Die heilige Birgitte und der Traumboy

Was lohnt sich im Theater Nicolas Stemann nimmt die Polit-Serie "Borgen" auseinander. "Das Feuerschiff" nach Siegfried Lenz schlägt wenig Funken. "Traumboy" Daniel Hellmann erzählt von Sexarbeit.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

"Das Feuerschiff" nach Siegfried Lenz schlägt wenig Funken
"Das Feuerschiff" nach Siegfried Lenz schlägt wenig Funken

Foto: Arno Declair

Die Entzauberung der Birgitte Nyborg: Nicolas Stemann macht sich über die Polit-Serie „Borgen“ her

Birgitte Nyborg kann einem schon manchmal auf den Keks gehen: die „Borgen“-Hauptfigur bekommt von den Machern der dänischen Politserie (Adam Price als Hauptautor und den Co-Autoren Jeppe Gjervig Gram und Tobias Lindholm) oft Redetexte in den Mund gelegt, die zu sehr nach schöner, heiler Sprechblasen-Welt klingen. Mit einer Prise zu viel Pathos vorgetragen und so gestanzt, dass Nyborg nicht wie die Regierungschefin eines EU-Landes, sondern wie eine Prinzessin aus dem Märchenreich wirkt.

Daran störte sich auch der Regisseur Nicolas Stemann, der vor der Premiere seiner Theater-Adaption an der Berliner Schaubühne, im Interview mit der Freitags-Redakteurin Christine Käppeler sagte: „Ich misstraue der Nyborg.“

Er hat sich gemeinsam mit seinem Dramaturgen Bernd Stegemann und seinem Ensemble vorgenommen, den „Wohlfühlserienfilter“ wegzunehmen und die heilige Birgitte von Christiansborg zu entzaubern. Stefanie Eidt (als Birgitte Nyborg), Tilman Strauß (als Spindoktor Kasper Juul), Regine Zimmermann (als Journalistin Katrine Fønsmark) und Sebastian Rudolph (als Nyborgs Mann Phillip Christensen) finden sich an einem langen Tisch voller Apparate und Kabelsalat wieder, der an eine chaotisch organisierte TV-Redaktion erinnert.

Für ihre fast vierstündige Vorstellung, die von zwei Pausen unterbrochen wird, picken sie sich markante Szenen aus den mittlerweile 30 Folgen der drei TV-Staffeln heraus. Diese werden mit aufgeklebten Bärten, schiefen Perücken und vom Teleprompter abgelesenen Dialogen karikiert. Ist die Szene durchgespielt, folgt entweder ein Lied im Stil von Bert Brecht, das die Handlung zusammenfasst, oder die beiden altklugen Kinder von Birgitte Nyborg referieren über soziale Ungleichheit und die Schattenseiten der Globalisierung. An diesen Stellen entfernt sich der Abend am weitesten von seiner Vorlage. Meist wird aber gleich im Schnelldurchlauf vorgespult. Besucher, die das dänische Original bisher nicht kannten, könnten angesichts der vielen Namen und Nebenrollen, die das Ensemble unter sich aufteilt, den Überblick verlieren.

Diese kabarettistische Herangehensweise an „Borgen“ läuft Gefahr, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der bekennende Polit-Serien-Fan Jürgen Trittin hat in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur zurecht beklagt: „Das Plakative gewinnt, es verliert sozusagen die Differenzierung, der Zwischenton.“ Auch wenn Birgitte Nyborg manchmal nervt, ist „Borgen“ nicht umsonst ein Exportschlager und Qualitätsfernsehen. Die Serie malt nicht nur Schwarz-Weiß, sondern verhandelt in Grautönen das Aushandeln politischer Kompromisse bei Regierungsbildungen und im Tagesgeschäft. „Borgen“ lotet die Handlungsspielräume von Minderheitsregierungen aus, beleuchtet das schwierige Verhältnis gegenseitiger Instrumentalisierung von Politik und Boulevard-Medien und die Auswüchse von Spin-Doktoren und Lobbyismus. All das kommt an diesem langen Abend deutlich zu kurz. Stemann macht es sich mit seiner pauschalen Ablehnung der Serie zu einfach.

Mich hat an diesem Theaterprojekt vor allem ein Aspekt interessiert, den Stemann nur anreißt: wie im Rückspiegel erkennen wir in den Dialogen der 1. Staffel, die in Dänemark schon vor sechs Jahren ausgestrahlt wurde, ein erstaunliches Abbild unserer gegenwärtigen politischen Diskussion. Auf der einen Seite das Erstarken einer rechtspopulistischen Partei, die mit ihren Parolen die politische Mitte vor sich hertreibt. Sie fordern die Schließung der Grenzen, mehr Abschreckung und die Verschärfung des Asylrechts. Auf der anderen Seite eine Regierungschefin, die für Willkommenskultur eintritt. Stemann greift diese, wie er im Interview mit dem Freitag selbst sagte, „frappierenden“ Parallelen zwar auf, belässt es aber bei einigen eingestreuten „Wir schaffen das!“-Zitaten und einem Räsonieren über das ökonomische Kalkül hinter einer liberalen Einwanderungspolitik.

Als die Serie 2010 in Dänemark erstmals ausgestrahlt wurde, waren die Flüchtlinge hierzulande noch ein Thema für eine Minderheit um Pro Asyl und Claudia Roth. Auf unserer „Insel der Seligen“ vertrauten wir darauf, dass uns das Dublin-Abkommen die Not der Flüchtlinge vom Leib halte. Erst als sich die Bilder von Ertrinkenden vor Lampedusa häuften, wurde die deutsche Öffentlichkeit wachgerüttelt. Nicolas Stemann leistete dazu mit seiner sehenswerteren Inszenierung „Die Schutzbefohlenen“ seinen Beitrag. Die schrillen Töne von rechts, über die viele in den vergangenen Monaten erschrocken sind und die an der Schaubühne in Falk Richters „Fear“ thematisiert werden, waren in Dänemark und vielen anderen EU-Staaten schon damals in den Parlamenten vertreten. Die Dänische Volkspartei unterstützte zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung von „Borgen“ bereits seit mehreren Jahren eine liberal-konservative Minderheitsregierung und fuhr stabile Wahlergebnisse von 12-14 % ein. Verhältnisse, von denen wir uns damals weit entfernt wähnten… Mittlerweile ist die rechtspopulistische Volkspartei mit 37 Parlamentssitzen und 21,1 % der Stimmen zur zweitstärksten politischen Partei in Dänemark aufgestiegen.

Es wäre interessant gewesen, diese Zusammenhänge noch stärker zu beleuchten, anstatt sich in einer kabarettistischen Nacherzählung des Serienstoffs zu verzetteln. Außer einer entzauberten Birgitte Nyborg bleibt wenig von diesem Schaubühnen-Abend.

Wenn die heilige Birgitte von Christiansborg mal wieder nervt, gibt es aber noch zwei andere bewährte Gegenmittel: Entweder man legt ein paar Folgen „House of Cards“ mit Kevin Spacey als diabolischem Strippenzieher ein. Diese Serie wird etwa zur Hälfte von Stemanns Inszenierung, als es um Guantánamo-Häftlinge und einen US-Staatsbesuch geht, auch kurz zitiert. Oder man sieht sich die Birgitte-Darstellerin Sidse Babett Knudsen in „Duke of Burgundy“ an, wo sie von Peter Strickland ganz entgegen den mit ihrer „Borgen“-Rolle verknüpften Erwartungen besetzt wurde.

Weitere Termine

Kaum Funkenflug auf dem „Feuerschiff“ im Deutschen Theater

An einigen Stellen blitzt das Potenzial der vier Schauspieler auf dem „Feuerschiff“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters auf.

Als sich Owen Peter Read (in der Doppelrolle als Eugen/Edgar) ganz in unschuldigem Weiß im Schlepptau von Hans Löw (Dr. Caspary) breitmacht, liegt eine Atmosphäre wie in „Funny Games“ in der Luft. Für kurze Momente treten die Eindringlinge so schnöselig auf wie bei Haneke, als sie ihre Opfer in die Enge treiben. Aber John von Düffels „skelettierte“ Fassung der Erzählung von Siegfried Lenz ist Thesentheater statt Psychothriller.

Auch bei der Konfrontation zwischen Fred (Timo Weisschnur) und seinem Vater, dem Kapitän Freytag (Ulrich Matthes), könnten die Funken fliegen. Die Textvorlage lässt ihnen aber zu wenig Raum zur Entfaltung. Ulrich Matthes muss die „Ordnung“ so oft beschwören, bis seine Figur zur Verkörperung eines Prinzips wird, aber nicht mehr wie ein Mensch aus Fleisch und Blut wirkt. Eine Energie, die diesem Abend gut tun würde, ist auch unter der Oberfläche spürbar, als Fred von den Gangstern provoziert wird. Sie darf sich aber nicht entladen.

Nach nur knapp einer Stunde endet der Abend ziemlich abrupt. Das Publikum bleibt mit dem Gefühl zurück, dass der Vater-Sohn-Konflikt über die Frage, ob zurückhaltendes Abwarten oder Gegengewalt die richtige Antwort auf einen Übergriff ist, nicht auserzählt ist. Auch zwischen Freytag (Matthes), dem bedingungslosen Verfechter von Ordnung und Status quo, und dem Desperado Dr. Caspary (Löw), der zwischen Raucherpausen seine von Sartres Existentialismus inspirierte Thesen vorträgt, entwickelte sich nicht das erhoffte packende Duell, in dem um Prinzipien gerungen wird.

Der Premierenabend in den Kammerspielen des Deutschen Theaters endete zwar mit freundlichem Applaus für Regisseur Josua Rösing und seine Schauspieler, der Funke wollte aber nicht überspringen.

Trailer und weitere Termine, alle Vorstellungen im März sind bereits ausverkauft

„Traumboy“: Daniel Hellmann plaudert aus dem Alltag eines Sexarbeiters

Der Schweizer Daniel Hellmann beginnt seine „Traumboy“-Performance zu Frl. Menkes Neue Deutsche Welle-Ohrwurm mit einer Runde auf seiner Schaukel.

Dann wendet er sich dem Publikum zu: Viele Freunde und Bekannte seien heute im Publikum. Deshalb sei er diesmal vor seinem Solo-Abend „Traumboy“, der im Juni 2015 in Zürich Premiere hatte und beim „My Body is my Business“-Festival in den Sophiensaelen zu Gast war, besonders nervös. Er berichtet darin über seine Arbeit als Escort.

Er lädt die Zuschauer ein, ihn per SMS alles zu fragen, was sie schon immer über Sexarbeit wissen wollten. Um das Eis zu brechen, plaudert er erst mal los. Mit 23 habe er seinen ersten Kunden empfangen. Ein ganz furchtbares Erlebnis sei das gewesen. Augen zu und durch, danach habe er sich aber mit einem neuen Paar Schuhe belohnen müssen. Betretenes Schweigen im Saal. Nach kurzer Pause grinst Hellmann: Haben Sie das jetzt wirklich geglaubt? Nein, das erste Mal sei ganz entspannt gewesen. Seine Kunden seien häufig Familienväter mit Ehering, einer habe sogar den Kinderwagen zum Date mitgebracht. Viele seien schüchtern. Seine wichtigste Aufgabe sei es, ihnen die Scheu zu nehmen.

Während der 90 Minuten lässt Hellmann in der Schwebe, ob er tatsächlich neben seinen Auftritten als Schauspieler und Tänzer sein Geld mit Sexarbeit verdient. Die Fragen aus dem Publikum prasseln mittlerweile herein: Ob er schon mal ein Date abbrechen musste? Ob er sich schon mal in einen Kunden verliebt habe oder dies umgekehrt passiert sei? Ob es schon mal Streit um das vereinbarte Honorar gab? Ob er denn auch schlucke?

Eloquent und meist differenziert antwortet Hellmann darauf. Im Zentrum des Abends stehen die privaten Konsequenzen für einen Escort: anfangs habe er heimlich gearbeitet und Legenden erfunden, wie er zu Geld gekommen sei. Jetzt wisse jeder Bescheid, aber sein Vater habe es empört abgelehnt, zur Premiere zu kommen und auch eine enge Freundin der Familie, die seine Mentorin in der Theaterwelt gewesen sei, habe überhaupt nicht mit seiner Sexarbeit umgehen können.

Die politischen Rahmenbedingungen wie z.B. das neue Prostitutionsschutzgesetz werden nur gestreift. Hellmann berichtet aus der privilegierten Position eines Akademikers, der noch ein zweites berufliches Standbein hat und die Treffen auf Online-Plattformen anbahnt. Andere Aspekte der Sexarbeit, die im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte stehen, wie Zwangsprostitution migrantischer Frauen und der Straßenstrich, spielen an diesem „Traumboy“-Abend keine Rolle.

Im letzten Drittel des Abends dreht Hellmann den Spieß um und pickt Leute aus dem Publikum heraus: Könnten Sie sich vorstellen, Escorts zu bezahlen oder selbst Sexarbeit zu leisten? Haben Sie schon mal versucht, mit Sex eine Beziehung zu retten? Bevor Hellmann im Bühnenhintergrund verschwindet, reicht er das Mikrofon ins Publikum: im Karaoke-Stil werden Einträge aus seinem Gästebuch vorgelesen, die sich für das tolle Date bedanken und von seinen körperlichen Vorzügen schwärmen.

Weitere Termine und Trailer

Der Beitrag ist zuerst hier erschienen: http://kulturblog.e-politik.de/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kultur_Blog_

Aktuelle Rezensionen zu Kino, Theater, Oper, Kabarett, Tanz, Literatur

Kultur_Blog_

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden