruthHypocrisy - Fractured MillenniumPink Floyd - Another Brick in the WallBilly Joel - We didn't start the Fireusw.Oder mal so von wegen wie toll Individualismus ist:Filter - OneOder mal wirklich Individualismus:Machine Head - ImperiumUnd zum Punk:Woher kommt wohl die Straight Edge Bewegung, so von wegen Vernunft ;-)Rock is dead, wenn selbst Pop-Musiker sich als Rockstars sehen ...
die seele des rock wird zunehmend sichtbarer:
musik als inszenierung einer anti-autoritären, befreiten,
genuß-offenen generations-veranstaltung mit spitzen
gegen die lasten des üblichen geschäfts-betriebs.
als (temporäres) statement, als flucht-event,
als groß-geschäft, diesseits des ehrlicheren blues.
oda?
Dead.
Anti-Body.
... oh yeah ...
Up the volume, mate.
https://www.youtube.com/watch?v=INouvLl1JiQ
Enter Sandman - Liliac
Sie meinen der Blues ist ehrlicher. Es geht doch um Inhalte und wie man sie rüberbringt. Hier vielleicht die Italiener mit ihrer Rocknummer. Der Rock war gut. Gibt aber mehr Bands mit Rocktiteln, die das so spielen können. Wäre die Frage nach dem genauen Inhalt des italienischen Siegers.
Ob Blues, Rock, Chanson oder Schlager. Ein Musikgenre wird durch Inhalte gefüllt. Muss passen. Eine Einheit sein, sich ergänzen. Dialektik. Wenn eine Band halt Dein Maul Liefers singt, dann stimmt vielleicht der Sound, aber der Inhalt ist Scheisse. Weil gegen ein Grundrecht gehetzt wird.
Die „unvernünftige Jugend“ will leben, wenigstens noch vor Eintritt ins Vorzimmer der Hölle, auch "Berufsleben" genannt. Sie war schon immer „rebellisch“ gegen die Vernunft einer Diktatur der alten (wie jungen!) Greise und der verwahrten Impotenz.
Brav – eigentlich alle Aufgeführten. Der Contest läuft meist zwar ziemlich an mir vorüber. Dass die Glamrocker aus Italy abgeräumt haben, ist allerdings ein gutes Zeichen; eine Bühne für die Musikexperimenteure und Zornigen dieser Welt ist der ESC – bei allen Fortschritten, die in diesem Jahrtausend stattgefunden haben – bekanntlich noch immer nicht.
Ansonsten bin ich älteres Semester und stehe von daher mehr auf Adriano Celentano – was übrigens auch in Kombination mit Punk prächtig funktioniert. Für Punk bin ich – jedenfalls im musikalischen Normalmodus, Ausnahmen gibts immer – eine Ecke zu alt. Die Message der aufgeführten Bands ist jedoch unbedingt zu unterstützen: Wer noch halbwegs beisammen ist, lässt sich diese Monate seinen Schuss auf Staatskosten verpassen und zickt nicht rum. Thema »Nadel verpflichtend«: Ich bin – heureka! – morgen (das erste Mal) an der Reihe; die standesgemäße Impfparty folgt nächste Woche :-).